Ulrich Greiner: "Heimatlos"

Plädoyer für einen modernen Konservatismus

Buchcover "Heimatlos - Bekenntnisse eines Konservativen" mit dem Autor Ulrich Greiner
Wohltuend entfernt von Marktschreierei: Ulrich Greiners Buch "Heimatlos". © Rowohlt Verlag / dpa
Von Marko Martin · 31.08.2017
Nachfragend und skeptisch schreibt der ehemalige Feuilleton-Chef der "Zeit", Ulrich Greiner, in seinem kritischen Buch "Heimatlos - Bekenntnisse eines Konservativen". Seine Skepsis gilt unter anderem einem autoritär überbordenden Sozialstaat und der Reproduktionsmedizin.
In den letzten Jahren – verstärkt durch die Flüchtlingskrise 2015 – ist ein kleiner publizistischer Boom zu beobachten: Ehemalige Linke beschreiben in Zeitungs-Essays oder Büchern, weshalb sie inzwischen nicht mehr links sein können. Zahlreiche dieser Textverfasser jedoch argumentieren noch immer dogmatisch-alarmistisch und bleiben ihrer früheren Gestimmtheit insofern treu: Nach wie vor machen sie das sogenannte "System" und "die Medien" für jegliche Unbill verantwortlich machen und zitieren als alt-neues Heilmittel "das Volk" (früher: "die Arbeiterklasse") heran.

"Das Denken betrachtet sich selbst"

Wohltuend entfernt von solcher Marktschreierei ist Ulrich Greiners Buch "Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen". Der ehemalige Feuilleton-Chef der ZEIT liefert weder ein egomanisches Pamphlet noch eine Handlungsanweisung zum vermeintlich "richtigen Leben". Sein moderner Konservatismus ist stattdessen einer des Nachfragens und eines skeptisch gebrochenen Weltverhältnisses: "Das Denken betrachtet sich selbst. Und dieser Spiegel zeigt einen Raum, der mit wachsendem Alter größer wird".
Wenn dieser Raum dann – quasi als Gegenstück zur schnellen Schlagzeile – auch "das christliche Abendland" einschließt, ist dies keine hochtrabende Kulturtümelei. Im Gegenteil: "Die christlichen Märtyrer wurden dafür verehrt, dass sie ihrem Glauben treu blieben, nicht dafür, dass sie andere mit in den Tod gerissen hätten. Der Opfertod Jesu ist revolutionär, weil er das Prinzip der Vergeltung aufhebt. In diesem Licht erscheinen die von Christen begangenen Untaten als besonders verwerflich."

Unsere Widerspruchskultur ist in Gefahr

Die in dieser Theologie bereits angelegte – und über die Jahrhunderte hinweg gegen den Klerus aufklärerisch durchgesetzte – Widerspruchskultur mit einhergehender Trennung von Religion und Staat sieht Greiner inzwischen in Gefahr: Sowohl durch muslimische Masseneinwanderung wie durch jene, die unter dem Label des "Respekts" die Problematik nicht einmal ansatzweise diskutieren wollen.
Greiners Skepsis gilt dabei auch einem autoritär überbordenden Sozialstaat, einer nach immer neuen Partikularismen fahndenden Identitätspolitik und der Reproduktionsmedizin. Die Fragen, die er hier stellt, sind dabei weder suggestiv noch rein rhetorisch; sie haben tatsächlich nachfragenden Charakter und tun das, was der Autor an der Aufklärung ebenso wie am reflektierten Christentum inklusive dessen jüdischer Wurzeln so schätzt: "Sie eröffnen einen Raum suchenden Verstehens."
Dass dieses schmale, konzise Buch den sogenannten "Beifall von der falschen Seite" bekommt, ist eher unwahrscheinlich: Modest ist die Zimmerlautstärke des Textes, eindeutig die Abgrenzung zur "neoheidnischen" Xenophobie der Neuen Rechten.
Bleibt zu hoffen, dass die Gegenrede, die Greiner erfahren wird, die er in seinem dem Leser zugewandten Schreiben ja gerade zu ermuntern scheint - ebenso präzis und gelassen ist. Auch daran ermisst sich die Liberalität unserer Gesellschaft.

Ulrich Greiner: "Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2017
159 Seiten, 16,99 Euro

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