Unabhängiger Islamverband in Niedersachsen

Eine Stimme für Muslime in Deutschland

Avni Altiner, ex-Vorsitzender der niedersächsischen Schura, fotografiert am 16.02.2016 in der Universität Osnabrück (Niedersachsen).
Islamunterricht, Imam-Ausbildung, Seelsorge: Mit dem Verband "Muslime in Niedersachsen" will Avni Altiner all das unabhängig vom Ausland finanzieren. © picture alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Ita Niehaus · 10.02.2019
Wer bestimmt den Kurs in deutschen Moscheen? Viele erhalten Geld aus dem Ausland, vor allem der Türkei. In Hannover gibt es neben den Moscheeverbänden DITIB und SCHURA jetzt einen neuen Verband: "Muslime in Niedersachsen".
Avni Altiner: "Mir ist eine ganz große Last vom Rücken gefallen. Ich war erleichtert. Wir haben es geschafft: Wie wir es uns vorgenommen haben, sind die Mitglieder auch so eingetreten."
Es war ein großer Schritt – nicht nur für Avni Altiner. Der ehemalige Vorsitzende des niedersächsischen Moscheeverbandes SCHURA steht nun an der Spitze des neuen Islamverbandes 'Muslime in Niedersachsen'. Elf Moschee-Gemeinden gehören ihm bislang an. Doch das soll sich ändern, sagt Altiner. Ob Sunniten oder Schiiten – der Islamverband stehe allen Muslimen und Moscheegemeinden offen und vertrete einen gemäßigten Islam.
Altiner: "Selbstverständlich werden wir finanziell, aber auch politisch unabhängig sein. Wir wollen das Erreichte weiter etablieren und in der Gesellschaft eine Normalität einführen."

Staatsvertrag mit den Verbänden liegt auf Eis

Zu tun gibt es mehr als genug in Niedersachsen. Der Vertrag mit den muslimischen Verbänden liegt auf Eis, vor allem wegen zu großer Nähe zur türkischen Regierung. Außerdem müssen Islamunterricht an staatlichen Schulen, islamische Seelsorge und vor allem auch die Imamausbildung weiterentwickelt werden. Denn noch kommen die meisten Imame aus dem Ausland, vor allem aus der Türkei. Geklärt werden muss ebenfalls, wie all das finanziert werden soll. Avni Altiner möchte mit seinem Team neue Impulse setzen.
Altiner: "Wir sehen, dass der Austausch weniger wird von beiden Seiten. Wenn mich Politiker oder von den Kirchen Menschen ansprechen, dass sie von den Verbänden wenig mitkriegen, es wenig Mitarbeit gibt - dass wir uns Sorgen machen, das Erreichte zu verlieren."
So nehme etwa die Zahl der Studierenden am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück ab. Ein Grund: fehlende Berufsperspektiven. Auch Dua Zeitun, Tochter eines syrischen Imams und Absolventin des Instituts, unterstützt den neuen Verband.
Zeitun: "Ich sehe mich als deutsche Muslima, als Teil dieser Gesellschaft und brauche auch einen Dachverband, der mich auch als deutsche Muslima widerspiegelt. Ein Verband, der sich als deutsch-islamischer Dachverband versteht, unabhängig von irgendeiner Nationalität – ganz wichtig."

Muslimische Frauen übernehmen Verantwortung

Viele junge Muslime sind im Verband vertreten, jedes zweite Mitglied im Vorstand ist eine Frau. Für Dua Zeitun ist das ein wichtiges Signal.
Zeitun: "Die muslimischen Frauen sind fähig, vieles hier zu bewegen. Aber wenn wir uns Führungspositionen anschauen, dann sind das meistens die muslimischen Männer. Weil die muslimischen Frauen oft unsichtbar sind, eher im Hintergrund arbeiten. Und da vergisst man oft, dass diese Frauen wirklich die größte Arbeit leisten."
In Hannovers multikulturellem Stadtteil Linden. Hier lebt Avni Altiner mit seiner Familie und hier ist auch seine Moscheegemeinde. Viele kennen ihn in seinem Viertel. Von 2001 bis 2016 war Altiner Vorsitzender des niedersächsischen Moscheeverbandes SCHURA. Ehrenamtlich, seinen Lebensunterhalt verdient er am Fließband bei Volkswagen.
Immer noch ist der 50 Jahre alte Deutschtürke ein wichtiger Ansprechpartner – für die Muslime und auch für die Politik. Altiner wird geschätzt als Brückenbauer und Netzwerker. Was ihn vor allem motiviert? Mit jungen Menschen zu arbeiten, sie zu unterstützen. Und dann zum Beispiel zu erleben, wie sie erfolgreich ihr Theologiestudium abschließen. Kraft findet Avni Altiner auch in seinem Glauben.
Altiner: "Man muss die Menschen, die diesen Weg gehen wollen, gemeinsam zu diesem Weg bringen. Und ich versuche mit Gottes Hilfe, mit dem Geschick und den Gebeten der Menschen das zu realisieren."

Zusammenarbeit mit der DITIB bleibt schwierig

Altiner verfolgt die Debatte um die Unabhängigkeit der Islamverbände genau. Ende November vergangenen Jahres trat Yilmaz Kilic, der Vorsitzende des DITIB-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen, mit dem gesamten Vorstand zurück. Kilic hatte sich für Reformen eingesetzt, kritisierte die Einflussnahme der DITIB-Zentrale in Köln und des türkischen Religionsattachés.
Die Landesregierung stellte die Zusammenarbeit mit dem Moscheeverband DITIB auf den Prüfstand. Vor kurzem entschied sie sich, sie fortzusetzen. Mit einer Ausnahme: Die Kooperation mit den von der Türkei bezahlten DITIB-Imamen in der Gefängnisseelsorge wurde gekündigt. Auch die SCHURA Niedersachsen werde, so Altiner, immer stärker von der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs beeinflusst, die der Türkei nahe steht.
Altiner: "Wenn die Gesellschaft den Eindruck hat, dass die Muslime nicht unabhängig sind, dann sind die Muslime in der Pflicht, dass sie das beweisen müssen. Dazu muss man auch neue Wege gehen, denn das kann dahin führen, dass man seine Glaubwürdigkeit verliert."
Recep Bilgen, Vorsitzender des Moscheeverbandes SCHURA Niedersachsen und Mitglied der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, sieht das etwas anders.
Bilgen: "Weil die Mitgliedsgemeinden der SCHURA weder personell, finanziell noch ideell vom Ausland gesponsert oder unterstützt werden. Die lassen sich nichts von ihren Herkunftsländern diktieren und ich als Vorsitzender erst recht nicht."

Spaltet der neue Verband die Gemeinschaft?

Unter Muslimen, vor allem bei Mitgliedern der Islamverbände DITIB und SCHURA, sorgt der neue Verband für Diskussionen. Die einen hoffen, dass nun wieder etwas Bewegung kommt in den Dialog zwischen Muslimen und Politik. Andere, wie Recep Bilgen, sehen die Gründung kritisch.
Bilgen: "Ich sehe das nicht als Konkurrenz. Aber in letzter Linie wird es die Muslime nicht weiterbringen. Das ist eine Spaltung einer existierenden Gemeinschaft."
Aus der Politik kommen bereits erste positive Signale. Doris Schröder-Köpf etwa, die Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, begrüßt den neuen Islam Verband.
Schröder-Köpf: "Wir finden es natürlich sehr schön, dass vertraute Personen jetzt wieder Verantwortung übernehmen. Herr Altiner und Herr Vladi haben gezeigt, dass sie auch dann für religiöse Vielfalt eintreten, wenn die von unterschiedlichsten Seiten bedroht ist. Ob von radikalen Salafisten oder von Rechtsradikalen. Die sind immer mit im Boot, wenn es darum geht, die liberale Demokratie und religiöse Toleranz zu verteidigen."
Der neue Verband versteht sich als Ansprechpartner für die niedersächsische Landesregierung, möchte die Zukunft von Muslimen im Bundesland mitgestalten. Doris-Schröder-Köpf sieht dafür ganz gute Chancen. Die Dialogbeauftragte des Bistums Osnabrück, Katrin Großmann, ist überzeugt: der neue Verband steht für Vielfalt und auch für einen Aufbruch innerhalb der muslimischen Community. Er sei eine große Bereicherung.

Viele Aufgaben für einen unabhängigen Islamverband

Großmann: "Weil wir damit Ansprechpartner haben, wo wir genau wissen, dass die für das stehen, was sie uns sagen. Dass sie unabhängig Positionen entwickeln können, dass sie sich nicht abstimmen müssen mit einer Zentrale, die bestenfalls in Köln sitzt, aber doch noch mal vom Ausland beeinflusst ist. Und das haben wir in der Vergangenheit in größeren Kontexten durchaus so erlebt – und ich denke, das wird in diesem neuen Verband anders sein.
"Muslime in Niedersachsen" ist bisher noch ein kleiner Islamverband. Avni Altiner setzt vor allem auf Dialog und Zusammenarbeit. Und er ist sich bewusst: Neue Wege zu gehen braucht Zeit.
Altiner: "Es muss uns gelingen, dass wir in den Arbeitsgruppen mit den Ministerien, mit der Uni, mit den Religionsgemeinschaften gemeinsam Lösungsansätze finden. Keine Auslandsimame, keine finanzielle Hilfen vom Ausland – das alles hört sich gut an. Politik muss langfristig überlegen, wie man ein Projekt entwickelt – eine Übergangslösung. Dann könnte man Schritt für Schritt die Probleme abarbeiten."
Mehr zum Thema