Ukraine-Krise

Setzt Russland jetzt auf Deeskalation?

Von Gesine Dornblüth · 01.04.2014
Der russische Vizepremier Dmitrij Rogozin, ehemals Gesandter bei der NATO, versuchte, die Entscheidung, die Zusammenarbeit mit Russland bis Juni auszusetzen, zu veralbern. Über Twitter wies er auf das Datum hin, den 1. April.
Dmitrij Trenin leitet das Carnegie Zentrum in Moskau und ist einer der führenden Experten für russische Außenpolitik. Von einer Deeskalation Russlands in der Ukraine-Krise zu sprechen, sei falsch, sagt er.
"Die ukrainische Krise ist zum ersten Mal seit sechs Wochen auf einem hohen Niveau zum Stehen gekommen. Das ist kein Wendepunkt. Aber immerhin ist die ständige Bewegung die Eskalationsstufen hinauf gestoppt. Ich glaube, Putins Anruf bei Obama erfolgte, weil Putin sich entschieden hat, Russlands Ziele in der Ukraine auf politischem und diplomatischem Weg zu erreichen, und nicht militärisch."
Russland hebt den Gaspreis für Ukraine an
Russland habe viele Mittel, die Ukraine zu beeinflussen, auch jenseits des Militärs. Da ist zum Beispiel der Gaspreis. Russland hat ihn für die Ukraine soeben um sage und schreibe 44 Prozent angehoben. Dmitrij Trenin vermutet, dass Präsident Putin möglicherweise zu keinem Zeitpunkt wirklich einen Einmarsch in die Ukraine geplant hat. Es sei ihm vielmehr darum gegangen, die eigene Position für Verhandlungen zu stärken.
"Das war eine Machtdemonstration, adressiert an Washington, Brüssel, Kiew. Es ging darum, zu zeigen, dass Russland entschlossen ist. Viele haben noch letzte Woche geglaubt, dass Russland jeden Moment in der Ukraine einmarschieren wird. Diplomatie ohne Stärke im Rücken, sei es militärische, wirtschaftliche oder finanzielle, bewirkt nichts. Putin hat die internationale Aufmerksamkeit auf die russischen Interessen gelenkt. Jetzt kann er einen politischen Dialog beginnen, aus einer gestärkten Position heraus."
Ähnlich die Einschätzungen von Andrej Frolov, Militärexperte, Chefredakteur der Zeitschrift "Waffenexport":
"Die am besten für einen Kampf ausgerüsteten Truppen Russlands befinden sich anderswo, im Süden Russlands und im Fernen Osten, nicht im Westen. Als der Föderationsrat einer Entsendung von Truppen in die Ukraine zustimmte, ging es nur darum, eine Botschaft auszusenden. Und das war eine reine Improvisation. Ein Mittel, um dem Präsidenten weiteren Spielraum für seine Ukraine-Politik zu schaffen."
NATO als Feindbild Nr. 1
Russland gehe es darum, große Teile der Ukraine der "russischen Welt" einzugliedern, von der Präsident Putin spreche, meint Dmitrij Trenin. Und nach wie vor wolle Russland, so der Experte, eine Annäherung der Ukraine an die NATO verhindern. Während die Außenminister der Allianz in Brüssel beschlossen, enger mit der Ukraine zusammenzuarbeiten, warnte das russische Außenministerium die Ukraine denn auch vor einer Integration in die NATO. Nach Einschätzung des russischen Militärexperten Andrej Frolov ist die NATO Russlands Feindbild Nr. 1.
"Ich glaube aber, dass Russland der Bedrohung durch die NATO nicht militärisch entgegentreten wird. Dazu hat Russland die Mittel nicht. Und außerdem haben wir noch eine Reihe anderer Bedrohungen: Terrorismus, Instabilität in Zentralasien, das Erstarken Chinas. Da können wir uns nicht an der NATO festbeißen."
Russlands Vizepremier Dmitrij Rogozin, ehemals Gesandter bei der NATO, versuchte denn auch, die Entscheidung des Bündnisses, die Zusammenarbeit mit Russland bis Juni auszusetzen, ins Komische zu ziehen. Über Twitter wies er auf das Datum der Entscheidung hin, den 1. April. Im übrigen habe die NATO das Gleiche schon einmal getan, 2008, nach dem Krieg mit Georgien. Und auch damals sei der Kalte Krieg schon nach drei Monaten in Tauwetter umgeschlagen.
Mehr zum Thema