Unabhängige Musiklabels unter Druck

Indie als Illusion

06:16 Minuten
Eine Person vor einer Tapete mit Dschungeldekor bedeckt den Kopf mit einer Vinylschaltplatte.
Nur noch ein Drittel der Musikvertriebe ist heute wirklich unabhängig, rechnet das Blog "Water & Music" vor. © imago / Westend61
Von Christoph Möller · 05.05.2021
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Indie-Musiker haben nichts mit den großen Labels zu tun - diese Definition gilt vielfach nicht mehr. Major-Labels haben zahlreiche unabhängige Musikvertriebe gekauft. Was bedeutet Indie da eigentlich noch?
Anton Teichmann sagt, für ihn sei es schwer, genau zu definieren, was Indie eigentlich bedeutet. Und damit ist Teichmann nicht allein. Er betreibt das kleine Berliner Label Mansions and Millions. Dort veröffentlichen Musikerinnen und Musiker wie Retro-Popper John Moods ihre Songs.
Porträtaufnahme von Anton Teichmann vom Indie Plattenlabel Mansions and Millions.
Anton Teichmann betreibt Mansions and Millions, das 2020 als „Bestes Label“ ausgezeichnet wurde. © Aida Baghernejad
Der Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT) hat Mansions and Millions 2020 als "Bestes Label" ausgezeichnet. Technisch gesehen bedeutet Indie: Man besitzt die Urheberrechte an seinen Songs. Und hat mit den drei großen Plattenfirmen Sony, Universal und Warner nichts am Hut.
"Traditionell hat Indie, glaube ich, auch so eine ethische Komponente." Und an der versuche er, sich auch weiterhin zu orientieren, sagt Teichmann.
Ethisch heißt bei ihm: Kunst statt Kommerz, er ist nah dran an den Musikerinnen und Musikern, die bei ihm ihre Alben rausbringen. Eigentlich sei er mit allen Künstlerinnen und Künstlern, mit denen er zusammenarbeite, auch gut befreundet, erklärt Teichmann.

Ein Etikett, um Musik zu vermarkten

Doch auch er merkt: Der gute Ruf von Indie-Strukturen steht unter Druck. Neue Player kapern den Indie-Markt: Spotify oder Apple Music locken Musikerinnen und Musiker mit Angeboten, Songs direkt – ganz ohne Label – auf ihrer Plattform zu veröffentlichen.
Major-Labels kaufen große unabhängige Musikvertriebe, und sichern sich Marktanteile: Das Blog "Water & Music" rechnet vor: Nur noch ein Drittel der Musikvertriebe ist heute wirklich unabhängig. Was bedeutet Indie also heute noch?
Die Musikerin Albertine Sarges glaubt, Indie sei heute mehr denn je nur ein Etikett, mit dem sich Musik verkaufen lässt.
"Weil: Indie verspricht Freiheit, Wildheit, Jugend. Und ich finde, man arbeitet da kollektiv, auch im Indie-Bereich, an einer Illusion", sagt sie.
Am Versprechen eines lustvollen Lebens. Doch dieses Versprechen wird von großen Digitalplattformen marktkonform gemacht. Für Sarges ist das ein Problem. Viele Indie-Künstlerinnen und Künstler leben prekär. Wenn etwa Streamingdienste so täten, als könne jeder mit ein paar Klicks zum Star werden, entstünden falsche Erwartungen.

"Indie-Labels werden wieder cleverer sein"

Jörg Heidemann, Geschäftsführer des Verbands unabhängiger Musikunternehmer*innen, sagt: Hinter der Entwicklung, dass Major-Labels und Technologie-Firmen immer mehr unabhängige Musikfirmen aufkaufen, stehe allein das Streben nach größeren Marktanteilen.
So konzentriere sich der Markt auf nur noch wenige Teilnehmer. "Und die haben kein wirkliches Interesse an einer langfristigen Künstlerentwicklung." Für die seien Künstler Ware, so Heidemann.
Der VUT-Geschäftsführer sieht das aber gar nicht als so dramatisch. Er ist überzeugt, dass Indie-Labels neue Nischen besetzen werden. Sie müssten "wieder cleverer sein, wie sie immer cleverer waren und wie sie auch wieder cleverer sein werden".
Für Anton Teichmann vom Label Mansions and Millions gibt es, optimistisch gedacht, auch die Möglichkeit, dass die Major-Labels vielleicht doch nicht immer nur die Bösen sind und Musikerinnen und Musiker tatsächlich unterstützen könnten. Pessimistisch gedacht, bleibt aber auch bei ihm der Eindruck von Jörg Heidemann, dass Major-Labels und Digitalplattformen immer einflussreicher werden.
Indie ist fast nur noch ein Ethos, eine Haltung. Und immer weniger eine strikte Abgrenzung gegen die Major-Labels. Noch nie waren die Unabhängigen so abhängig wie heute.
(abr)
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