Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Historikertag
Geschichtsunterricht nicht an den Rand drängen

Anlässlich des Historikertags in Hamburg fordert der Deutsche Geschichtslehrerverband, dass das Fach nicht an den Rand gedrängt wird. Aus Sicht des Vorsitzenden Ulrich Bongertmann sind zwei Stunden in der Unter- und drei Stunden in der Oberstufe wöchentlich sinnvoll. Deutschland sei mit Geschichtslehrern ganz gut ausgestattet, doch müsste überhaupt garantiert werden, dass das Fach stattfindet.

Ulrich Bongertmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 20.09.2016
    Ulrich Bongertmann, Vorsitzender des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands spricht in ein Mikrofon
    Ulrich Bongertmann, Vorsitzender des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands (dpa/picture alliance/Daniel Reinhardt)
    Manfred Götzke: Wohl an keinem Ort der Welt ist die Dichte an historischem Wissen zurzeit so groß wie in Hamburg. Da treffen sich nämlich von heute bis Freitag 3.500 Historiker aus aller Welt zum Historikertag, dem deutschen Historikertag. Viele da machen sich allerdings Sorgen um den Nachwuchs und insgesamt um die historischen Kompetenzen, vor allem natürlich die Geschichtslehrer, die auch auf der Konferenz mit dabei sind. Der Vorsitzende des Deutschen Geschichtslehrerverbandes heißt Ulrich Bongertmann, und er beklagt, dass das Fach Geschichte immer weiter zurückgedrängt wird. Er ist uns jetzt aus Hamburg zugeschaltet. Guten Tag!
    Ulrich Bongertmann: Guten Tag, Herr Götzke, ich grüße auch die Hörer an den Apparaten!
    Götzke: Herr Bongertmann, woran machen Sie den Schwund des Geschichtsunterrichts denn fest?
    Bongertmann: Es gibt Probleme, die von mehreren Seiten kommen. Unser Hauptanliegen ist, dass das Fach vor allem in Schulformen außerhalb des Gymnasiums zunehmend zusammengelegt wird mit Erdkunde und Politik und dann auch fachfremd unterrichtet wird von einem Lehrer, der also Geschichte nicht wirklich studiert hat. Dann kann es eben passieren, dass das Fach Geschichte sehr an den Rand gedrängt wird. Das würden wir gerne in der Entwicklung etwas hemmen und möglichst überwinden.
    "Geschichtsunterricht ist immer mit Gegenwartsbezug verbunden"
    Götzke: Aber kann so eine Fächerverbindung von Geschichte, Politik oder Sozialkunde nicht auch sinnvoll sein, weil Schülern zum Beispiel die Auswirkung, die Relevanz für die aktuellen politischen Themen dann nähergebracht wird?
    Bongertmann: Ja, das sollten aber die Geschichtslehrer durchaus können, denn ein Geschichtsunterricht ist immer mit Gegenwartsbezug verbunden. Die Gefahr ist eben, dass wenn keine historischen Kenntnisse da sind, also speziell bei schwierigen Themen wie Holocaust oder DDR und so weiter, dass dann auch Falsches unterrichtet wird, oder man vermeidet das, weil man das nicht anfassen möchte. Das beobachten wir teilweise in den Schulen.
    Götzke: Aber liegt es auch daran, dass zu wenig Historiker an den Schulen unterrichten? Sie haben ja gerade gesagt, diese fachfremde Geschichte kommt häufiger vor.
    Bongertmann: Nein, also mit Geschichtslehrern ist Deutschland eigentlich ganz gut ausgestattet, also gerade der Nachwuchs hat eher Probleme, Stellen zu finden, weil es schon Geschichtslehrerinnen und -lehrer gibt. Also insofern, es wäre möglich, es anders zu machen. Vor allem, wenn man die Vorteile eines zusammenhängenden Unterrichts haben möchte, müsste man auf jeden Fall garantieren, dass Geschichte überhaupt stattfindet. Das wäre doch das Minimum aus meiner Sicht.
    Götzke: Wie viel Geschichte pro Woche an Unterrichtsstunden wäre denn aus Ihrer Sicht sinnvoll und wie viel davon findet statt?
    Bongertmann: Ja, das kann ich Ihnen sagen: Was wir wollen, das ist zwei Stunden wöchentlich und drei Stunden in der Oberstufe. Eine Übersicht, die wir gemacht haben für die Bundesländer, sagt allerdings, dass das nur in wenigen Ländern erreicht wird. In einigen ist es insbesondere durch die Integration der Fächer kaum mehr feststellbar, wie viel Geschichte stündlich unterrichtet wird.
    Götzke: Das ist natürlich sehr, sehr wenig.
    Bongertmann: Ja, das sehen wir auch so. Deswegen weisen wir ja darauf hin aus Anlass des Historikertages, dass man das ändern soll.
    "Insbesondere gibt es heute eine große Vorsicht, sich mit den religiösen Inhalten auch auseinanderzusetzen"
    Götzke: Kommen wir dann mal auf den Historikertag selbst zu sprechen: Das Motto lautet "Glaubensfragen". Gehören denn diese Glaubensfragen in den Geschichtsunterricht, und kennen sich die Historiker damit aus mit Glaubensgeschichte?
    Bongertmann: Ja, das sind natürlich eigentlich Klassiker des Unterrichts, also Christenverfolgung, Reformationsgeschichte, Widerstand im Dritten Reich, sind eigentlich jedem Geschichtslehrer geläufig. Allerdings ist da auch ein Schwund feststellbar, insbesondere gibt es heute eine große Vorsicht, sich mit den religiösen Inhalten auch auseinanderzusetzen. Andererseits haben wir durch die aktuelle Situation eher eine Verstärkung religiöser Themen in der Gesellschaft, in den Medien, und die Schülerinnen und Schüler haben ja das Recht, sich darüber zu informieren. Da sollten sie auf gut informierte Lehrer treffen, und dafür bieten wir hier beim Historikertag die Gelegenheit an.
    Götzke: Aber gehört das tatsächlich in den Geschichtsunterricht –
    Bongertmann: Ja.
    Götzke: – oder gehört sowas wie in vergleichende Religionswissenschaften?
    Bongertmann: Das gibt es eben nicht in der Schule.
    Götzke: An manchen Schulen schon.
    Bongertmann: Ja, als Fach gibt es katholische oder evangelische Religion, und das ist jetzt nicht neutral, sondern das ist ja sozusagen in Abstimmung mit der entsprechenden Kirche zu lehren. Geschichtswissenschaft befasst sich in der Tat aus einer zunächst neutralen Perspektive mit Glaubensinhalten, aber natürlich macht es keinen Sinn, über Geschichte zu sprechen, wenn man die gar nicht kennt, etwa, was die zentralen Lehren der Reformation sind. Da werden wir im nächsten Jubiläumsjahr sehr viel hören, welchen Einfluss das auf die Geschichte gehabt hat.
    Götzke: Auf dem Historikertag sind ja auch Fachkollegen aus anderen europäischen Ländern dabei. Ich habe es ja vorhin schon angesprochen. Wie sieht das denn bei unseren europäischen Nachbarländern aus? Spielt Geschichte dort eine größere oder eine kleinere Rolle?
    Bongertmann: Das hängt von den Ländern ab. Wir haben natürlich ein paar Länder wie die Türkei, die den Geschichtsunterricht auch instrumentalisieren, um in ihrer Jugend quasi ein nationales Dogma zu erzeugen. Das hat dann überhaupt nichts mit kritischem Geschichtsunterricht zu tun …
    Götzke: Und bestimmte Themen aussparen. Stichpunkt Armenia.
    Bongertmann: Ja, Armenia werden gar nicht behandelt, auch die Feindschaft zu den Griechen wird einseitig behandelt, die ganze Vertreibung da. Das ist das eine Extrem, das gibt es natürlich weltweit auch. Von Korea bis meinetwegen Südamerika, aber auf der anderen Seite haben wir in Europa sehr viele Länder mit einer liberalen pädagogischen Tradition. Gerade die Britischen Inseln, Skandinavien, Holland, Belgien, da wird durchaus auch drauf geachtet, dass die Schüler selber urteilsfähig in Geschichte werden, soweit das eben mit Heranwachsenden geht.
    Götzke: Sagt Ulrich Bongertman vom Deutschen Geschichtslehrerverband. Er beklagt, dass das Fach Geschichte immer weniger Relevanz hat an den Schulen in Deutschland. Vielen Dank!
    Bongertmann: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.