Aus den Feuilletons

Befreiung durch Kultur

Beim Angriff eines ultraorthodoxen Juden auf einen Umzug von Schwulen und Lesben sind sechs Menschen verletzt worden
Angesichts der Spannungen in der israelischen Gesellschaft sucht die Jerusalemer Kulturszene Dialog und Offenheit © picture alliance / EPA / Atef Safadi
Von Adelheid Wedel · 09.08.2015
Wenn die politischen Fronten sich verhärtet haben, hilft manchmal nur noch die Kunst. Die Feuilletons des Tages stellen Theaterprojekte und Bücher aus China, Israel und der Türkei vor - für Frieden, Toleranz und Demokratie.
"Die Jerusalemer Kulturszene sucht Dialog und Offenheit – und stößt dabei auf Grenzen", so fasst Philipp Rhensius seinen Bericht aus Nahost in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zusammen. Er hat Jerusalem besucht und fand heraus, "neben Tel Aviv, dem quicklebendigen kulturellen Zentrum, mag Jerusalem wie eine unter dem Gewicht ihrer Vergangenheit versteinernde Stadt wirken". Dennoch regen sich Enthusiasten, die mehr Kultur in den Alltag integrieren möchten. Zum Beispiel die "Jerusalem Season of Culture" – "eine Organisation, die seit fünf Jahren jeden Sommer verschiedene Kunst- und Musikfestivals veranstaltet. Unsere Events wollen die Geschichte der Stadt in unserer Sprache erzählen, und das ist die Sprache der Kultur", sagt Itay Mautner, der künstlerische Leiter der Vereinigung.
"Das Politische wieder in den Mittelpunkt rücken"
Der Autor hebt in seinem Bericht hervor: "Die Verhältnisse in Israel sind komplizierter denn je. So bestehen heute nicht nur zwischen Palästinensern und Israelis, sondern auch zwischen säkularen und gläubigen Juden erhebliche Spannungen." Deswegen wollen die Kulturarbeiter "das Politische wieder in den Mittelpunkt rücken".
Ein Theaterstück handelt von einem aktuellen Ereignis, bei dem ein israelischer Lehrer um das Recht auf freie Meinungsfreiheit kämpfen musste. "Das Stück schärft die Wahrnehmung dafür, welchen Wert der Dialog heute noch immer hat", so Rhensius. In der palästinensischen Gesellschaft sei Kunst kaum präsent, meint er. Deshalb veranstaltet beispielsweise die palästinensische Galerie "Al Mamal" in der Altstadt von Jerusalem Workshops für Kinder sowie Konzerte.
Die Leiterin der Galerie, Aline Khoury, kritisiert: "Die Idee, dass sich Menschen durch Kunst selbst befreien können, existiert unter Palästinensern so gut wie nicht." Sie, "die in Jerusalem als Tochter palästinensischer Eltern geboren wurde und vor kurzem ihren Uni-Abschluss in Visual Arts in London gemacht hat", so kommentiert der Autor, "steht für ein junges, gebildetes und optimistisches Palästina, das sich nur wenig vom jungen, kreativen Israel unterscheidet".
Unheimliches China
Der TAGESSPIEGEL stellt uns ein neues Buch über China vor. "Der Exilchinese Ma Jian zeichnet im Roman 'Die dunkle Straße' ein finsteres Porträt seines Landes", rezensiert Gregor Dotzauer.
"Wenn auch nicht alle geschilderte Brutalität der staatlichen Tyrannei entspringt, so gehört sie doch zu dem System, das massenhaft korrupte Beamte und übergriffige Polizisten herangezüchtet hat. China ist unheimlich genug, Ma Jian aber macht es noch unheimlicher", sagt der Rezensent zum Buch, das 2013 zunächst auf Englisch herausgegeben wurde.
"Bis heute darf kein einziges von Ma Jians Büchern in der Volksrepublik erscheinen". Der Schriftsteller lebt seit einiger Zeit in London, "das Exil gibt ihm die Freiheit radikaler Kritik", so Dotzauer.
Liebeserklärung an den Vielvölkerstaat
Ein weiteres Buch, vorgestellt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, gibt über seinen literarischen Inhalt hinaus Informationen zur Politik des Landes, in dem es spielt. Die Rede ist von dem neuen Roman der türkischen Bestseller-Autorin Elif Shafak "Der Architekt des Sultans".
"Er ist eine Liebeserklärung an das alte Istanbul der vielen Völker, Sprachen und Religionen – und damit auch eine Absage an die derzeitige Politik der Türkei", meint Volker Breidecker. Ohne jede Beschönigung eines autokratischen Staatswesens erinnere Shafak auch an solche Traditionen des osmanischen Vielvölkerstaates, "die ethnische wie sprachliche Vielfalt und auch eine gewisse religiöse Toleranz zuließen, worum in der heutigen Türkei gerade wieder gestritten wird".
Es ist eindeutig eine Empfehlung des Autors, wenn er schreibt: "Glücklich eingebunden sind hier alle Philosophie und alle Theorie, alle Historie und alle Politik in einem über 650 Seiten hinweg ohne Durststrecken sprudelnden Erzählstrom. Federleicht zu lesen."
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