Ukraine-Krise

Putin will Ukraine "destabilisieren"

Sicherheitskräfte schützen das Gebäude der Regionalverwaltung in Donezk, Ost-Ukraine
Sicherheitskräfte schützen das Gebäude der Regionalverwaltung in Donezk, Ost-Ukraine © picture-alliance / dpa / Irina Gorbaseva
Andreas Umland im Gespräch mit Marietta Schwarz · 09.04.2014
Russlands Präsident Putin ermutige die ostukrainischen Separatisten, um das Land insgesamt zu destabilisieren, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Umland. So verhindere er, dass sich die Ukraine als demokratischer Staat und damit als Gegenmodell konsolidiert.
Schwarz: Nach der Abspaltung der Krim von der Ukraine droht nun dem Osten des Landes ein ähnliches Szenario: Seit Tagen halten die Proteste pro-russischer Demonstranten an, sie fordern eine Eingliederung in die Russische Föderation und wissen die russische Regierung auch hinter sich. Die ukrainische Regierung hat sich – auch aus Angst vor Gewalteskalation – zurückgehalten. Gestern aber griffen zum ersten Mal Regierungstruppen in Charkow ein und räumten ein besetztes Verwaltungsgebäude. In Donezk ist die Gebietsverwaltung weiter in der Hand Moskau treuer Kräfte. Welchen Handlungsspielraum hat die ukrainische Regierung? Fragen dazu an den Politikwissenschaftler Andreas Umland. Er ist am Telefon und er ist Dozent an der Universität Kiew. Guten Morgen, Herr Umland!
Andreas Umland: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Von ausländischen Beobachtern hieß es in den letzten Tagen mehrfach, die ukrainische Regierung stehe wie das Kaninchen vor der Schlange, hilflos in Angststarre quasi. Teilen Sie und Ihre Kollegen diese Ansicht?
Umland: Das kann man wahrscheinlich so ausdrücken, weil die Übermacht Russlands, die militärische, natürlich groß ist. Und vor diesem Hintergrund ist es sehr schwer, einzuschätzen, was nun die ukrainische Regierung tun soll. Soll sie mit Gewalt reagieren auf diese Separatisten, die auch schon als Terroristen bezeichnet werden - oder soll sie darauf hoffen, dass sich das irgendwie verläuft und eher auf Deeskalation setzen. Und was eben die richtige Strategie ist, ist glaube ich auch sehr schwer einfach zu sagen, denn die Deeskalation erzeugt den Eindruck von Schwäche, und ein Gewalteinsatz könnte eben eine russische militärische Intervention provozieren.
Schwarz: Ja, wie groß schätzen Sie denn die Gefahr ein, dass eine aktive Gegenwehr, eine Demonstration staatlicher Gewalt auf ukrainischer Seite wirklich zur Eskalation führen könnte?
Umland: Ja, also die ukrainische Regierung hätte natürlich die polizeilichen Mittel und die Waffen auch, um diesen Aufstand – wenn man das so sehen will – in der Ostukraine niederzuschlagen, aber das würde sicherlich dann ein größeres Blutvergießen bedeuten und das hätte dann wiederum Wirkung auf Russland beziehungsweise auch auf die russische Öffentlichkeit, die dann möglicherweise von Putin auch fordern würde, zu intervenieren. Das wäre ein Szenario.
Russische Ermutigung der Separatisten
Schwarz: Ist es in dieser Situation hilfreich, dass die ukrainische Regierung Russland bewusste Destabilisierung vorwirft? Das kann man ihr ja so nicht nachweisen.
Umland: Na ja, also es gibt schon so quasi Indizienbeweise dafür, dass sich Russland engagiert eben und dass das Ganze auf russischen Einfluss zurückzuführen ist. Das hat ja auch der US-amerikanische Außenminister John Kerry gerade in einem offiziellen Statement behauptet, und ich denke, er macht das auch, weil er eben die entsprechenden Informationen dazu hat. Ich denke, das wichtigste Argument, dass wohl Russland dahinter steht, ist, dass diese Spannungen und diese Unruhen erst jetzt auftreten. 22 Jahre haben also die Ostukrainer friedlich und ohne derartige Unruhen in der Ukraine gelebt, und nun auf einmal kommt es zu dieser Separationsbewegung. Es gab natürlich schon immer gewisse Separationsbestrebungen, wie auch in vielen anderen Ländern, aber bisher hat es noch nie etwas Vergleichbares gegeben, und da vermutet man eben, dass das ohne die russische Ermutigung und auch den russischen Einfluss nicht möglich gewesen wäre.
Andere Situation als auf der Krim
Schwarz: Die Situation im Osten der Ukraine wird ja jetzt häufig verglichen mit der auf der Krim noch vor ein paar Wochen. Ist dieser Vergleich zutreffend? Die Bevölkerung im Osten der Ukraine ist ja pro-russisch, aber weniger russisch als die auf der Krim.
Umland: Ja, also da gibt es einen prinzipiellen Unterschied, dass eben – sowohl von der Zusammensetzung der Bevölkerung als auch von den Meinungen, die die ostukrainische Bevölkerung in Umfragen geäußert hat – sich die Lage doch dort stark unterscheidet von der in der Krim. Also in der Krim haben wir eben eine russische, ethnische russische Bevölkerungsmehrheit, und auch in den Umfragen wurde eben eine Annexion an Russland befürwortet von 40, 50 Prozent der Bevölkerung, in dem Dreh. Und das sieht eben für die Ukraine ganz anders aus. Da sind die ethnischen Russen eine Bevölkerungsminderheit, und auch die Unterstützung für Separatismus liegt dort unter 20 Prozent beziehungsweise unter 10 Prozent, und deswegen sind die Chancen auf eine Abspaltung dort andere. Ich denke, das steht auch gar nicht so sehr dahinter, dass Russland dort auch eine Abspaltung möchte, sondern Russland möchte im Grunde durch diese Ermutigung und auch die Anstachelung dieses Separatismus die Ukraine insgesamt destabilisieren.
"Diese Wahlen sind wichtig"
Schwarz: Um was zu erreichen?
Umland: Ja, die Gefahr, die quasi von der Ukraine ausgeht, ist, dass die Ukraine zu einem erfolgreichen, europäischen, demokratischen, westlich orientierten Staat wird und dann ein Gegenmodell zum putinschen Gesellschaftssystem liefern könnte. Über diese Destabilisierung der Ostukraine möchte nun Putin verhindern, dass die Ukraine sich eben als pro-europäischer Staat konsolidiert, also er möchte weniger einen weiteren Anschluss, als dass die instabile Ostukraine auf die gesamte Ukraine ausstrahlt und dass kurzfristig zunächst mal die Präsidentschaftswahlen nicht ordnungsgemäß in der Ostukraine stattfinden, und das würde ihm dann ein Instrument in die Hand geben, um auch weiterhin den ukrainischen Staat zu destabilisieren.
Schwarz: Das heißt, unter den derzeitigen Bedingungen können die Wahlen im Mai eigentlich nicht stattfinden?
Umland: Das wird man sehen, inwieweit sich das bis Ende Mai beruhigt hat. Das ist jetzt eine offene Frage tatsächlich also in diesen Gebieten, also insbesondere in den Städten, das wird sicherlich kompliziert werden. Ich denke, hier muss auch die Europäische Union und der Westen insgesamt die Ukraine unterstützen, denn diese Wahlen sind wichtig, damit der Staat sich eben konsolidiert und nicht weiter von Instabilität geprägt wird.
Schwarz: Der Politikwissenschaftler Andreas Umland zur aktuellen Situation in der Ukraine. Danke, Herr Umland, nach Kiew!
Umland: Bitte, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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