Überwachungskapitalismus

Warum die Monopole zerschlagen werden müssen

10:56 Minuten
Eine interaktive Kunstinstallation aus blau leuchteden Stäben, im Bildvordergrund ist ein Leuchtzeichen mit den Umrissen einer Hand zu sehen.
Für die Sorge einer "Gedankenkontrolle" gebe es aber kaum Hinweise, sagt Doctorow. Das Problem sei anderes. © Getty Images / Visual China Group
Cory Doctorow im Gespräch mit Vera Linß · 19.09.2020
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Tech-Unternehmen sammeln immer mehr Datenmengen über uns und viele befürchten, sie könnten Menschen dadurch manipulieren. Um die Macht der Konzerne zu reduzieren, müssen sie reguliert oder ganz zerschlagen werden, sagt der Autor Cory Doctorow.
In dem Buch "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus" entwirft die Ökonomin Shoshana Zuboff ein düsteres Szenario von der Zukunft. Ihre These: Die großen Tech-Unternehmen sammeln Daten, um daraus Prognosen vom zukünftigen Verhalten der Nutzer zu erstellen. Diese Vorhersagen lassen sich umso profitabler verkaufen, desto genauer sie sind.
Deshalb versuchen die Unternehmen zunehmend auch, das Verhalten der Nutzer so zu manipulieren, dass sie den Verhaltensprognosen entsprechen. Das heißt, wir werden nicht nur überwacht und getrackt, sondern auch manipuliert. Am Ende steht totale Kontrolle.
Der kanadische Science-Fiction-Autor und Aktivist Cory Doctorow hält das für eine falsche Einschätzung. In seinem gerade erschienenen Buch "How to destroy the Surveillance Capitalism" argumentiert er, dass nicht Gedankenkontrolle das zentrale Problem ist, sondern die Monopolmacht der Konzerne. Diese müsse zerschlagen werden.

Richtig sei, dass es riesige Probleme mit Datenmengen gebe, die großen Tech-Firmen über uns sammeln würden, sagt Doctorow. Shoshana Zuboff Einschätzungen würden aber auf der Annahme basieren, weil die Firmen uns mit Daten kontrollieren können, deshalb sammeln sie Daten. Schließlich seien der beste Beweis dafür die Unternehmen selbst. Sie würden Daten an Werbetreibende mit dem Versprechen verkaufen: "Wir können menschliches Verhalten manipulieren."
Für die Sorge einer "Gedankenkontrolle" gebe es aber kaum Hinweise, sagt Doctorow. "Es gibt nicht viele Beweise dafür, dass sie ein Gehirn-Kontroll-System gebaut haben könnten." Doctorow glaube vielmehr, der Grund, warum Tech-Firmen so viel Daten über uns sammeln würden, liege schlicht darin, weil sie es können: "Sie haben ein Monopol!"

Die Gefahr heißt Korruption

Und wenn man wie Facebook oder Google ein Monopol auf bestimmte Dienste wie eine Social-Media-Plattform oder eine Suchmaschine hat, dann könne man Verhalten wirklich kontrollieren.
Und das würde genauso funktionieren, wie Monopole schon immer funktioniert haben: "Egal ob es sich um Bier handelt, um Brillen, um Energie oder sogar beim professionellen Wrestling: Alles wird durch ein paar dominante Firmen kontrolliert. Und sie sind alle dominant geworden, indem sie ihre Konkurrenten aufgekauft haben."
Die große Gefahr, die nun von diesen Monopolen ausgehen würde, sei Korruption: "Wir sehen, wie sie Arbeitsstandards unterwandern, wie sie Steuern hinterziehen und vermeiden. Es ist kein Zufall, dass jedes Tech-Unternehmen in der EU sein Headquarter dort hat, wo die größten Steueroasen sind."
Irland sei ein Steuerparadies und in Malta wurde die Journalistin Daphne Caruana Galizi in ihrem Auto in die Luft gesprengt, weil sie über Korruption und Steuerhinterziehung berichtet hatte.

Zerstörung von Vertrauen

Monopole würden den Gedanken zerstören, dass es ein Regelsystem und Gesetzte gibt, die für alle gelten würden, sagt Doctorow. Und das würde mit zum Vertrauensverlust in Regierungen führen.
So hätten Monopole einer korrupten Pharmaindustrie überall auf der Welt Opiate verkauft, obwohl sie gewusst hätten, dass sie gefährlich seien. Aufsichtsbehörden hätten sie nicht daran gehindert und Millionen Menschen seien getötet worden.
"Wenn die Aufsichtsbehörden wirklich durchgreifen und die Pharmaindustrie bestrafen würden, dann würde die Theorie der Impfgegner zusammenbrechen. Das ist reale Gefahr, wenn man Monopole zulässt. Es zerstört unser Vertrauen darin, die Wahrheit darüber zu wissen, wie die Dinge ablaufen. Denn wir können den Prozessen nicht länger vertrauen."

Roosevelt hat es vorgemacht

Es werde ein langer Prozess werden, um diese Monopolstellungen zu ändern, schätzt Doctorow ein. So habe sich das Kartellrechtsverfahren, das die USA gegen IBM eingeleitet hatte, zwölf Jahre hingezogen. "Pro Jahr hat dieser eine Prozess IBM mehr Geld gekostet, als die ganze US-Behörde insgesamt für kartellrechtliche Verfahren ausgegeben hat. Es war sehr teuer und sehr langwierig. Letztendlich hat die US-Regierung aufgegeben."
In dieser Zeit habe IBM sich aber gebessert, denn sie hätten Angst gehabt, zerschlagen zu werden. "Das Problem mit dem zwölf Jahre dauernden Verfahren gegen IBM sind nicht die zwölf Jahre, sondern der Fakt, dass wir aufgegeben haben."
Unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan sei das Verfahren damals eingestellt worden. Ansonsten hätte man einen Präzedenzfall gehabt, um das nächste Monopol zu zerschlagen, sagt Doctorow. Wenn man Monopolen drohen würde, sie zu regulieren, dann würden sie sich auch besser verhalten.
Viele Menschen auf der Welt seien "sauer" und man stehe am Beginn einer Bewegung für Wettbewerb und Pluralismus, meint Doctorow. Alle zusammen könnten Veränderung herbeiführen, in diese "Angelegenheiten in einer Bewegung zusammenführen".
Denn erst, wenn die Gesellschaft klar zum Ausdruck bringe, dass sie Veränderungen will, erst dann würden auch Politiker und Politikerinnen handeln.
"Roosevelt war der erste Präsident, der die Kartelle eingeschränkt hat. Nach seiner Wahl war die Bürgerrechtsbewegung zu ihm gekommen und hat Veränderungen gefordert. Da hat er gesagt: Ich möchte etwas ändern, aber ihr müsst mir dabei helfen."
(jde)
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