Ukraine

"Zugeständnis an die nationalistischen Kräfte"

Ein Mann mit einer Ukraine-Flagge wartet vor dem Parlament in Kiew.
Vor dem Parlament in Kiew weht die ukrainische Flagge, drinnen wurde die Landessprache gestärkt. © dpa/picture alliance/Pochuyev Mikhail
Moderation: Matthias Hanselmann · 25.02.2014
Eigentlich werde die russische Sprache in der Ukraine toleriert, sagt der Historiker Wilfried Jilge. Die Abschaffung des Gesetzes, das sie gestärkt hatte, wertet er als symbolischen Akt gegen den alten Regierungsstil.
Matthias Hanselmann: Vor etwa zwei Jahren hat Viktor Janukowitsch das von ihm initiierte Gesetz zu den Amtssprachen in der Ukraine eingeführt. Es war von Anfang an höchst umstritten, denn es gestattete den Regionen mit einer großen nationalen Minderheit, mit den Behörden offiziell in ihrer Sprache zu kommunizieren. Das bedeutete faktisch eine Stärkung des Russischen in der Ukraine, aber auch von anderen Sprachen.
Jetzt war es eine der ersten Amtshandlungen der ukrainischen Übergangsregierung, dieses Gesetz wieder abzuschaffen. Das wurde unter anderem von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kritisiert, weil zu befürchten sei, dass es zu weiteren Unruhen führen könne. Ich spreche mit dem Osteuropahistoriker Wilfried Jilge von der Universität Leipzig, sein Schwerpunkt ist die Ukraine. Guten Tag, Herr Jilge!
Wilfried Jilge: Ja, guten Tag, hallo!
Hanselmann: Noch einmal: Warum wurde vor zwei Jahren diesem Gesetz so große Bedeutung beigemessen und warum gab es darüber Streit?
Jilge: Das Gesetz vor zwei Jahren hat Janukowitsch vor dem Hintergrund sinkender Umfragen der Partei der Regionen durchgesetzt. Es wurde unter gegen jede den parlamentarische Gepflogenheiten verstoßenden Umständen im Parlament durchgeboxt, und das Problem des Gesetzes ist, dass es in Gebietseinheiten, in denen nachweisbar 10 Prozent einer Minderheit leben, diese Minderheit ihre Sprache zur Behördensprache machen kann. Nur hat man eigentlich nie so richtig festgelegt, was denn eigentlich unter Gebietseinheit zu verstehen ist, und es war dann sehr auffällig, dass die Partei der Regionen in den Regionen, wo sie die Mehrheit hatte, dieses Gesetz angewandt hatte, wenn aber andere Minderheiten ein ähnliches Recht in Dörfern für sich reklamierten, wurde ihnen dieses Recht abgesprochen.
Mit anderen Worten: Es war ein ziemlich durchsichtiges Wahlkampfmanöver, um eine passive Bevölkerung im Osten wieder zu mobilisieren, und das Gesetz hat erhebliche Schwächen, weil es stärkt nicht nur das Russische, was sowieso sehr dominant ist im Osten und im Süden, sondern es hat de facto das Ukrainische geschwächt und fragwürdige Regierungsmaßnahmen, die ebenfalls nicht im Dialog beschlossen wurden von Janukowitsch, noch weiter untermauert, die das Ukrainische vor allem in der Alltags- und kommerziellen Sprachkultur massiv benachteiligen.
Hanselmann: Das heißt, die Rücknahme des Gesetzes bedeutet also eine eindeutige Schwächung des Russischen jetzt in der Ukraine?
Jilge: Nein, nein, nein. Es bleibt einfach dann wieder so, wie es davor war: Das Russische ist sowieso nicht schwach in der Ukraine, das ist ein Mythos, der von panslawischen Ideologen immer wieder verbreitet wird. Zur Akzeptanz des Gesetzes im Juli 2012 hat auch nicht beigetragen, dass es die pro-russischen Ideologen waren, die als bekannte Ukrainophobe durch jeden Wahlkampf ziehen. Also hier hat man alles gemacht, um irgendeinen Konsens, wenn der denn jemals gewünscht war in der Gesellschaft, zu vermeiden. Das Gesetz weist erhebliche Schwächen auf, und übrigens – das ist dann auch noch so eine Ironie der Geschichte: Umgesetzt wurde von diesem Gesetz überhaupt nichts, denn es ist völlig unterfinanziert. Also eigentlich ändert sich in der Sache nicht viel. Ob das Symbol jetzt richtig war, in der jetzigen Situation dieses Gesetz zurückzunehmen, das ist eine andere Frage.
Keiner stört sich an russischen Gesprächen
Hanselmann: Das wollte ich eben gerade fragen. Welche Signale gehen denn davon aus? Es war ja eine der ersten Amtshandlungen der Übergangsregierung.
Jilge: Also das Sprachgesetz hatte eben auch ein Symbol, wie Janukowitsch mit dem Parlament umgegangen ist, und ich denke, es ist auch ein Zugeständnis an die stark nationalen, nationalistischen Kräfte innerhalb der Opposition. Aber ich möchte noch einmal sagen: Aufgrund dieser Gesetzesänderung, die ja nur das bisherige, also bis Juli 2012 geltende, ebenfalls nicht vollkommene Sprachgesetz wieder einführt – dieses Sprachgesetz, kann man sagen, war die Grundlage einer soften, einer weichen Modernisierung, die von allen Präsidenten immer sehr vorsichtig betrieben wurde –, ändert sich in der Sache nicht viel.
Hanselmann: Gibt es Regionen in der Ukraine, in denen das Russische nicht gelebt wird, vielleicht sogar gehasst?
Jilge: Also von Hass würde ich nicht sprechen. Die Region, das ist allgemein bekannt, wo wirklich Ukrainisch durchweg gesprochen wird und zwar schon eigentlich seit Beginn der Unabhängigkeit, das ist Galizien. Aber auch das Vorurteil, dass das westukrainische Galizien ukrainischen Nationalismus in der Breite sich durch antirussische Gefühle auszeichnen würde – ja, die hat es mal gegeben, aber in den letzten Jahren ist es deutlich ruhiger geworden. Nehmen Sie den Tourismusbereich, nehmen Sie Unternehmen, die sich ansiedeln in der Westukraine, die sind vor allem von einem russischen oder russischsprachigen Business getragen.
In den Hotels wird am Empfang Russisch gesprochen. Es stört niemanden mehr. Man muss unterscheiden zwischen dem häufig skandalisierten Diskurs von Eliten, sowohl pro-russischen als auch pro-ukrainischen Eliten, die versuchen, mit der Sprachpolitik von ganz anderen Problemen abzulenken auf der einen Seite, und man muss sich in der Gesellschaft dann die tatsächlichen Verhältnisse anschauen, bei der es im äußersten Osten des Landes, vielleicht im Donbass und im äußersten Westen, in Galizien, gewisse Vorbehalte und Ängste gibt, übervorteilt zu werden, aber in der Breite ist in der ukrainischen Gesellschaft bisher die Toleranz in Sprachenfragen immer sehr groß gewesen. Nehmen Sie die Stadt Kiew, nehmen Sie den Maidan: Sie können da Russisch sprechen, das stört niemanden. Jüngst habe ich einen interessanten Beitrag von Moskwy, dem immer noch halbwegs unabhängigen Sender in Russland, gehört, wo die Korrespondenten, die da im Dezember berichtet haben, ganz begeistert wieder zurückkamen, dass sie im Zelt zu Tee eingeladen worden sind, und nach zwei Sätzen seien die ukrainischen Partner immer ins Russische übergegangen.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", ich spreche mit Wilfried Jilge, er ist Osteuropahistoriker mit Schwerpunkt Ukraine an der Universität Leipzig. Herr Jilge, ich staune: Sie klären da auch einige Vorurteile, die auch in meinem Kopf noch hingen. Auf dem Maidan – Sie haben es angesprochen, dem Unabhängigkeitsplatz –, da wurde doch aber überwiegend Ukrainisch gesprochen oder nicht?
Eine dynamische Nationalisierung
Jilge: Ja, das ist absolut richtig. Aber das ist eben eine wirkliche Entwicklung, die stattfindet innerhalb eines dynamischen Nationsbildungsprozesses, der vor allem unter der politisch bewussten Bevölkerung stattfindet. Wenn Sie mal schauen, wer jetzt Ukrainisch spricht – das sind auch Journalisten, die wahrscheinlich in drei Wochen auch häufig wieder Russisch sprechen. Das heißt, das Ukrainische ist weniger ein ethno-nationales Bekenntnis mit einer scharfen Abgrenzung zu den Russen, sondern es ist ein politisches Bekenntnis für Veränderung. Das war immer bekannt, und das war schon eine Tendenz im Jahr 2004, 2005 bei der orangenen Revolution. Ich habe auch Schüler mal gefragt, wie sie mit dieser Sache umgehen. Da kommt häufig raus, dass man gerade in Kiew in der Schule natürlich Ukrainisch lernt, das hat einen ganz klaren Vorrang, aber auf dem Schulhof wird dann doch wieder häufig Russisch gesprochen, in Familien haben wir die Situation, dass der Vater Russisch spricht, die Mutter antwortet Ukrainisch, die Kinder reden dann wiederum anders.
Das ist eigentlich keine schlechte Voraussetzung, dieses Problem zu regeln, und regeln muss man es, denn was auf jeden Fall wichtig ist: dass die Menschen in der Ukraine wirklich bei den Behörden über Rechtssicherheit verfügen. Und deswegen war ein Defizit dieses letzten Gesetzes, was wir gerade diskutiert haben, das ist sozusagen die Frage, ob jemand in einer Region mit einer starken Minderheit Russisch oder Ukrainisch bei den Behörden sprechen kann, in das Recht der Parlamente gestellt hat und damit zum Spielball politischer Konjunktur. Moderne Sprachgesetzgebung muss das sozusagen als Recht, als gesichertes Recht festsetzen. Wenn es diese zehn Prozent gibt, dann hat der Staat dafür zu sorgen, dass die Beamten auch zweisprachig sind. Übrigens: Derjenige, der in den Grundzügen ein Sprachgesetz in diese Richtung verabschieden wollte, als er gerade an die Macht kam, dass das Ukrainische nicht hemmt, sondern in der Entwicklung fördert, aber die Rechtssicherheit der Russen festigt, das war Wiktor Juschtschenko, nur leider hat der Mann es dann in der Schublade verschwinden lassen.
Hanselmann: Nach allem, was Sie bisher gesagt haben, ist es doch dann aber völlig überzogen von der OSZE, zu befürchten, dass jetzt aufgrund dieser Rücknahme des Sprachgesetzes die Ukraine auf eine Spaltung zusteuert, oder?
Jilge: Also das halte ich ja auch wirklich für überzogen, wenn wir jetzt schon bei dieser Rücknahme des Gesetzes von Spaltung reden. Das halte ich für nicht angemessen. Die OSZE hat übrigens ebenso vehement und meines Erachtens auch sehr gut begründet eim Sommer 2012 die Annahme des letzten Gesetzes massiv mit dem Argument kritisiert, dass das Ukrainische in seiner Entwicklung benachteiligt wird. Ich könnte mir vorstellen, dass das Motiv einfach die Situation ist. Wir haben eine extrem angespannte Lage. Wir wissen noch nicht, wie Russland sich verhält. Dass Medwedew angedeutet hat, dass ja angeblich die russischen Staatsbürger in der Ukraine geschützt werden müssten, das hatte einen ziemlich drohenden Unterton. Wir haben auch in der Ukraine zum Teil unklare Situationen, angespannte Verhältnisse. Natürlich ist in einer solchen Situation eher zu wünschen, dass man sagt: Wir besprechen das Problem mit der Gesellschaft, wenn es ruhiger geworden ist. Allerdings kann man das noch tun, denn das alte Gesetz muss auch reformiert werden, und das sollten die neuen Machthaber in einem breiten gesellschaftlichen Dialog machen. Und da hat die OSZE recht: Den muss es geben.
Hanselmann: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Wilfried Jilge, er ist Europahistoriker mit Schwerpunkt Ukraine an der Universität Leipzig. Vielen Dank nach Leipzig, Herr Jilge!
Jilge: Herzlichen Dank, Herr Hanselmann! Wiedersehen!
Hanselmann: Wiedersehen!
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