Umweltschutz

Trauminseln in Gefahr?

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Zahlreiche Ferien-Anlagen an den felsigen Berghängen in Puerto Rico im Süden der spanischen Ferieninsel Gran Canaria. © picture alliance / ZB
Von Michael Frantzen · 29.04.2014
Es lebe der Tourismus oder eben auch nicht: Zahllos und für jedermann sichtbar sind die Bausünden, die im Namen des Tourismus auf den Kanarischen Inseln verbrochen wurden. Andere wollen hier jetzt Erdöl suchen - zum Leidwesen nicht nur der Tourismusbranche.
Ein Protestsong zur Einstimmung - für grüne Energie und gegen Erdöl: Im Gemeindezentrum von Puerto del Rosario, der Hauptstadt der Kanaren-Insel Fuerteventura, sind die Fronten klar. Rund 40 Umweltaktivisten sind an diesem stürmischen Frühlingsabend zum Vortrag über Erneuerbare Energien gekommen. Judith Morales ist mit ihren 30 Jahren eine der Jüngeren. Die Frau mit den melancholischen Augen winkt zwei Bekannten zu. Neben ihr sind noch Plätze frei. Es sind Mitstreiter von "Canarias dice NO al petróleo" – der Bürgerinitiative, die verhindern will, dass der spanische Energieriese Repsol vor der Küste Fuerteventuras nach Erdöl bohren darf.
"Un disparate" sei das mit der Erdölförderung – eine Torheit - der Referent lässt kein gutes Haar an Repsols Plänen. Judith nickt still vor sich hin. Nach dem Vortrag zieht es sie nach draußen, runter zur Mole.
2012 gingen zehntausend Menschen auf die Straßen
Feiner Nieselregen umhüllt die Uferpromenade. Judith zieht den Jackenkragen hoch. Schnellen Schrittes steuert die zierliche Frau auf den Steg zu, bis sie vor dem Wahrzeichen ihrer Heimatstadt angekommen ist: der Skelett-Skulptur. Sie zeigt auf ein matt schimmerndes Etwas am Fuße der Skulptur, das sich bei näherem Hinsehen als Plakette entpuppt. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Für Judith ist es nicht irgendeine x-beliebige Plakette: Die Inschrift erinnert an die größte Demonstration, die die 110.000 Einwohner zählende Kanareninsel jemals erlebte. Der 24. März 2012. 10.000 Menschen gingen auf die Straße - aus Protest gegen die geplanten Erdölbohrungen.
"Da drüben am Horizont. Siehst du die Lichter? Das ist der Flughafen. Direkt dahinter liegt El Castillo. Von dort sind es keine zehn Kilometer bis zu den möglichen Ölplattformen. Das ist viel zu nah. Wir müssen uns doch nur anschauen, was bei der Explosion im Golf von Mexiko vor vier Jahren passiert ist: Da lag das Ölleck 80 Kilometer vom Festland entfernt – und verseuchte trotzdem die ganze Küste. Das Risiko ist viel zu groß, zumal die Gewässer vor der Küste Fuerteventuras noch um einiges tiefer sind als im Golf von Mexiko. Wir reden hier von Wassertiefen zwischen 3000 und 7000 Metern. In solchen Tiefen nach Erdöl zu bohren ist kompliziert und äußerst gefährlich. Das ist doch Wahnsinn – allein schon wegen unseres Trinkwassers. Fuerteventura und unsere Nachbarinsel Lanzarote beziehen 100 Prozent des Trinkwassers aus den Entsalzungsanlagen am Meer."
Gedankenversunken schlendert Judith vom Steg zurück zur Uferpromenade, deren schneeweiße Stadtmauer und windschiefen Häuser die Kreuzfahrttouristen immer wieder aufs Neue entzücken, wenn sie im nahegelegenen Hafen anlegen. Doch Judith hat dafür keinen Blick. Die letzten Jahre waren nicht einfach für sie. Wegen "la crisis" – der Wirtschaftskrise, die Fuerteventura kalt erwischte – und Judith die Perspektive raubte. Die Illustratorin ist arbeitslos – schon länger - trotz Universitätsabschluss. Ein paar Gelegenheitsjobs, ein Zeitvertrag in einem Altenheim: Zu mehr hat es nicht gereicht.
Arbeit gibt es genug, nur keine Jobs: Demos organisieren, die Facebook-Seite der Bürgerinitiative aktualisieren, schräge Aktionen wie die "Polkas gegen Ölbohrungen" planen: Judith hat tatsächlich alle Hände voll zu tun. Ihre Eltern dürfte es freuen.
"Meine Eltern sind glücklicherweise mit mir von klein an Campen gegangen. Meinen Schulfreundinnen bin ich dadurch ziemlich auf den Wecker gegangen. In den Sommerferien, am Strand, habe ich ihnen immer eingetrichtert: Vorsicht! Tritt bloß nicht auf den Busch! Und lass gefälligst die Pflanze in Ruhe! Ich war das so von meinen Eltern gewohnt. Geh vorsichtig mit der Natur um – lautete ihre Maxime! Ich kann mich noch erinnern: Als Kind bin ich in den 90ern im Sommer immer mit einem Putzlappen den Strand entlang – und habe verzweifelt versucht, irgendwelche angeschwemmten Ölklumpen von den Felsen zu wischen. Wirklich bergeweise."
Tourismus über alles
Mögen die Strände auf Fuerteventura auch wieder sauber sein: Judiths Umwelt-Eifer hat nicht nachgelassen – nur mit dem Unterschied, dass sie heute nicht Ölflecken zu Leibe rückt, sondern Repsol, dem global agierenden Ölmulti. Da ist sie nicht die einzige. Sie zeigt beim Vorbeigehen auf den gelb-weiß gestrichenen Sitz des "Cabildo", des Inselpräsidenten Fuerteventuras. Die Frau, die aus Prinzip kein Auto fährt, lacht. Das hätte sie sich vor ein paar Jahren auch nicht träumen lassen: Dass sie einmal gemeinsame Sache machen würde mit jemandem wie Mario Cabrera. Doch der Inselpräsident ist inzwischen zum Umweltschützer mutiert – aus wirtschaftlichen Gründen.
"Es ist nun mal so: Die wichtigste Industrie auf den Kanaren ist die Tourismus-Branche. Ich war im März auf der Tourismusmesse in Berlin. Ein voller Erfolg: Zum ersten Mal in der Geschichte liegt Fuerteventura von allen sieben Kanarischen Inseln auf Platz eins bei den Flugbuchungen für den Sommer. Diesen Sommer kommen voraussichtlich 513.000 Besucher zu uns. Ich will damit sagen: Der Tourismus ist für uns überlebensnotwendig. Wir dürfen nichts tun, was den Tourismus gefährdet. Wir können meinetwegen nach Alternativen suchen – aber nur, so lange sie zu vereinbaren sind mit der Tourismusbranche."
Tourismus über alles: Das gilt für Fuerteventura mehr noch als für die sechs anderen Kanareninseln. 2,2 Millionen Besucher kamen letztes Jahr auf das karge Eiland mit den Traumstränden. Ein Rekord – genau wie die 10,6 Millionen Touristen auf den Kanaren insgesamt. Mario Cabrera strahlt für einen kurzen Augenblick. Draußen hat der Wind über Nacht die Regenwolken weggepustet, drinnen krempelt der Inselpräsident in seinem Riesenbüro die Ärmel hoch – und lässt seiner Wut freien Lauf. Über die "Piraten der Erdölindustrie". Und den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy im fernen Madrid. Der Konservative hat Repsol im März 2012 genehmigt, probeweise vor der Küste Fuerteventuras und Lanzarotes nach Öl zu bohren. Rajoy will das Öl. Eine Volksbefragung darüber, ob das eine gute Idee ist, wie von Cabrera vorgeschlagen, will er nicht. Der Inselpräsident verzieht das Gesicht. Klein beigeben – das ist nicht seine Art. Er zeigt auf das Gemälde rechts von seinem Schreibtisch: Er sei ein bisschen wie die dort abgebildeten Ziegen: Widerstandsfähig und störrisch. Von seinem einmal eingeschlagenen Weg – dem alternativen - will sich Señor Cabrera, dessen Nachname passenderweise "Ziegenhirt" bedeutet, nicht abbringen lassen.
"Bei den Erneuerbaren Energien haben wir auf den Kanaren noch Nachholbedarf. Die Quote liegt bei nur fünf Prozent. Wir sind da natürlich auch von Madrid abhängig. Die Rajoy-Regierung müsste wirtschaftliche und steuerliche Anreize schaffen, um die Erneuerbaren zu fördern. Ohne solche Anreize lohnt es sich für kein Unternehmen, Windräder zu installieren. Dabei haben wir auf Fuerteventura gerade bei der Windkraft großes Potenzial. Wir waren die erste Kanaren-Insel, die einen Windpark eingerichtet hat. Wir würden ihn gerne ausbauen, das Problem ist nur, dass sich unser Geschäftspartner Endesa dagegen sträubt. Die Endesa-Leute sagen: Wer garantiert uns, dass solch ein Projekt auch in Zukunft rentabel ist? Ohne staatliche Garantien machen wir da nicht mit."
Puerto del Rosario ist überschaubar. Etwas mehr als 35.000 Einwohner zählt die Inselhauptstadt, bis auf zwei halb leer stehende Neubausiedlungen konzentriert sich das Leben auf die Gegend zwischen der Kirche Santo Domingo und dem Hafen. Man kennt sich – auch die politischen Gegner.
Erdöl als Job-Motor
Carlos Figueroa ist ein viel beschäftigter Mann – und Gegenspieler des Inselpräsidenten. Im Büro des Sprechers der oppositionellen "PP", der konservativen "Partido Popular", stapeln sich die Akten. Der Mann mit dem schütteren Haar stöhnt leise vor sich hin. In zehn Minuten muss die Pressemitteilung fertig sein - über die "Segnungen des Erdöls."
"Wir sagen schon seit Jahren: Wenn es Öl gibt: Herzlich Willkommen! Wir können diesen Rohstoff gut gebrauchen. Er wäre gut für unser Land, gut für die Kanaren. Es würde uns wirtschaftlich nützen und Arbeitsplätze schaffen."
Erdöl als Job-Motor: Bis zu 5000 Arbeitsplätze - damit versucht Repsol zu punkten. Aus gutem Grund: Der "Wirtschafts-Tsunami", der über Spanien hinweggeschwappt ist, hat auf den Kanaren besonders schwer gewütet: Schon seit längerem verharrt die Arbeitslosigkeit auf dem Archipel bei 35 Prozent. Es ist die zweithöchste Quote ganz Spaniens. Repsol könnte Abhilfe schaffen. Sonderlich präsent auf den Kanaren ist der Konzern nicht. Eine Geschäftsstelle sucht man vergeblich. Repsol wartet ab – und hofft im Sommer loslegen zu können. Bis dahin überlässt das Unternehmen Unterstützern wie Carlos Figueroa das Feld – dem kleinen Mann mit dem nicht ganz so kleinen Ego.
"Ich wiederhole es gerne zum dritten Mal: Man muss realistisch sein. Auch bei der Erdölfrage. Schauen Sie sich die Landkarte an: Fuerteventura liegt keine hundert Kilometer von der Küste Afrikas entfernt. Mein verstorbener Vater war Fischer, er hat vor Afrika gefischt. Kollegen von ihm sind ums Leben gekommen, weil sie von der marokkanischen Marine beschossen wurden. Ich will damit nur sagen: Jemand wie ich weiß, was für Nachbarn wir haben. Marokko. Die Marokkaner suchen längst vor ihrer Küste, gar nicht weit von hier entfernt, nach Öl. Ich möchte nicht wissen, was die für Umweltauflagen haben. Und wir sollen auf unser Erdöl verzichten?! Man muss realistisch sein – gerade in Zeiten wie diesen. Wir Spanier sollten alles daran setzen, bei der Energieversorgung unabhängiger zu werden. Zurzeit beziehen wir 95, 96 Prozent unseres Gases und Öls aus dem Ausland. Wir sind wirtschaftlich abhängig."
Bedingungsloses Ja zum Öl
Mit seinem bedingungslosen Ja zum Öl steht Carlos Figueroa auf Fuerteventura ziemlich alleine da. Viele treibt die Angst um, dass bei den Bohrungen etwas schief gehen – und aus der potentiellen Umweltsünde eine reelle werden könnte – wie in der Bauindustrie schon geschehen. Neue Umgehungsstraßen, neue Konsumpaläste, neue Ferienanlagen – selbst nach der Wirtschaftskrise 2008 wurde fleißig weiter gebaut. So soll Mitte Mai ein 120 Hektar großes Luxusresort in der Nähe von La Oliva seine Pforten öffnen, einem verschlafenen Nest im Norden der Insel. Zwar ist es ein offenes Geheimnis, dass der Anlage diverse Genehmigungen fehlen. Doch eine 140 Millionen-Euro-Investition samt 180 möglicher Arbeitsplätze in den Wind schießen? Das will niemand verantworten. Kein Einzelfall auf den Kanaren: Auch Teneriffa, die rund 300 Kilometer westlich von Fuerteventura gelegene größte der Kanareninseln, ist voller Bausünden – legaler wie illegaler: "Puerto de Granadilla" etwa. Der überdimensionierte Industriehafen wurde im Süden der Insel, in direkter Nähe einer maritimen Schutzzone, aus dem Boden gestampft – "illegal", wie jeder weiß. Und dann ist da noch "Las Teresitas".
Sanft schwingt sich der Strand von "Las Teresitas" im Halbkreis - eingerahmt von der Bucht von Santa Cruz, der Hauptstadt Teneriffas - und den majestätischen Vulkanbergen des Hinterlandes. Es ist früh am morgen, kurz nach neun. Gustavo Moreno holt tief Luft. Der pensionierte Geograph kommt häufiger in sein "kleines Paradies" wie er das nennt. Am liebsten morgens, wenn er den Strand fast für sich alleine hat. Der drahtige Mann, dem man seine Anfang 70 nicht ansieht, ist ein Umweltschützer der ersten Stunde. Seit bald schon 40 Jahren macht er mobil gegen Umweltsünder und Risiken, die sich nicht kalkulieren lassen. Wie die Erdölbohrungen, auch wenn Teneriffa davon selbst nicht betroffen ist. Doch hier geht es ums Prinzip. Wie bei "Las Teresitas".
"Da drüben die Bauruine am Anfang des Strandes: Im Volksmund wird sie nur "Mamotreto" genannt: Das Gerümpel. Eigentlich sollte daraus ein kostenpflichtiges Parkhaus werden – mit irgendwelchen Geschäften. 2006 fingen die Bauarbeiten an – illegalerweise. Es gab keine Umweltverträglichkeitsstudie, nichts, dafür aber jede Menge Gesetzesverstöße und Mauscheleien. Erst als ATAN, unsere Umweltorganisation, vor Gericht klagte und Recht bekam, wurde der Bau gestoppt. Sechs zum Teil ranghohe städtische Angestellte sind im Februar wegen der Geschehnisse in erster Instanz verurteilt worden. Für die Kanaren ist das Urteil bahnbrechend. Endlich ist dem illegalen Bauwahn und der damit verbundenen Korruption ein Riegel vorgeschoben worden."
Gustavo Moreno läuft weiter den Strand entlang, bis er beim "Gerümpel" angekommen ist. Er zeigt auf ein Graffiti: "Der Zement von heute ist das Grab von morgen". Das Gerichtsurteil vom Februar hat ihm Auftrieb gegeben. Vielleicht kann die Justiz es ja richten – auch in der Erdölfrage. Zusammen mit anderen Umweltschützern hat er gegen Repsols Plan geklagt, vor der Küste Fuerteventuras und Lanzarotes probeweise nach Erdöl zu bohren. Eigentlich sollte darüber Anfang April der Oberste Gerichtshof entscheiden. Doch das Gericht in Madrid hat sich vertagt – auf unbestimmte Zeit. Die Zitterpartie auf den Kanaren wird weiter gehen - für Erdölgegner wie Gustavo Moreno und für die Befürworter gleichermaßen.
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