Ukraine-Krieg

Oligarchen verärgert über Putin

Der russische Präsident Wladimir Putin
Der Kreis von Putins Beratern ist geschrumpft. © dpa / picture alliance / Sergey Guneev
Eberhard Schneider im Gespräch mit Dieter Kassel · 06.02.2015
Putins Beraterkreis hat sich seit Beginn der Ukraine-Krise extrem verkleinert, erklärt der Russlandexperte Eberhard Schneider. Der russische Präsident stütze sich derzeit nur noch auf die Spitze von Militär, Geheimdienst und Innenministerium.
Der Russlandexperte Eberhard Schneider hat darauf hingewiesen, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Kreis seiner Berater seit Ausbruch der Ukraine-Krise extrem verkleinert habe. "Im Grunde stützt er sich nur noch auf die 'Silowiki', also die Spitze von Militär, Geheimdienst, Innenministerium", sagte der Politologe im Deutschlandradio Kultur. Viele Oligarchen hätten seine Umgebung verlassen oder wurden herausgedrängt. Die Oligarchen seien teilweise sehr verärgert über Putin, weil die 21 reichsten Männer durch die Sanktionen sehr viel Geld verloren hätten.
Putin will Reformprogramm in Kiew verhindern
Die jüngsten Drohungen aus Moskau richteten sich gegen den Westen, um Regierungen und Bevölkerungen einzuschüchtern. "Putin will verhindern durch seine Ukraine-Politik, dass die Führung in Kiew die Kraft und die Möglichkeit hat, ihr Reformprogramm umzusetzen im Rahmen der Assoziierung der Ukraine mit der Europäischen Union." Anders als Putin handele die ukrainische Regierung rational, sagte Schneider. "Sie hat innerhalb von zwei Wochen die Krim verloren, sie will nicht die Ostukraine jetzt auch noch verlieren durch die russische militärische Aggression." Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko fahre in seiner Politik zweigleisig, in dem er einerseits versuche, durch Verhandlungen Ergebnisse zu erzielen und andererseits verhindern wolle, dass die "Separatisten" in der Ostukraine mit russischer Hilfe mehr Territorium eroberten.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wenn ein Konflikt zu eskalieren droht oder schon eskaliert ist, dann haben Vermittlungen eigentlich nur dann noch eine Chance, wenn alle Seiten prinzipiell noch rationalen Argumenten zugänglich sind. Und damit sind wir bei den Vermittlungsversuchen im Ukraine-Konflikt. Denn da hat man immer mehr den Eindruck, mindestens eine der beteiligten Parteien, die russische nämlich, handele oftmals irrational und reagiere auch entsprechend auf alle Art von Vorschlägen. Ob das wirklich so ist, darüber wollen wir jetzt mit Eberhard Schneider reden. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen und unter anderem Mitglied des Advisory Board des EU-Russia Centre in Brüssel und er beobachtet die innenpolitischen Entwicklungen in der Sowjetunion damals, in Russland und in der Ukraine seit über 30 Jahren. Schönen guten Morgen, Herr Schneider!
Eberhard Schneider: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ist das Verhalten der russischen Seite auch in Ihren Augen irrational?
Schneider: Putin geht aus von zwei irrationalen Annahmen. Aber alles, was dann folgt, ist durchaus rational. Irrational ist für Putin das Trauma des Verfalls der Sowjetunion, mit dem er nicht fertig wird, wie er es selbst einmal 2005 ausgedrückt hat, und die zweite irrationale Annahme für meine Begriffe ist die Angst Putins vor einem erfolgreichen Maidan in Moskau. Die ist natürlich ausgelöst worden durch die Entwicklung in Kiew im Februar letzten Jahres, aber auch durch die Demonstrationen Anfang Dezember 2011 gegen die Fälschung der Staatsdumawahl in Moskau, und wiederum in Moskau am 6. März 2013 gegen die Vereidigung Putins als neuer Präsident.
Spekulationen über Putins Gesundheitszustand
Kassel: Ist es nicht auch ein Zeichen von Irrationalität, wenn jemand sich nicht mehr beraten lässt? Man hat ja den Eindruck, bei Putin sei das seit einer Weile regelrecht der Fall. Es gibt Medienberichte, dass er ganz viel Zeit mit Schwimmen verbringe und dann anschließend allein über die Lage in der Ukraine nachdenke.
Schneider: Das ist völlig richtig, aber die Beratungsresistenz gibt es natürlich auch woanders und die ist auch bekannt gewesen bei einem langjährigen Bundeskanzler in Deutschland.
Kassel: Um aber trotzdem noch mal bei Putin zu bleiben: Gestern erst wurde eine Studie des US-Verteidigungsministeriums bekannt, die schon aus dem Jahr 2008 stammt, und diese Studie soll behaupten, dass Wladimir Putin unter dem Asperger-Syndrom leide. Das geht ja nun recht weit, ist das für Sie Propaganda oder kann da was dran sein?
Schneider: Ich bin kein Mediziner, ich habe darüber keine Informationen, ich kann dazu natürlich leider nichts sagen.
Kassel: Aber haben Sie trotzdem den Eindruck, dass Putin doch jemand ist ... Das würde es ja bedeuten, ob es nun wirklich schon medizinisch diagnostizierbar ist oder nicht, der sehr in seiner eigenen Welt lebt?
Schneider: Das ist völlig richtig, er hat den Kreis von Personen um sich herum seit der Ukraine-Krise wesentlich verkleinert, im Grunde stützt er sich nur noch auf die Silowiki, also die Spitzen von Militär, Geheimdienst, Innenministerium. Viele Oligarchen haben aus seiner Umgebung ihn verlassen oder wurden auch herausgedrängt. Die Oligarchen sind teilweise sehr verärgert über ihn, denn seit Verhängung der Sanktionen haben die 21 reichsten Männer der Ukraine etwa ein Drittel ihres Vermögens verloren und Putin misstraut ihnen auch, gerade den Oligarchen, die reich geworden sind durch seine Nähe, weil sie eben die Ukraine nicht unterstützen und weil sie wahrscheinlich wegen ihres Vermögensverlustes gegen seine Ukraine-Politik sein werden.
Drohungen aus Moskau sollen Westen einschüchtern
Kassel: Ist diese Irrationalität, die zum Teil bei Putin zu beobachten ist, wirklich nur auf ihn beschränkt? Jewgeni Buschinski, ehemaliger Generalleutnant der russischen Armee, hat vor wenigen Tagen damit gedroht, Russland werde Kiew einnehmen. Andere reden in Moskau und anderswo von einem möglichen Einsatz von Atomwaffen!
Schneider: Das ist richtig, und es gab auch entsprechende Äußerungen Putins in Telefonaten mit Barroso, in drei Wochen könnte er in Riga sein, in Tallin, in Estland, in Warschau und in Bukarest. Ja, diese Überlegungen und Drohungen gibt es natürlich, die natürlich gerichtet sind vor allem an die westliche Adresse, um sie einzuschüchtern. Und Putin will auf jeden Fall verhindern durch seine Ukraine-Politik, dass die Führung in Kiew nicht die Kraft und die Möglichkeit hat im Grunde, ihr Reformprogramm umzusetzen im Rahmen der Assoziierung der Ukraine mit der Europäischen Union.
Kassel: Aber wie rational wiederum sind die Politiker in der Ukraine? Poroschenko stimmt sein Volk einerseits manchmal auf einen langen blutigen Krieg ein und ein paar Stunden später plädiert er dann wieder für eine Verhandlungslösung. Ist das Taktik oder ist das nicht auch einfach irrational?
Schneider: Also, die Regierung in Kiew verhält sich für meine Begriffe durchaus rational. Sie hat innerhalb von zwei Wochen die Krim verloren und sie will nicht die Ostukraine jetzt auch noch verlieren durch die im Grunde russische militärische Aggression. Und Poroschenko fährt zweigleisig, im Grunde ähnlich ja auch wie unsere Regierung: Auf der einen Seite will er natürlich Verhandlungen erreichen, Ergebnisse erzielen, weil er wohl davon ausgeht, dass militärisch kein Sieg zu erringen ist; auf der anderen Seite will er verhindern, dass die Separatisten in der Ostukraine mit russischer Hilfe weiter ihr Territorium innerhalb der Ukraine erweitern.
Angst und Sorge in der deutschen Bevölkerung
Kassel: Wenn wir über Irrationalität reden, dann habe ich den Eindruck, wir können da nicht nur über Politiker und Führer der Länder reden. In Deutschland kommt es mir so vor, dass die Bevölkerung inzwischen regelrecht aufgeteilt ist in sogenannte Putin-Versteher und Ukraine-gehört-zum-Westen-Befürworter. Überträgt sich da die Irrationalität dieses ganzen Konflikts auch auf die Bevölkerung?
Schneider: Ja, natürlich, die Bevölkerung ist zum Teil vielleicht auch ein bisschen ein Opfer der russischen Propaganda, die umgesetzt natürlich in gewisser Weise bei uns auch ankommt. Auf der anderen Seite ist es die Angst und Sorge wahrscheinlich vor einer weiteren kriegerischen Entwicklung und vielleicht auch dann natürlich bei den Personen, die an der Spitze von Firmen stehen, vor allem in der ehemaligen DDR, die aufgrund der Sanktionen große Verluste erleiden. Und vielleicht auch bei der älteren Generation in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, mit dem Deutschland Russland überzogen hat.
Kassel: Herzlichen Dank. Wir haben gesprochen mit Eberhard Schneider, er ist unter anderem Mitglied des Advisory Board des EU-Russia Centre in Brüssel und beobachtet seit über 30 Jahren innenpolitische Entwicklungen in zunächst der Sowjetunion, dann in Russland und in der Ukraine. Professor Schneider, vielen Dank für das Gespräch!
Schneider: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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