Um die roten Linien herumgelacht

Von Mona Sarkis · 22.12.2009
Arabische Karikaturisten sollen das politische Tagesgeschehen ironisch kritisieren - ohne aber die Politik ihrer Regime zu kritisieren. Das klingt nach Mühsal, und es ist Mühsal. Doch mit Witz und Phantasie schaffen es diese modernen Hofnarren immer wieder, die Zensur auszutricksen.
Porträts, Porträts, Porträts. Das ist die Spezialität von Libanons Starkarikaturist Stavro. Sein aktuelles Lieblingsobjekt: Libanons neuer – und recht debil wirkender Premier. Ihm würden die eigenen Wähler gerne ein "B" und ein "C" schenken, weil er offensichtlich nur über ein "A, Äaah" verfügt, witzelt Stavro. Das ist lustig, aber würde er sich auch an Hassan Nasrallah, den Chef der Hisbollah, so verschmitzt heranwagen?

"Selbstredend! Ich feinde ihn ja nicht persönlich an. Im Übrigen agiert er mehr als Politiker denn als Kleriker."

Anders ausgedrückt: Von der klerikalen Rolle des Schiitenführers lässt Stavro lieber die Finger. Und wenn er ihn in seiner politischen Funktion aufs Korn nimmt, dann sieht das so aus: Ein ernster Mann mit überdimensioniertem Kopf auf winzigem Körper. Nicht minder taktvoll porträtiert er die mächtigen saudischen Prinzen. Ganz so einfach scheint die Sache mit dem Humor also nicht. Nicht einmal in Libanons angeblich so freier Presse. Szene-Kenner Saad Halawani, vom British Council in Palästina, macht daraus kein Hehl:

"Es ist in allen arabischen Ländern dasselbe – keiner weiß, wo die roten Linien verlaufen. Ein besonders absurdes Beispiel ist der Fall des jordanischen Künstlers Imad Hajjaj. Er hat den jordanischen König gezeichnet – das erste Mal, dass das jemand gewagt hat – und wurde daraufhin von seiner Zeitung 'Al-Ra-i' gefeuert. Vom König selbst aber bekam er ein Dankesschreiben. Sie sehen: Freiheit hängt allein von der Auslegung der jeweils zuständigen Autoritätsperson ab."

In eben diesen Interpretationsspielräumen aber sehen viele die Chance für die zensurgeplagten Karikaturisten des Nahen Ostens. So erklärt die syrische Cartoonistin Sahar Burhan:

"Letztlich genießen wir mehr Freiheiten als Journalisten. Denn während der Intelligenzquotient der Zensurbeamten für direkte Töne noch ausreicht, macht er bei den symbolträchtigen Maskeraden der Karikaturisten schon eher schlapp."

Und so spielt Burhan, die zu einem Dutzend weiblicher Karikaturisten im arabischen Sprachraum zählt, gern mit Symbolen. Etwa wenn sie die Bedrohung, die die arabischen Diktatoren für ihre Untertanen darstellen, in Form eines Galgens reflektiert, auf den ein kleiner gelber Ball zurollt. Denn am Galgen baumelt - ein Tennisschläger. Intelligent, elegant, recht keck und vor allem: ohne Worte. Bewusst will sie dem Betrachter den Witz nicht nochmals schriftlich geben. Und das nicht nur mit Rücksicht auf die Beschränktheit der Zensurbehörden, sondern auch, weil sie bloße Witzchen als "Karikatur der Politiker, aber nicht als politische Karikatur" empfindet.

"Letztere eröffnet Dimensionen. Etwa eine Hand, die eine Rose einpflanzt, indem sie mit dem Hammer auf sie einschlägt – schließlich sprechen wir kaum von Landwirtschaft …"

Mit ihren liebevoll von Hand aquarellierten Zeichnungen arbeitet die 42-jährige Burhan noch in einem eher konservativen Stil. Die Generation der 25- bis 30-Jährigen verfährt anders. Saad Halawani:

"Seit den 90ern arbeiten immer mehr junge Grafik- und Webdesigner von Palästina über Ägypten bis Jordanien am Computer. Sie finden das angemessener, weil es schneller ist. Zudem verzichten sie auf den Individualismus, den die Älteren pflegen und treten als Kollektive auf."

Das ist an sich eine politische Kritik – nämlich an der Zersplittertheit und Zerstrittenheit, die viele arabische Künstler in ihren Gesellschaften ausmachen. Statt Einzelkämpfertum streben sie eine neue Solidarität an. Und bei manchen Künstlerkollektiven wie dem palästinensischen "Zan-Studio" führt dies dazu, dass keines der acht Mitglieder mehr namentlich ein Werk signiert – auch dann nicht, wenn es der alleinige Urheber der Karikatur war.

Um ihre Arbeiten veröffentlichen zu können, suchen die jungen Künstler ebenfalls nach neuen Wegen.

"Wenn eine Zeitung aus Furcht vor Restriktionen eine Karikatur ablehnt, wird sie eben ins Internet gestellt. Alle nutzen die Präsentationsmöglichkeiten auf Youtube und pflegen eigene Webseiten. Damit schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens entkommen sie eher der Zensur, der der Überblick über die Internetseiten viel schwerer fällt als der über die Zeitungsseiten. Zweitens warten die Jungen nicht länger gottergeben darauf, dass die Leute zu ihnen kommen – sie gehen zu den Leuten."

Und das nicht nur virtuell. Die junge Generation gibt sich grundsätzlich volkstümlicher. Ein Schaffen im elitären Elfenbeinturm, wie es noch Altmeister wie der Libanese Pierre Sadek oder der Syrer Ali Farzat kultivieren, ist geradezu verpönt. Stattdessen überlegen die jungen Künstler, wie sie auch die zahllosen arabischen Analphabeten erreichen können. Da das weder über Zeitungen noch über das Internet funktioniert, heftet beispielsweise "Zan-Studio" seine Arbeiten kurzerhand an die Wände von Minibussen und fährt damit in die Dörfer des Westjordanlandes. Das sei keineswegs eine Einzelinitiative im arabischen Raum, sagt Halawani. Allein schon, weil die Resonanz so ermutigend ist. Und zwar nicht nur von Seiten der Analphabeten.

In der Tat: Gerade weil die Politik im Nahen Osten jedermanns Leben diktiert, zugleich aber stark tabubeladen ist, hat die politische Karikatur dort einen Stellenwert, der in Europa seinesgleichen sucht. So erklärt Sahar Burhan:

"Ein schwedischer Karikaturist hat mir kürzlich gestanden, dass er uns regelrecht beneidet, weil sich die Leute so für unsere Arbeit interessieren und – wir ihnen obendrein viele schrecklich anregende Themen bieten können."