Umstrittener Freiheitskämpfer

Von Brigitte Baetz und Sabine Lipka · 20.02.2010
Für die Tiroler ist er bis heute das Symbol ihrer Eigenständigkeit und ihres Volkscharakters. Jedes Jahr am 20. Februar, dem Tag seiner Hinrichtung durch Soldaten Napoleons, wird Andreas Hofer als Nationalheld gefeiert - sowohl im österreichischen Bundesland Tirol als auch von der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols, das zu Italien gehört.
Zu Mantua liegt er im Kerker, der Andreas Hofer, Landwirt aus dem südlichen Tirol. Das Schicksal, oder - modern gesagt - die Zeitumstände haben ihn für ein knappes Jahr zum Helden gemacht, dessen Ruf sich über ganz Europa verbreitete. Mit einer Schar von Anhängern, quasi im Alleingang, so will es die Legende, hat er Franzosen und Bayern aus seinem Heimatland Tirol vertrieben. Königin Luise von Preußen schreibt:

"Welch ein Mann, dieser Andreas Hofer! Ein Bauer wird Feldherr, und was für einer! Seine Waffe – Gebet; sein Bundesgenosse – Gott. Er kämpft mit gebeugten Knien und schlägt mit dem Flammenschwert des Cherubs."

Doch er kämpft am Ende auch allein – die Österreicher, die ihn zum Aufstand ermutigt haben, lassen ihn im Stich. Seine Anhänger wenden sich von ihm ab: den einen ist er nicht fanatisch, den anderen nicht verhandlungsbereit genug.

"Wir sind bereit zum letzten Kampf. Gott ist auf unserer Seite. Es gibt viele Leute, die lieber den Frieden wollen als den aussichtslosen Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Wenn wir jetzt weitermachen, geht das Elend erst recht los in Tirol, Anderl."

Alles beginnt im Passeiertal, 20 Kilometer von Meran entfernt. Dort liegt der Sandhof, wo Andreas Hofer 1767 geboren wird. Hier wechseln die Händler ihre Pferde und tauschen Neuigkeiten aus, bevor sie übers Gebirge ziehen. Hier erwirbt sich der groß gewachsene Mann mit dem eindrucksvollen Vollbart seinen Ruf als Redner und Anführer. Die Tiroler sind streng religiös und gleichzeitig selbstbewusst. Sie stellen das Gottesgnadentum ihres österreichischen Kaisers nicht in Frage. Er hat ihnen garantiert, dass sie nur zur Selbstverteidigung in den Krieg ziehen müssen und dass jeder wehrfähige Mann eine Waffe tragen darf.

1796 - das revolutionäre Frankreich hat seine ersten militärischen Siege errungen - schlägt Abt Sebastian Stöckl vor, das Land Tirol dem "Heiligsten Herzen Jesu" anzuvertrauen. Die Landstände stimmen zu - Tirol wird zum "Heiligen Land", der heraufziehende Krieg zum Heiligen Krieg. 1805 wird Tirol dem mit Napoleon verbündeten Bayern zugesprochen. Eine folgenschwere Entscheidung: die Bayern fühlen sich dem Gedanken der Aufklärung verpflichtet und beschneiden die traditionelle Selbstverwaltung der Tiroler, greifen in das religiöse Leben ein, heben sogar Rekruten aus. Es kommt zum Aufstand. Bayern und Franzosen sehen sich diesmal keinen gezwungenen Soldaten oder Söldnern gegenüber, sondern Bauern, die für ihre eigenen Überzeugungen einstehen und Gottes Gunst auf ihrer Seite glauben. Am 9. April 1809 erlässt Andreas Hofer die Order für seine Passeirer und Burggräfler Schützen:

"Morgen wird für Gott, Kaiser und Vaterland ausgezogen und jedermann ermahnt, brav dreinzuschlagen."

Schnelle Erfolge scheinen den Tirolern Recht zu geben. In mehreren Gefechten am Berg Isel besiegen sie die zahlenmäßig überlegenen Truppen der Bayern und Franzosen. Hofer, der "Vater und Erlöser", wie sein Mitkämpfer Josef Speckbacher ihn nennt, errichtet mit seinen Anhängern in Innsbruck einen Gottesstaat. Angestachelt vom radikalen Kapuzinerpater Haspinger, werden Juden drangsaliert, Tanzveranstaltungen als "Feste des Lasters" verboten. Frauen müssen sich einer strengen Kleiderordnung unterwerfen.

"Viele meiner gueten Waffenbrüder und Landesvertheidiger haben sich geärgert, dass die Frauenzimmer von allerhand Gattungen ihre Brust- und Armfleisch zu wenig, oder mit durchsichtigen Hüdern bedecken, und also zu sündhaften Reizungen Anlass geben, welches Gott und jedem christlich Denkenden missfallen muss."

Doch schnell zeigt sich, dass Hofer überfordert ist – politisch vor allem, aber auch militärisch. Nach einer schweren Niederlage gegen die Franzosen flieht er ins heimatliche Passeiertal, wo er von einem Nachbarn verraten wird. Er, der sich als Streiter des österreichischen Kaisers versteht, fällt nicht unter den Schutz irgendeiner Landkriegsordnung. Nach Mantua verschleppt, wird er am 20. Februar 1810 als Aufrührer füsiliert. Im Schachspiel der Weltpolitik ist Andres Hofer, im wahrsten Sinne, ein Bauernopfer.