Ulrike Sterblich: "The German Girl"

Fit for Fun dank Pervitin

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Buchcover "The German Girl" von Ulrike Sterblich
Die Kunst- und Showwelt im New York der 60er-Jahre lässt sich Mittelchen Spritzen, die schon die Nazis benutzt haben. © Deutschlandradio / Rowohlt Verlag
Von Maike Albath · 01.03.2021
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New York Ende der 60er: Um fit zu bleiben, lässt sich die Show- und Kunstszene Substanzen spritzen, die die Nazis zuvor im II. Weltkrieg eingesetzt hatten. Ulrike Sterblichs Roman fußt auf wahren Begebenheiten, ist aber etwas zu sehr durchkalkuliert.
Ein sagenhafter Effekt: Nur eine kleine Spritze, von Dr. Max Jacobson eigenhändig aus obskuren Substanzen zusammengemischt, und schon ist der Patient wiederhergestellt.
Ob Kehlkopfentzündungen, Fieber, Schwermut oder fatales Lampenfieber, nach der Behandlung treten Showstars, Sängerinnen, Politiker und Schauspielerinnen wie verwandelt auf die Upper East Side. Selbstbewusst, leistungsstark, bester Dinge.
Ach was, mehr als das: Sie könnten Bäume ausreißen, drei Tage lang, ohne zu schlafen. Und wem der Zustand allzu gleißend ist, der wendet sich an einen anderen dieser "Doctor Feelgoods", wie sie in Aretha Franklins Song heißen. Um die Ecke praktiziert nämlich auch Dr. Robert Freyman, ebenfalls aus Berlin gebürtig und vor den Nazis geflohen.

Wundermittel aus der Nazizeit

Ulrike Sterblich, Jahrgang 1970, bisher als Sachbuchautorin in Erscheinung getreten, nimmt mit ihrem Romandebüt "The German Girl" über das glamouröse New York der späten 1960er-Jahre eine brisante Tatsache in den Blick: Man ließ sich damals von deutschen Emigranten mit Wundermitteln behandeln, die 20 Jahre zuvor im NS-Deutschland Furore gemacht hatten. Während der Blitzkriege gegen Polen und Frankreich galt Pervitin als "Panzerschokolade" und wurde millionenfach verabreicht.
Sterblich denkt sich eine junge Berlinerin aus und umgibt sie mit lauter authentischen und halbauthentischen Figuren. Die langbeinige Mona schlägt sich 1967 in New York als Mannequin für Strumpfhosenfirmen und Diätpillenhersteller durch, ansonsten treibt sie sich auf Partys und in Museen herum.
Sie lernt den sympathischen Ostküsten-Unternehmersohn Sidney kennen, der ihr hartnäckig nachspürt. Und sie freundet sich mit dem It-Girl Gloria Berlin an, die wie eine Mischung aus Brigid Berlin – der Warhol-Freundin – und Gloria Vanderbilt wirkt und Mona sowohl in die pharmakologischen Gepflogenheiten als auch in die Künstlerszene einweist. In ihrem Dachgarten werden Filme gedreht.

Eine wahre Geschichte

"The german Girl" setzt 1974 ein, als Dr. Max seine Lizenz verliert. Die folgenden Kapitel springen zwischen 1967 und 1969 hin und her, die Coda spielt 1981. Der reale Gerichtsmediziner Dr. Baden schöpft bei einem Todesfall Verdacht, was die Spannung schürt.
Die Konstruktion funktioniert. Zwei Schauplatzwechsel bringen Schwung in die Handlung. Mona begleitet Sidney nach Berlin, ein anderes Mal hat sie ein Fotoshooting in Acapulco. Sie benutzt die bequemen Pillen, aber verfällt ihnen nicht, und als sie erkennt, dass Sidney der Richtige ist, kommt sie leicht davon los.
Der glänzend recherchierte Roman fußt auf zwei Enthüllungsgeschichten aus den 1970er-Jahren des "New York Magazine" und der "New York Times", aber er ist ein bisschen zu durchkalkuliert, um literarische Kraft zu entfalten.
Namen wie John F. Kennedy oder Maria Callas triggern die Neugierde, man hat zwischendurch Truman Capotes gehässige Glamour-Enthüllungsgeschichte "Erhörte Gebete" im Kopf, nur kann Monas Schicksal nicht ganz mithalten, und einige Beigaben wie ein sprechender Kakadu sind ein bisschen zu possierlich.
Doch Ulrike Sterblich hat ein Händchen für den ertragreichen Stoff und weiß ihn unterhaltend zu vermitteln.

Ulrike Sterblich: "The German Girl", Roman
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
384 Seiten, 20 Euro

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