Ulrich Schmid: "Technologien der Seele"

Wie Putins postmoderne Diktatur funktioniert

Von Jörg Himmelreich · 14.01.2016
Russland-Experte Ulrich Schmid zeigt in "Technologien der Seele", wie Wladimir Putins neoimperialer Größenwahn in der Gegenwartskultur vorbereitet wurde. Wichtigstes Medium sei dabei das staatliche Fernsehen gewesen. Aber selbst Videogames haben einen Einfluss.
Putins aggressive Expansionspolitik in den letzten Jahren hat viele überrascht. Sie findet in der russischen Bevölkerung durchaus Unterstützung. Wie die medialen und kulturellen Herrschaftstechnologien des "System Putin" das Bewusstsein der Bevölkerung heute beeinflussen, ja manipulieren, das hat jetzt der Schweizer Professor Ulrich Schmid untersucht.
Schmid zeigt, wie Putins neoimperialer Größenwahn, seine orthodoxe Verankerung und seine eurasische geopolitische Begründung in der russischen Gegenwartskultur vorbereitet wurden und sich heute darin auch wiederspiegeln. Daher ist diese Darstellung eine der erhellendsten Erklärungen von Putins postmoderner Diktatur.
Diese postmoderne Diktatur verlässt sich nämlich nicht alleine auf Repression und Unterdrückung politischer Opposition, sondern will auch mit seiner imperialen Staatsideologie den russischen Bürger in das Projekt eines mächtigen Russlands mit eigenen, nichtwestlichen Werten einfangen, so Schmid. Denn nach Putin kann Russland nur als kriegsbereites Imperium seine geopolitischen Ziele erreichen und seiner orthodoxen Erlösungsmission gerecht werden.
Botschaft kennt keine medialen Grenzen
Wichtigstes Medium dieser Ideologie ist das weitgehend gleichgeschaltete staatliche Fernsehen mit seinen verschiedenen Kanälen, das 86 Prozent der Bevölkerung täglich konsumiert. Hier werden die wesentlichen Werte der neuen ideologischen Wahrheit vermittelt. Das ist vor allem der Krieg. Denn der Krieg, so Schmid, "bildet den idealen Daseinsmodus des Imperiums, das seine Blütezeit in der territorialen Expansion erfährt".
Die Fernsehserien, in denen russische Soldaten den Feind, ob nun Faschist oder Terrorist, besiegen, sind nicht mehr zu zählen. Filme mit historischen Bezügen zum Sieg der Sowjetunion im 2. Weltkrieg, aber auch zum 1. Weltkrieg oder gar zum Krimkrieg überfluten das Fernsehen und die Kinos.
Erinnerungen an die imperiale Größe des Zaren- und sowjetischen Reichs sollen zu deren Fortsetzung in der Gegenwart motivieren. Die Mission Russlands zu imperialer Größe durch Krieg, diese Botschaft der Bevölkerung einzuhämmern, kennt keine medialen Grenzen, sie wird im Fernsehen, Kino, Internet oder auch in Videogames verbreitet.
Schwelgen im nationalen Rausch
Sogar viele russische Gegenwartsliteraten schwelgen im nationalen Rausch des wiederauferstehenden russischen Imperiums. Der Autor Alexander Prochanow, lange Zeit ein Kritiker des Systems Putin, jubelte nach der russischen Krim-Annexion 2014: "Heute ist die Heilige Rus in Neurussland erschienen", und spielte damit in religiöser Überhöhung auf die 1000-jährige Imperialgeschichte Russlands an.
Er steht damit für viele literarische Zeitgenossen, deren Werke Schmid deutet. Die kritischen Autoren und Autorinnen, etwa Ludmila Ulitzkaja, Tatjana Tolstaja oder Wladimir Sorokin, sind in der Minderheit. Die lange literarische Tradition des russischen imperialen Selbstverständnisses im Namen einer orthodoxen Erlösungsmission belegen auch die gerade noch einmal erschienenen und viel zu wenig bekannten "Politischen Schriften" Dostojewskis.

Ulrich Schmid: "Technologien der Seele. Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur"
Suhrkamp Verlag. Berlin 2015
386 Seiten, 18,00 Euro

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