Umgang mit Corona

Macht es Schweden besser?

07:29 Minuten
Promenade in Stockholm, über die an einem Nachmittag viele Menschen laufen, auch die Straßencafes sind gut gefüllt.
"Den besten Effekt gibt es, wenn sich alle einfach an die grundlegenden Verhaltensweisen halten". Schwedens oberster Epidemiologe Anders Tegnell hält nichts von Verboten und Ausgangssperren. © imago / TT / HenrikMontgomery
Von Carsten Schmiester · 30.03.2020
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Gegen Corona setzt fast die ganze Welt auf Verbote und Beschränkungen. Schweden jedoch nicht: Dort sind sogar Cafés nach wie vor geöffnet. Und die Gesundheitsbehörden sind überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Ganz anders macht es Nachbar Norwegen.
Eigentlich haben die Schweden im hohen Norden ja einen ganz anderen Ruf: Man nennt sie die "Preußen Skandinaviens", weil sie sich etwa im Gegensatz zu den lässigen Dänen gern an alle möglichen und auch unmöglichen Verfahren und Regeln halten, weil sie dem Staat vertrauen und ihm einen Großteil der sozialen, selbst familiären und individuellen Verantwortung übertragen haben.

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Doch seit Corona steht die Welt auch hier Kopf: Schweden geht seinen eigenen Weg und setzt seitens der Regierung plötzlich darauf, dass die Leute selbst am besten wissen, was gut ist für sie. Vater Staat agiert nur noch als wohlwollender Ratgeber. Stefan Löfven, Chef der rot-grünen Minderheitsregierung, verkauft das Ganze als Bekenntnis zur Freiheit der Bürger. Die werde man nicht, wie fast überall woanders, massiv einschränken:
"Es gibt eine individuelle Verantwortung, die muss jeder für sich selbst, für seine Mitmenschen und sein Land übernehmen. Wenn alle das tun, kommen wir als Gesellschaft auch durch diese Krise."
Also bleiben Kitas und die hier neunjährigen Grundschulen geöffnet, Läden und Restaurants auch, selbst Skigebiete. Veranstaltungen mit weniger als 50 Teilnehmern sind weiterhin völlig okay. Hinter diesem entspannten schwedischen Weg steht maßgeblich der oberste Epidemiologe des Landes, Anders Tegnell:
"Wir denken, dass wir die wirklich wichtigen Maßnahmen ergriffen haben. Zu Hause bleiben, wenn man sich krank fühlt. Alle, die von zu Hause arbeiten können, sollten dies tun, und wir müssen unsere älteren Mitbürger schützen. Man könnte dann andere Regeln verändern, etwa für Restaurantbesuche oder Versammlungen. Aber den besten Effekt gibt es, wenn sich alle einfach an die grundlegenden Verhaltensweisen halten."

Schweden glaubt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben

Allerdings spricht sich in Schweden langsam herum, dass viele andere Länder eher kritisch auf Schweden schauen. Was offiziell aber nicht im Ansatz zum Umdenken führt, im Gegenteil. Johan Carlson, der Chef der schwedischen Gesundheitsbehörde, nimmt sich nun "die anderen" vor:
"Ich hatte in der vergangenen Woche Kontakt mit einigen europäischen Kollegen. Viele sind unglücklich über Beschränkungen in ihren Ländern. Sie werden ja nicht immer befolgt, weil das Verständnis fehlt. Warum darf nur einer mit dem Hund raus, wenn er zwei Personen gehört, die zusammen wohnen? Solche Regeln untergraben das Vertrauen in die Behörden. Ich finde, es ist ein heikles Experiment, eine ganze Bevölkerung für vier, fünf Monate einzusperren."
Eine fast leere U-Bahn Station in Stockholm in Schweden am 17. März 2020.
Offenbar geht es in Schweden auch ohne Verbote: eine fast leere U-Bahn Station in Stockholm am 17. März 2020.© Getty / Nils Petter Nilsson
Und dann findet er auch und mit ihm das offizielle Schweden, dass der "schwedische Weg" gar nicht so "abwegig" ist.
"Der Unterschied ist ja nicht groß. In Ländern, die komplett dicht gemacht haben, sind nach wie vor Arbeitsplätze offen. Was man nicht darf, ist mit dem Hund rausgehen oder in die Geschäfte. Um Ansteckung zu verhindern, ist es aber am wichtigsten, dass Menschen mit Krankheitssymptomen zu Hause bleiben und dass wir die Schwachen schützen. Man soll an die frische Luft. Es ist ungesund, fünf, sechs Monate lang im Haus zu sitzen."

Norwegens Wirtschaft wurde kalt erwischt

Gleich nebenan sieht die Sache anders aus. In Norwegen regiert die Konservative Erna Solberg und hat ein Problem. Das aus den Einnahmen der Öl- und Gasförderung in der Nordsee reiche Land ist von der Corona-Pandemie wirtschaftlich besonders hart getroffen, obwohl Solberg früh auf harte Gegenmaßnahmen gesetzt hatte: Häfen und Flughäfen dicht, Zwangsquarantäne für Einreisende. Das hat die Wirtschaft offenbar ziemlich kalt erwischt:
"Fast 335.000 Norweger haben sich bis jetzt arbeitslos gemeldet, Viele von ihnen, genau etwa 276.000, werden später wieder in ihre ursprünglichen Jobs zurückkehren können. Trotzdem, unser Land hat aktuell die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg."
Es hat aber auch den Staatsfonds, in den ein Großteil der Profite aus der Öl- und Gasgewinnung geflossen sind und der selbst nach dem Kurssturz an den Börsen umgerechnet noch immer knapp 850 Milliarden Euro wert ist. Zum Glück, so Finanzminister Jan Tore Sanner:
"Die Coronakrise hat viele von uns getroffen. Dementsprechend breit gestreut sind unsere Hilfsmaßnahmen. Glücklicherweise haben wir Manövriermasse, die wir jetzt nutzen und zwar gegen Einkommensverluste und für die Verbesserung der Liquidität in norwegischen Unternehmen und Haushalten. Das Hilfspaket umfasst an die 315 Milliarden Kronen."
Das sind umgerechnet knapp 27 Milliarden Euro für die "Phase Zwei" der norwegischen Krisenbewältigung. "Phase Drei" soll dann der Wiederaufbau der Wirtschaft nach Corona sein. Nur dass heute niemand weiß, wann es damit losgehen kann. Nicht so schnell, das ist wohl die Annahme. Bent Høie, Norwegens Gesundheitsminister, geht offenbar davon aus, dass trotz der konsequenten Gegenmaßnahmen ein Ende der Corona-Ausbreitung auf sich warten lässt.

Norwegen setzt auf Verbote

Während beim Nachbarn Schweden das öffentliche Leben einigermaßen normal weitergeht, müssen die Norweger, wie auch die Dänen, Finnen oder Deutschen wohl noch eine Weile mit umfassenden Einschränkungen leben:
"Kitas, Schulen und Universitäten bleiben geschlossen. Alle Norweger sind weiterhin aufgerufen, wenn möglich im Homeoffice zu arbeiten und keine öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Wir bitten Sie mit noch mehr Nachdruck, immer und überall Abstand voneinander zu halten. Kulturelle und sportliche Veranstaltungen auch unter freiem Himmel bleiben verboten."
Da gibt es dann auch schon mal neidische Blicke nach Osten, über die norwegisch-schwedische Grenze hinweg, an der sich zwei Anti-Corona-Konzepte gegenüberstehen: Entschlossenes Handeln und entspanntes Hoffen nach dem urschwedischen Lebensgrundsatz "det löser sig", frei übersetzt "das wird schon werden". Wird es das wirklich? Frode Forland ist Norwegens oberster Seuchenbekämpfer und stellt mit wissenschaftlicher Nüchternheit fest:
"Was gerade in Schweden passiert, unterscheidet sich von dem, was man in Norwegen oder auch Dänemark macht. Ein interessantes Experiment. Wir können so die Effekte der unterschiedlichen Methoden beobachten. Das ist wichtig, um zu verstehen, was funktioniert und was nicht, um eine Grundlage für künftige Strategien zu bekommen."
Man könnte das auch wesentlich leidenschaftlicher ausdrücken: Das Experiment heißt ja in Wahrheit "Schweden gegen den Rest der Welt", wenn man Länder wie Brasilien mal ausklammert. Und so sehr man den Schweden dabei wünscht, dass sie am Ende Recht behalten: Nach allem, was die Wissenschaft derzeit zu Corona sagt und vorhersagt, ist das nicht besonders wahrscheinlich!
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