Ulrich Bröckling: "Postheroische Helden. Ein Zeitbild"

Gibt es heute noch Helden?

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Buchcover von "Postheroische Helden. Ein Zeitbild" vor orangefarbenem Aquarellhintergrund.
"Postheroische Helden. Ein Zeitbild" erscheint am 17. Februar 2020. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Michael Opitz  · 13.02.2020
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Die alten Ideale von Helden, von starken Männern und Kriegern, sie sind insbesondere nach 1945 in eine tiefe Krise geraten. Was ein "postheroischer" Held sein könnte, darüber macht sich der Soziologe Ulrich Bröckling Gedanken.
Achselschweiß passt nicht zum äußeren Erscheinungsbild eines Heroen wie Superman. Deshalb wird im Comic diskret kaschiert, dass ins Schwitzen gerät, wer Heldentaten vollbringt. Moderne Helden, so die Botschaft, treten makellos in Erscheinung. Sie wachsen über sich, vor allem aber über andere hinaus, wie aus Ulrich Bröcklings Buch "Postheroische Helden" zu erfahren ist. In ihrem Eifer sind Helden kaum zu bändigen, auch scheuen sie keinen Auftrag. Helden – selten sind sie weiblich, meistens männlich – leisten Außergewöhnliches. "Sie sind," wie es der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt formuliert hat, "was wir nicht sind."
Um allerdings die Unterschiede deutlich werden zu lassen, gehören Kontrastfiguren zum personalen Aufgebot von Heldengeschichten. Wenn auch die Taten von Helden übermenschlich anmuten, Götter sind sie dennoch nicht. Denn in kriegerischen Zeiten müssen sie nachahmungstauglich sein. Helden, das wusste bereits Bertolt Brecht, werden gebraucht und funktionalisiert. In seinem während des Zweiten Weltkriegs entstandenen Stück "Galileo Galilei" lässt der Dramatiker deshalb seinen Titelhelden sagen: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat."

Vom heroischen Ideal zur Krise des Helden

Bevor Bröckling in seinem gut lesbaren, aber anspruchsvoll geschriebenen Buch ausführt, wodurch sich postheroische Helden auszeichnen, entwickelt er im ersten Teil seines "Essays" zunächst, was den heroischen Helden zu einem Helden werden lässt. Im zweiten Teil wendet er sich dann zunächst der postheroischen Persönlichkeit zu, um schließlich in jeweils eigenen Kapiteln danach zu fragen, was kennzeichnend für den postheroischen Manager ist und von welche Helden in den postheroischen Kriegen das Handwerk des Tötens übernommen wird. Als Scharnier zwischen diesen beiden Teilen finden sich Ausführungen zu Hegels Feststellung, dem Einzelnen wäre durch die Einbettung in die gesellschaftlichen Institutionen das Heroische verlorengegangen.
Gänzlich in die Krise ist der Held nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geraten. Nach 1945 war das Heroische - besonders in Deutschland - "kontaminiert." Auf Helden konnte die Nachkriegsmoderne verzichten. Die postheroischen Helden des Alltags, die sich bei der Büroarbeit kaum heldenhaft in Szene setzen können, entdecken, so Bröckling, den inneren Helden für sich. In einer durchstrukturierten Welt begeben sich die postheroischen Persönlichkeiten auf die Reise ins Innere und suchen nach dem eigenen Ich. Nur selten gehen diese Helden als kühne Avantgardisten voran. Vielmehr changieren sie zwischen "Durchhalten" und "Durchhangeln" und halten sich "bereit" für den Tag der großen Herausforderung.

Das Heroische "kaputtdenken"

Zum ersten Mal ist vom "Postheroischen" in den 1980er Jahren in einem Management-Ratgeber die Rede. Seither wurde die Rolle des Unternehmerhelden alter Güte, des Tat- und Machtmenschen, der seine Entscheidungen allein traf, kritisch hinterfragt. Postheroische Manager verzichten weitgehend auf Alleingänge und nehmen stattdessen ihre Mitarbeiter mit ins Boot. Je nach Lage der Dinge agieren sie entweder als dynamische Vorreiter oder als gelassene Beobachter im Hintergrund. Aus dem Hintergrund wird im postheroischen Zeitalter auch während kriegerischer Auseinandersetzungen agiert. Gehörte der klassische Zweikampf auf Augenhöhe noch zu einer Grundvoraussetzung heldenhaft geführter Kämpfe, so werden die Feinde der postheroischen Helden aus sicherer Entfernung ins Visier genommen. Der postheroische Held bleibt in Deckung. Moderne Armeen bräuchten weiterhin Helden, aber inzwischen lässt sich nur noch schwer vermitteln, dass Helden auch Opfer werden können.
Das "Heroische" müsse, so Bröcklings sehr nachvollziehbare These, "kaputtgedacht" werden. Wie sich der Heldenstatus "kaputtdenken" lässt, wie man klug argumentierend und elegant formulierend zweifelhaftes Heroentum ad absurdum führen kann, Ulrich Bröckling führt es in diesem anregenden und zugleich erhellenden Essay eindrucksvoll vor.

Ulrich Bröckling: "Postheroische Helden. Ein Zeitbild"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
277 Seiten, 25 Euro

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