Umwelt-Priester in den USA

Prediger in Sachen Klimaschutz

10:07 Minuten
Porträt von Reverend Mariama White-Hammond, von einer Gemeinde in Boston.
Folgen des Klimawandels treffen Arme besonders hart. Reverend Mariama White-Hammond aus Boston setzt sich für sie ein. © Klaus Martin Höfer
Von Klaus Martin Höfer · 09.02.2020
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Ihre Sorge gilt der Schöpfung: Viele Priester in den USA haben sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben. Sie verstehen sich nicht nur als Geistliche, sondern auch als politische Aktivisten.
Gottesdienst in der Union Universalist Church, einer traditionsreichen Kirche mitten im alten Stadtzentrum von Boston. Fred Small hält dort eine Predigt – was eigentlich eher selten passiert. Denn der 67-jährige Pfarrer ist meist unterwegs – allerdings als Prediger in Sachen Klimawandel. Genauer gesagt: es geht ihm um Klimagerechtigkeit.
"Viele von uns sprechen dieser Tage eher von Klimagerechtigkeit als von Klimawandel", sagt er. "Es ist wichtig, den Klimawandel zu verstehen, zu akzeptieren und damit umzugehen. Doch wenn wir von Klimagerechtigkeit sprechen, sehen wir den Klimawandel in einem größeren Zusammenhang von Ungleichheit, von Unterdrückung, von Macht, von einem Ungleichgewicht. Die Opfer des Klimawandels, also diejenigen, die am stärksten betroffen sind, können am wenigsten dafür. Es ist also eine Gerechtigkeitsfrage."
Fred Small hat Jura studiert, dann bei einer Umweltschutzorganisation gearbeitet und 20 Jahre lang Musik gemacht. Die Folksong-Legende Pete Seeger bezeichnete ihn einst als einen der besten Singer-Songwriter des Landes. Dann studierte Fred Small noch einmal - und zwar Theologie in Harvard. Seit 1996 ist er Pfarrer, seit 2015 in seiner jetzigen Kirchengemeinde.
Porträt von Pfarrer Fred Small von der Union Universalist Church in Boston.
Pfarrer Fred Small von der Union Universalist Church in Boston.© Klaus Martin Höfer
"Ich habe zwei Hauptaufgaben", sagt Small. "Eine davon ist es, mein Bestes zu geben, um Menschen, die religiös sind, zu mobilisieren und anzuregen, politisch aktiv zu werden. Wenn wir lediglich unseren persönlichen Lebensstil ändern, werden wir den Herausforderungen nicht in einer angemessenen Weise gerecht. Ich predige also ständig, und dies wörtlich, dass Menschen, die religiös sind, sich in die Politik einmischen sollen, jenseits der vier Wände ihrer Kirche, ihrer Synagoge, ihres Tempels, ihrer Moschee."

Wirbelsturm Katrina rüttelt die Pastorin auf

Zum Beispiel, um gegen eine Pumpstation für Fracking-Gas zu demonstrieren, die in der Nähe eingerichtet werden soll. Auch Reverend Mariama White-Hammond ist seit Jahren Klimaaktivistin. Ihre Eltern sind Pastoren in einer African Methodist Episcopal Church, einer traditionell von Afroamerikanern besuchten Kirche mit stolzer Bürgerrechts-Tradition. Dort war White-Hammond "Minister for Ecologicial Justice", "Pastorin für Ökologie-Gerechtigkeit". Mittlerweile engagiert sie sich in ihrer eigenen Kirchengemeinde, in einem anderen Stadtteil von Boston.
Zu ihrem Umweltschutz-Engagement kam White-Hammond durch eine Art Bekehrungserlebnis. Nach dem Wirbelsturm Katrina war sie entsetzt über die Schäden in vielen Stadtviertel von New Orleans - Orte, die sie kurz zuvor besucht hatte:
"Ich habe dann angefangen zu sagen, Klimawandel betrifft alle, aber besonders betroffen sind Gemeinden mit niedrigem Einkommen – und Gemeinden, in denen Schwarze leben. Wir haben erlebt, dass die Regierung sich nicht so um diese Gemeinden gekümmert hat, wie sie es eigentlich hätte tun sollen. Vorher habe ich gedacht, ich muss mich um all die anderen sozialen Probleme kümmern, ich habe nicht die Zeit, mich auf den Klimawandel zu konzentrieren. Aber nach Katrina habe ich gesagt, ich muss meinen Fokus auch auf den Klimawandel legen, weil die Gemeinden, für die ich kämpfe, stärker davon betroffen sind als die wohlhabenden Gegenden."

Solarenergie für sozial Schwache

Auch Reverend White-Hammond geht es nicht nur darum, auf Plastikbecher und Einkaufstüten zu verzichten. Ihr geht es um konkrete Möglichkeiten, besonders Bewohnern in finanziell schwachen Lebenslagen eine Alternative zu bieten. Zum Beispiel setzt sie sich für bessere und zuverlässige Bus- und Bahnverbindungen ein, damit Menschen ihre Autos öfter stehen lassen können – nicht nur in Boston mit seinen regelmäßigen langen Verkehrsstaus ein sehr praktisches Anliegen. Und sie engagiert sich für mehr Solarstrom.
"Ich kämpfe tatsächlich dafür", erzählt White-Hammond. "Gestern Abend habe ich mich mit einem Politiker getroffen, um herauszufinden, wie Menschen mit niedrigem Einkommen einen besseren Zugang zu Solarenergie bekommen können. Ohne ein eigenes Haus ist es schwer. Wie können wir das erreichen? Solarenergie ist besser für den Planeten, besser für die Lungen, sie verringert die Luftverschmutzung. Aber auch weil die Solarenergie billiger sein kann als herkömmlicher Strom."

"Klimawandel ist Diebstahl an unseren Kindern"

Reverend White-Hammond wie auch Fred Small sehen ihr Engagement in ihrer religiösen Überzeugung begründet. Die gemeinsame Grundlage aller Religionen im Bezug auf Klimawandel ist für Fred Small aber viel grundsätzlicher:
"Jede Religion verbietet Diebstahl. Klimawandel ist Diebstahl an den verletzlichsten Völkern des Planeten und an unseren Kindern. Jede Religion verpflichtet uns zur Erhaltung der Schöpfung, also dem, was Gott uns gegeben hat. Klimawandel dörrt die Schöpfung aus. Jede Religion gebietet uns, sich um Schwache und Hilflose unter uns zu kümmern. Klimawandel richtet die Schwachen und Hilflosen unter uns zugrunde. Wenn sich die Religionen an ihre Grundsätze halten würden, dann müssten sie den Klimawandel als eine Sache des Glaubens betrachten. Als eine Sache des Gewissens und als eine des Überlebens."
Die eigene religiöse Überzeugung - welche Rolle spielt sie, wenn es um den Klimawandel geht? Dazu hat auch die Universität Yale geforscht. Matthew Goldberg vom Zentrum für Klimawandel-Kommunikation geht davon aus, dass 70 Prozent aller Amerikaner sich als Christen verstehen und dass sie einen starken Einfluss auf politische Entscheidungen haben. "Wir haben die Teilnehmer gefragt, was ihre stärkste Motivation ist, die Erderwärmung zu verringern", sagt Goldberg. "Christen gaben an, Gottes Schöpfung zu beschützen sei einer ihrer Hauptbeweggründe."
Porträt von Matthew Goldberg vom Zentrum für Klimawandel-Kommunikation der Universität Yale.
Matthew Goldberg vom Zentrum für Klimawandel-Kommunikation der Universität Yale.© Klaus Martin Höfer
In einem zweiten Experiment wollten die Wissenschaftler herausfinden, ob Menschen durch ihre moralischen, religiösen und anderen Normen aktiver werden, wenn es um Fragen des Klimawandels geht. "Bei Christen sahen wir, dass dies überwiegend zutraf", so Goldberg. "Sie haben ihre Ansichten zu Umwelt und Klimawandel geändert. Es gibt aber viele Variablen bei diesem Effekt. Zum Beispiel die bestehenden Ansichten und Informationen, die sie haben. Wenn sie viele Anti-Umwelt-Nachrichten konsumieren, wird es schwer sein, sie zu überzeugen. Aber wir denken, es ist ein vielversprechender Weg, die moralischen Überzeugungen anzusprechen."

Umwelt-Pfarrer finden bei der Politik Gehör

Ob dies dann letztlich auch zu Entscheidungen führt, entsprechende Politiker zu wählen, ist dann noch eine weitere Frage. Umwelt-Pastor Fred Small hat jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass er und die anderen religiösen Führer bei vielen Abgeordneten auf ein offenes Ohr stoßen:
"Politiker in den Parlamenten reagieren sehr, sehr positiv, wenn Geistliche aus ihrem Wahlbezirk in ihre Büros kommen und dort über die moralischen und religiösen Gründe für Entscheidungen zum Thema Klimawandel zu sprechen. Es muss nur mehr davon umgesetzt werden."
Small ist nicht nur Aktivist, als Pfarrer ist er auch Seelsorger. Im privaten Gespräch mit Mitgliedern seiner Gemeinde kommen dann viele Befürchtungen über den schnell voranschreitenden Klimawandel und die andererseits langwierigen Diskussionen und Entscheidungen in der Politik zutage.

Zukunftsängste der Menschen auffangen

"Ich betreue Menschen seelsorgerisch, die ängstlich und verzweifelt sind wegen des Klimawandels", so Small. "Die Auswirkungen sind nicht nur ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Art, sondern auch psychologisch und geistlich, wenn Menschen den Ernst der Umstände erkennen. Manche reagieren mit starken Gefühlen, Verwirrung, Entmutigung, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Depression."
Und wie kommt er selbst damit zurecht?
"Ich unterscheide Hoffnung und Optimismus", sagt Fred Small. "Wer optimistisch denkt, sagt: es wird schon irgendwie gut werden. Wer hofft, geht davon nicht unbedingt aus. Ich bin also nicht optimistisch. Wenn ich die wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachte und das vergleiche mit dem, was ich in der Politik sehe, dann bin ich besorgt, dass es sehr schlimm werden wird. Aber ich denke auch, dass jeder von uns auch immer verantwortlich ist, sein Bestes zu tun, um Leiden zu mindern und eine Welt zu ermöglichen, in der ein Ende des Klimawandels und auch eine Gesellschaft und soziale Werte mit gesünderen, menschlicheren und gerechteren Beziehungen möglich scheinen."
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