Ukraine-Krise

Die ambivalente Rolle der Oligarchen

Ein maskierter Mann bringt an einem LKW eine russische Flagge an.
Die prorussischen Separatisten behindern vor allem im Osten die Vorbereitungen für die Wahl am 25. Mai. © dpa/picture alliance/RIA Novosti/Natalia Seliverstova
Wilfried Jilge im Gespräch mit Ute Welty · 23.05.2014
Dass die Separatisten die Administrationsgebäude in der Ostukraine besetzen konnten, liege in der Mitverantwortung der Oligarchen, sagt der Leipziger Historiker Wilfried Jilge. Sie lavierten zwischen Machtkonstellationen im Interesse ihrer Geschäfte.
Ute Welty: Extrem reich bedeutet meist auch extrem einflussreich. Besonders deutlich geworden ist das jetzt vor der Präsidentschaftswahl in der Ukraine, wo Rinat Achmetow als der wohl reichste Mann des Landes mit den pro-russischen Aktivisten scharf ins Gericht geht: Das seien Hochstapler, die die Bevölkerung terrorisieren und in Geiselhaft genommen haben. Achmetow ist so reich, dass er eben auch mal die teuerste Immobilie der Welt hat kaufen können: eine Wohnung in London für 156 Millionen Euro.
Mit der Rolle der Oligarchen in der Ukraine hat sich der Osteuropahistoriker Wilfried Jilge beschäftigt, der an der Uni Leipzig forscht. Guten Morgen!
Wilfried Jilge: Ja, guten Morgen!
Welty: Ich habe versucht, zu beschreiben, wie reich Achmetow ist. Beschreiben Sie doch bitte, wie einflussreich er ist. Er kann ja, wie wir diese Woche gesehen haben, Menschen durchaus mobilisieren.
Jilge: Achmetow ist im Donbass, vor allem Donezk sehr einflussreich. Er hat starken Einfluss auf die Verwaltung, auf die Milizen. Das heißt, im Grunde genommen ist er eine Schlüsselfigur in Oblast Donezk, und das bedeutet, dass er zum Beispiel in den Fabriken, wo ein wesentlicher Teil der politischen Kultur im Donbass entwickelt wird, über seine Fabrikdirektoren ganz massiven Einfluss auf etwa 300.000 Arbeitnehmer hat.
Und von diesen hat er jetzt Leute mobilisiert gegen die Donezker Volksrepublik, diese Pseudorepublik, sozusagen zu demonstrieren, um deutlich zu machen, dass der Donbass nicht auf dem Weg zu dieser Republik ist. Achmetow hat wohl befürchtet, dass diese Leute, die ja mittlerweile auch durch innere Konflikte ziemlich unkontrollierbar geworden sind, seine Geschäfte massiv gefährden könnten. Allerdings ist seine Rolle höchst ambivalent. Er hat lange gewartet, bis er aus der Deckung gekommen ist.
Oligarchen bekennen sich nicht zu einer politischen Position
Welty: Bei so viel Einfluss und Macht, da wundert man sich ja eigentlich auch, warum Achmetow nicht selbst kandidiert bei dieser Wahl.
Jilge: Die Oligarchen halten sich mit klaren Bekenntnissen sozusagen zurück. Sie wollen sich sozusagen die Finger nicht schmutzig machen. Sie lavieren auch zwischen unterschiedlichen machtpolitischen Konstellationen, um letzten Endes immer an der Konstellation dran zu sein, die für ihre Geschäfte am besten ist. Da schadet es eher, wenn man sich massiv politisch exponiert. Denken Sie daran: Achmetow hat starke Assets sowohl in Europa auf den Finanzmärkten, er exportiert aber auch nach Russland, und das Lavieren auch im Donbass könnte mit dieser Position zusammenhängen.
Des Weiteren hat Achmetow mit Sicherheit eine Mitverantwortung, zumindest eine politische Mitverantwortung daran, dass im April die Leute der Donezker Volksrepublik überhaupt so einfach in die Administrationsgebäude hineinstürmen konnten. Sie wurden ja von der Miliz gar nicht aufgehalten. Und das liegt auch daran, dass die regionalen Fürsten im Donbass aufgrund der Situation in Kiew nun versucht haben, durch eine Drucksituation, die in der Region aufgebaut wurde, möglichst viel rauszuschlagen bei Verhandlungen mit Kiew. Sie fürchten Reformen für mehr Transparenz, mehr Wettbewerb, die ihre Machtposition im Donbass gefährden könnte. Und in diesem Interessengemenge muss man Achmetow sehen.
Welty: Einer, der kandidiert, ist der ukrainische sogenannte Schokoladenkönig Petro Poroschenko, der auch so etwas ist wie der Favorit dieser Wahl. Was zeichnet diesen Mann aus?
Poroschenko verkörpert die Sehnsucht nach Stabilität
Jilge: Man muss erst mal deutlich sagen, dass es keine so große Überraschung ist, dass Poroschenko kandidiert. Er war ja bereits vorher sehr häufig schon politisch tätig. Er hatte auch Ämter innegehabt. Was Poroschenko auszeichnen könnte, ist erstens, dass er in der Sicht zumindest vieler West- und Zentralukrainer, aber offensichtlich auch eines Teils der Menschen im Süden, die nach Umfragen zwar weniger für Poroschenko stimmen als der Westen.
Poroschenko ist derzeit immer sogar im Süden noch die absolute Nummer eins in den Umfragen, und es könnte ihn auszeichnen, dass er so was wie einen Manager verkörpert, der sich nicht ganz so diskreditiert hat mit Korruption wie die anderen Oligarchen und der nicht so stark verbunden war mit dem Regime Janukowitsch, der aber eben sozusagen als ein ökonomischer Macher gilt, dem man zutraut, einerseits die demokratischen Prinzipien zu achten und sozusagen Stabilität wieder ins Land zu bringen.
Und ein weiterer, ganz entscheidender Punkt, eine wichtige Motivation auch für die Wähler, die in Umfragen jetzt für ihn stimmen würden, ist, dass ihm zugetraut wird, sowohl im Westen stark zu sein des Landes, aber auch einen Dialog mit dem Osten führen zu können. Also es ist die große Sehnsucht nach Stabilität.
"Der Maidan ist eine Gefahr für autoritäre Klientelherrschaften in Osteuropa"
Welty: Auch anderswo auf der Welt haben reiche Menschen Macht und Einfluss, aber in Osteuropa scheint dieser Zusammenhang geradezu zwingend. Woher kommt das?
Jilge: Es kommt zum einen daher, dass in den unabhängigen Staaten und auch in der Ukraine es keinen Elitenwechsel gegeben hat. Die postsowjetische Nomenklatura hat Anfang der 90er-Jahre sehr geschickt umgeschaltet von der einen Ideologie auf sozusagen die nationale Unabhängigkeit und hat sich ihre Pfründe bewahrt und in ein sozusagen postsowjetisches Klientelwesen hinübergerettet.
Und durch den Maidan ist dieses System in Osteuropa in massive Gefährdung gekommen, denn hier ist eine von unten bürgerlich bewusste horizontale Protestbewegung entstanden, die nun versucht, diese korrupten Regime infrage zu stellen und sozusagen das Land, die Probleme des Landes selbst in die Hand zu nehmen. Das erklärt übrigens auch, warum man in Moskau so ängstlich auf den Maidan geguckt hat, denn der Maidan ist eine Gefahr für autoritäre, korrupte Klientelherrschaften in Osteuropa.
Welty: Die Rolle der Oligarchen in der Ukraine und im Zusammenhang mit der dortigen Präsidentschaftswahl, dazu der Osteuropahistoriker Wilfried Jilge hier in der "Ortszeit". Ich danke sehr fürs Gespräch!
Jilge: Herzlichen Dank auch! Wiederschauen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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