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"Daily Mail"-Chefredakteur hört auf
"Mit dem Brexit hat er sich sein Denkmal gesetzt"

Für die einen ist er ein rücksichtsloser Bully, für die anderen "einer der größten Chefredakteure aller Zeiten": Unter Paul Dacre wurde die "Daily Mail" zu einer der wichtigsten und aggressivsten Zeitungen Großbritanniens, die sogar mit zum Brexit geführt haben soll. Nun zieht sich Dacre zurück.

Von Friedbert Meurer | 13.06.2018
    Der britische Journalist Paul Dacre 2012 vor dem Royal Courts of Justice in London.
    Noch bis November wird Paul Dacre Chefredakteur der Daily Mail bleiben - dann hört er auf (AFP / Justin Tallis)
    Ein rücksichtsloser Bully und Tyrann, so skizzieren ihn die einen. Für andere ist Paul Dacre ein genialer Blattmacher in der Ära einer existenziellen Zeitungskrise. Die Nachricht, dass Dacre nach einem Vierteljahrhundert als Chefredakteur der "Daily Mail" abtritt, ging jedenfalls wie ein Lauffeuer durch alle Medien. Für den Labour-Politiker Andrew Adonis ist es die beste Nachricht seit langem überhaupt.
    "Es ist ein Moment nationaler Befreiung. Er hat das öffentliche Leben 25 Jahre lang negativ geprägt. Er war gegen Homosexualität, gegen Einwanderung, EU, gegen Labour und gegen die Gewerkschaften."
    "Fanatisch darauf bedacht, akkurat zu sein"
    "Er ist einer der größten Chefredakteure aller Zeiten", preist ihn dagegen Peter Obrone an, ein Kolumnist für die Daily Mail.
    "Er verstand sein Handwerk und er war geradezu fanatisch darauf bedacht, akkurat zu sein. Im Newsroom wird allen Kollegen immer eingetrichtert: checkt, checkt, checkt!"
    Ehemalige Journalisten der "Daily Mail" berichten in der Tat, wie groß der Druck unter Dacre sein muss. Oft habe er zwei Reporter gleichzeitig auf eine Story angesetzt, um den Druck zu erhöhen, nur einer von beiden Artikeln wurde gedruckt.
    "Daily Mail" - Anwalt des kleinen Mannes
    Paul Dacre lehrte nicht nur die eigenen Journalisten, sondern den Mächtigen des Landes das Fürchten. Politiker, Schauspieler, Wirtschaftsbosse wurden gnadenlos angeprangert wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Fehltritte. Die "Daily Mail" versteht sich als Anwalt des kleinen Mannes. In einer seiner wenigen öffentlichen Auftritte gab Dacre 2011 folgende Kampfansage ab.
    "Stehe ich denn alleine damit, dass ich die Heuchelei und Rachegelüste der politischen Klasse wittere? Sie entrüstet sich über die britische Presse, die es wagt, ihre Gier und Korrumpierbarkeit aufzudecken."
    Diese Wächterfunktion gestehen auch Kritiker der "Daily Mail" zu, halten das Blatt aber für einen Brunnenvergifter, vor allem bei der Einwanderung. "Daily Mail"-Mann Peter Obrone sieht das anders.
    "Einwanderung wurde als etwas angesehen, worüber man nicht diskutieren darf. Paul Dacre ist kein Rassist. Es hat einen massiven demographischen Wandel gegeben. Die 'Mail' war eine der wenigen Zeitungen, die den Mut aufbrachte, den Finger darauf zu legen."
    Mehr als die Hälfte sind Leserinnen
    Die Leser der "Daily Mail" sind über 58 Jahre alt, leben eher in Klein- und Mittelstädten oder wie es so oft heißt in "Middle England" und weniger in den urbanen Zentren. Mehr als die Hälfte der Leser sind Frauen, die am konservativen Frauenbild der "Daily Mail" keinen Anstoß nehmen, anders als manche Comedians.
    "Es gibt keinen Artikel über eine Frau, in dem nicht darauf eingegangen wird, wie sie aussieht. Die Frau sei zu fett, zu dünn, sie habe zu viele Kinder, zu wenige Kinder. Die Mail erzählt uns laufend, wir können nicht alles haben. Nein, ihr könnt uns verdammt noch mal nicht ständig erzählen, wir könnten nicht alles haben."
    Massiver Kurs pro Brexit
    Unter Paul Dacre fuhr die Zeitung "Daily Mail" auch einen massiven Kurs pro Brexit. Der frühere Premierminister David Cameron soll versucht haben, den Verleger Lord Rothermere dazu zu bewegen, Dacre zu entlassen. Rothermere, der selbst gegen den Brexit ist, habe das abgelehnt. Er wolle keinen Einfluss auf die redaktionelle Linie seines Blatts nehmen. Labour-Politiker Andrew Adonis weiß, welche Macht Paul Dacre im Regierungsviertel hatte.
    "Zu oft haben die Daily Mail und die persönliche Meinung eines Paul Dacre beeinflusst, was in den Ministerien gedacht wurde. Mit dem Brexit hat er sich sein Denkmal gesetzt."
    Dacre wird im November 70 Jahre alt und steigt dann in die Verlagsführung auf. Er wird dann aber nicht mehr die inhaltliche Richtung der "Daily Mail" bestimmen.
    Diese Aufgabe kommt ab November auf seinen Nachfolger Geordie Greig zu. Der künftige Chefredakteur ist ein "Remainer", ein EU-Befürworter. Greig ist Chef der Online-Ausgabe der "Mail" und ein Intimfeind von Paul Dacre. Nicht auszuschließen, dass Verleger Lord Rothermere doch endlich den rabiaten Anti-EU-Kurs der "Daily Mail" geändert sehen will.