Um den Ruhm gebracht

10.12.2009
Die Geschichte eines der bedeutendsten Medikamente der Medizingeschichte beginnt auf einer Ferienreise: In den 1960er-Jahren machten es sich die Mitarbeiter des Schweizer Pharmaunternehmens Sandoz zur Gewohnheit, im Urlaub Bodenproben zu nehmen – in der Hoffnung, die darin wimmelnden Pilzfäden und Mikroorganismen könnten daheim im Labor interessante Substanzen für die Medikamentenforschung preisgeben.
Auf diese Weise landete Erde aus Norwegen auf der Laborbank von Hartmann Stähelin, dem damaligen Leiter der Pharmakologischen Abteilung. Nun hat der Journalist Stephan Bosch diesem Forscher und seiner bahnbrechenden Arbeit ein ganzes Buch gewidmet: "Die Akte Sandimmun – Ein Pharma-Skandal".

Hartmann Stähelins Forschungsarbeiten ist es zu verdanken, dass "Cycolosporin" entdeckt wurde - das erste Therapeutikum, das Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen effektiv verhindern konnte. Es rettete Tausenden das Leben und spülte unter dem Handelsnamen "Sandimmun" Millionen in die Kassen des Unternehmens.

Spannend wie ein Krimi liest sich, was Stephan Bosch über die Entdeckungsgeschichte zusammengetragen hat: Stähelin, bescheiden und gründlich, führte bei Sandoz einen neuen Test auf immunsupressive Wirkungen von Substanzen ein. Nur deshalb geriet Bodenprobe 24-556 überhaupt in den Fokus intensiverer Forschungsarbeiten. Stählin gelangen dann die entscheidenen Tests zur Reinigung des von einem Pilz produzierten Mittels. Er schlug als Experte in "Galenik", der Lehre von der richtigen Gabe von Arzneimitteln, auch eine sinnvolle Verabreichungsform vor und wies auf mögliche Nebenwirkungen hin. Kurz: Stähelin war der wissenschaftliche Kopf hinter dem Medikament.

Doch dann beging er einen folgenschweren Fehler, wie Stephan Bosch nachzeichnet: Stähelin beauftragte seinen ehrgeizigen Mitarbeiter Jean François Borel, auf Tagungen von der Neuentdeckung zu berichten. Der schob sich daraufhin in Vorträgen und Publikationen mehr und mehr in den Vordergrund, bis er am Ende die ganze Wissenschaftsgemeinde davon überzeugt hatte, der Entdecker des segensreichen Produktes gewesen zu sein. Charmant und redegewandt avancierte Borel zum "Mr. Cyclosporin" und heimste zahlreiche Preise ein. Hartmann Stähelin gelang es nicht, das Ruder herumreißen: Die Konzernleitung stellte sich auf die Seite von Borel, der das wertvolle Produkt nach außen besser vertreten konnte.

Tief hat sich Historiker Stephan Bosch in alte Forschungsberichte und Labornotizen eingearbeitet, keine Ungereimtheit entgeht ihm, minutiös zeichnet er nach, wie das Ränkeschmieden hinter den Kulissen funktionierte.

Auch wenn der Autor eng am Einzelfall bleibt und sich zu allgemeinen Reflexionen über Pharmaindustrie und Forschungsgeschäft nicht hinreißen lässt – "Die Akte Sandimmun" bietet auch über das konkrete Beispiel hinaus einen spannenden Einblick in die pharmazeutische Forschung. Selten hat man so detailreich beschrieben gefunden, wie viel Hartnäckigkeit, Glück und wissenschaftliche Kreativität nötig sind, um von ein bisschen Erde zu einem guten Medikament zu gelangen.

Dazu setzt das Buch einem großen Forscher ein publizistisches Denkmal: Hermann Stähelin, dem durch den fehlgeleiteten Ehrgeiz eines Kollegen und das Schweigen der Konzernleitung möglicherweise sogar der Nobelpreis entging.

Über den Autor
Stephan Bosch, Jahrgang 1947, studierter Germanist und Historiker, arbeitete als Nachrichtenchef für verschiedene Zeitungen und Magazine und war mehrere Jahre als Korrespondent in New York tätig. Heute lebt er als freier Autor in Zürich und Irland. 2007 erschien im Rüffer & Rub Verlag seine Biografie über den ersten Schweizer Kriegsdienstverweigerer und eine Symbolfigur des Pazifismus: "Max Daetwyler - Der Friedensapostel".

Besprochen von Susanne Billig

Stephan Bosch: Die Akte Sandimmun® - Ein Pharma-Skandal
Verlag Rüffer & Rub, Zürich 2009
gebunden, 176 Seiten, 25 Euro