Ultraschall Berlin 2016

Schillernde Heimatklänge

24.01.2016
Vier aufeinanderfolgende Abende vom Festival Ultraschall Berlin – diese Sendung steht in dieser Woche ganz im Zeichen der musikalischen Avantgarde. Heute Abend die Beiträge des DSO Berlin mit dem Oboisten Francois Leleux, dem Saxofonisten James Carter und der Pianistin Simone Dinnerstein.
Das Festival für neue Musik, das wir gemeinsam mit dem kulturradio vom rbb veranstalten, spürt auch in diesem Jahr wieder neuen künstlerischen Entwicklungen nach und bringt dabei denkbar Heterogenes in neue Kontexte.
Die Spanne reicht von der Hommage an Friedrich Cerha, den Doyen der österreichischen Nachkriegs-Moderne, bis zu jungen, multimedial arbeitenden Künstlern. Nicht weniger als vier höchst unterschiedliche Solo-Recitals loten das Spannungsfeld von Intimität und Extrovertiertheit aus. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin warten mit orchestraler Klangraffinesse auf. Und drei große Ensemblekonzerte bieten einerseits Einblicke in die Berliner Komponistenszene, andererseits Werke europäischer KomponistInnen wie Agata Zubel oder Francesco Filidei.
Ein Initiationsritus der Aborigines im Norden ihrer australischen Heimat regte Liza Lims zu ihrem Orchesterwerk Pearl, Ochre, Hair String an. Der Solocellist des Orchesters spielt hier mit einem speziellen Bogen, bei dem das Bogenhaar um den Holzstab gewickelt ist. "Ich erforsche Aspekte der ästhetischen Kategorie des ‚Schimmerns', wie sie für die Ritenkultur in der Kunst der Aborigines so zentral ist. Qualitäten wie ‚Schimmer', ‚Helligkeit' und ‚Schillern' sind Faktoren, die auf die Anwesenheit einer zeitlosen spirituellen Wirklichkeit verweisen und sie gleichzeitig verschleiern." Angedeutetes, Erahnbares findet sich ebenfalls im Oboenkonzert Blau, See von Robert HP Platz: "Fragmentierte Szenen als Echo auf Vergangenes, Vorausahnung des Kommenden. Vertiefung des Raumes, ein Englisch-Horn hinter der Szene als ferner Ruf, als Ankündigung, Versprechen, Dialoge." Peter Ruzicka setzt sich in seinen sechs Passagen FLUCHT mit dem Philosophen, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin auseinander, "dessen rastloses Reisen selbst Klang werden soll". Eine Musik, die "der hermetisch-mystischen Tiefe vieler seiner Texte" nachspürt und "etwas von der Diskontinuität seines Denkens, aber auch von der Depression und Vereinsamung" Benjamins erfahren lässt.
Die Neue Musik-Szene Amerikas vereinigt eine Fülle von Einflüssen aus unterschiedlichsten Bereichen, die oft die gesamte Musikgeschichte zwischen E- und U-Musik einschließen. So verweist das Konzert für Sopran-, Tenorsaxophon und Orchester von Roberto Sierra auf Puerto Rico, wo Sierra geboren wurde, und verknüpft dies mit Einflüssen des Jazz. Gene Pritsker ist gleichfalls ein Wanderer zwischen den Genres, arbeitet als Gitarrist, Rapper und Komponist und schreibt neben Opern und Orchesterwerken auch Stücke für Hip-Hop- oder Rock-Formationen. In seinen 40 Changing Orbits ließ sich Pritsker von estnischer Folklore inspirieren. Das Klavierkonzert Circle and the Child von Philip Lasser gewinnt dagegen sein musikalisches Material aus der Tonfolge eines Bach-Chorals, die "verwandelt und gebogen wird in der Funktion eines Lineals, das den Abstand anzeigt, wie weit wir uns vom Ausgangspunkt entfernt haben".
Ultraschall Berlin - Festival für neue Musik
Live aus dem Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks Berlin
Liza Lim
"Pearl, Ochre, Hair String" für Orchester (2009)
Robert HP Platz
"Blau, See" für Oboe und Orchester (2010-2013)
ca. 20:50 Uhr Konzertpause
Peter Ruzicka
"FLUCHT. Sechs Passagen" für Orchester (2014)
Uraufführung
François Leleux, Oboe
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Franck Ollu
ca. 21.30
Großer Sendesaal im Haus des Rundfunks Berlin
Aufzeichnung vom 20. Januar 2016
Roberto Sierra
Concerto for Saxophones and Orchestra (2002)
Gene Pritsker
"40 Changing Orbits" für großes Orchester (2012)
Philip Lasser
"Circle and the Child" für Klavier und Orchester (2013)
James Carter, Saxofon
Simone Dinnerstein, Klavier
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Kristjan Järvi