Ulrike Herrmann zum Kohleausstieg

"Grünes Wachstum ist eine Illusion"

05:13 Minuten
Steinkohlekraftwerk Datteln 4 mit 180 Meter hohem Kühlturm im Probebetrieb.
Gegen das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 regt sich breiter Protest. © laif/ Paul Langrock
Ulrike Herrmann im Gespräch mit Axel Rahmlow · 30.05.2020
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In NRW geht mit Datteln 4 ein neues Kohlekraftwerk ans Netz, das CO2 ausstoßen wird. Ohne Kohleverstromung würde die Stromversorgung aktuell zusammenbrechen, meint die Journalistin Ulrike Herrmann. Die Herausforderungen der Energiewende seien riesig.
Deutschland will bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen. Dennoch geht ein neues Steinkohlekraftwerk ganz offiziell in Betrieb: Datteln 4 im nördlichen Ruhrgebiet.
Klagen des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) sind noch anhängig. Es gibt bisher keine rechtskräftige Genehmigung für das Kraftwerk, das zur Stromerzeugung Treibhausgase in die Atmosphäre ausstoßen wird.

Hier hören Sie einen Faktencheck zum Steinkohlekraftwerk Datteln 4 von Deutschlandfunk-Umweltredakteur Georg Ehring: Audio Player

"Es ist ja völlig klar, dass man die Welt nicht weiter aufheizen kann", sagt unser Studiogast, die "taz"-Journalistin Ulrike Herrmann. Als BUND-Mitglied unterstütze sie die Energiewende. Zugleich stellt sie die erheblichen Probleme beim Kohleausstieg dar.
"Zur Wahrheit gehört, dass wir im Augenblick ohne Kohle gar nicht genug Strom produzieren würden – vor allen Dingen dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst, braucht man Grundlast", sagt sie.
Man müsse sich die Größe der Aufgabe klarmachen, betont Herrmann. Die Möglichkeiten einer grünen Wirtschaft würden auch von Umweltschützern überschätzt.

Ökologische Wirtschaft braucht Strom

Denn die einzige Energieform, die man überhaupt ökologisch herstellen könne, sei Strom – zum Beispiel durch Windkraft oder Solarenergie. Für eine ökologische Wirtschaft müsse man entsprechend die gesamte Wirtschaft auf Strom umstellen – den Verkehr, die Wärmeerzeugung, die Industrie – alles.
Im vergangenen Jahr habe der Anteil des Ökostroms am gesamten Energieverbrauch aber gerade mal bei 7,6 Prozent gelegen. Es fehle also an belastbaren Ausstiegsszenarien aus der Kohle. "Die Herausforderung ist derartig enorm und die Pläne sind derartig bescheiden, dass es wirklich ein Grauen ist", meint Herrmann.

"Die Wirtschaft muss schrumpfen"

Wer die Wirtschaft auf Ökostrom umstellen wolle, müsse auf Wachstum verzichten, ist die Journalistin überzeugt. "Oder noch schlimmer: Die Wirtschaft muss schrumpfen." Auch viele Umweltschützer seien der Ansicht, dass man so eine Art grünes Wachstum haben könnte. Das halte sie für eine Illusion.
"Wir reden ganz viel über Klimaschutz. Faktisch passiert aber fast nichts", meint Herrmann. Alle Verantwortlichen wüssten, dass wir mit der Energiewende "gegen die Wand fahren, und keiner erforscht den Bremsweg".
(huc)
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