"Überwachungsabend"

"Jede Gesellschaft braucht ihre Gesetzesbrecher"

Edward Snowden und Angela Richter
Die Regisseurin Angela Richter traf Edward Snowden für ihr Theaterprojekt zum fünfstündigen Interview © Schauspiel Köln
Angela Richter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.05.2015
Mit dem transmedialen Theaterprojekt "Supernerds - Ein Überwachungsabend" in Köln soll den Zuschauern das Problem der digitalen Massenüberwachung nähergebracht werden, sagt die Regisseurin Angela Richter.
Ausgangspunkt für den "Überwachungsabend" in Köln waren für die Regisseurin Angela Richter Interviews mit Whistleblowern wie Edward Snowden und Julian Assange, die in die Inszenierung mit Schauspielern einfließen werden. "In den letzten Jahren habe ich nur Stücke gemacht, die auf Interviews basieren und es sind meistens auch Schauspieler dabei, die das mit mir auch schon mal gemacht haben", sagte Richter im Deutschlandradio Kultur. "Das heißt, wir haben so eine gewisse Methodik entwickelt, wie wir uns dem annähern."
Fälle verschiedener Whistleblower
In der Inszenierung, die Theater, Radio, Fernsehen und Internet in einem Live-Ereignis multimedial verbinden will, werden die Fälle verschiedener Whistleblower beleuchtet. Damit sollen den Zuschauern Schicksal näher gebracht werden, aber auch erfahrbar gemacht werden, dass manchmal von diesen Leuten Gesetze gebrochen werden müssten, um größere "Verfassungsbrüche" sichtbar zu machen. "Jede Gesellschaft braucht ihre Gesetzesbrecher, damit es den Fortschritt gibt", sagte Richter.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Theater, das ist Text, Dramaturgie, Bühne, Musik, Licht und natürlich Schauspieler – wirklich? Schon lange nicht mehr. Erst recht nicht in Köln, denn dort hat heute am Schauspiel das Stück "Supernerds" Premiere. Es ist von Angela Richter, eine der vier Hausregisseurinnen, und wer ihre Arbeit kennt, der weiß, dass ihre Stücke nach intensiver Recherchearbeit entstehen und selbst nach der Premiere noch verändert werden. Jetzt geht sie noch weiter.
Ihr neues Projekt, das heute Premiere hat, ist eben nicht nur einfach ein Stück, sondern ein Überwachungsabend. Und das wird auf der Bühne laufen und nebenan, in einem extra vom WDR gebauten Studio, gibt es eine Live-Sendung dazu. Fernsehen und Theater werden sich ebenfalls live beeinflussen. Klar, dass uns so was interessiert, und deshalb habe ich mit der Regisseurin vor unserer Sendung gesprochen. Angela Richter beschäftigt sich ja theatralisch schon länger mit dem Thema Überwachung, hat in Köln darüber schon ein Stück gemacht und dafür auch mit Whistleblowern wie Julian Assange gesprochen. Jetzt also ein interaktives Theaterstück, und dafür hat sie auch Kontakt zu Edward Snowden gesucht. Und ich habe sie gefragt, wie schwierig das gewesen ist.
Angela Richter: Es ist nicht einfach. Ich hatte natürlich ganz gute Voraussetzungen, weil ich auch in dieser ganzen Szene mittlerweile auch bekannt bin so ein bisschen durch dieses Stück von Assange und das auch sehr wahrgenommen wurde zum Glück und dadurch aber auch den jetzigen Anwalt von Edward Snowden, Ben Wisner, schon vor drei Jahren kennengelernt habe und auch immer mit ihm im Kontakt war.
Und damals ließ sich zwar nicht ahnen, dass er irgendwann mal Snowdens Anwalt wird, aber das kam mir zugute, und auch die Bekanntschaft zu Wikileaks, aber es ging dann auch noch über ihn und über Sarah Harrison, die ja auch Mitglied bei Wikileaks ist und mit Snowden ja auf der Flucht von Hongkong nach Moskau war und mit ihm ja auch wochenlang in diesem Flughafen da, in diesem Zimmer ausgeharrt hat. Also die haben mir dabei geholfen, und dennoch hat es zwölf Monate gedauert. Also es war wirklich eine ziemlich lange Durststrecke, bis es dann wirklich so weit war, und ich bin aber einfach ganz dickköpfig drangeblieben, bis das dann wirklich geklappt hat.
Zauber-Ninja Edward Snowden
von Billerbeck: Wie haben Sie Edward Snowden erlebt? Wie geht er mit seiner Situation um? Einerseits der bekannteste und von vielen als mutigster Mensch der Welt geschätzte Person zu sein, andererseits ja völlig in die Enge getrieben?
Richter: Ich hatte ja schon einen gewissen Eindruck von ihm aus dem Dokumentarfilm "Citizenfour" von Laura Poitras, der ja auch einen Oskar gekriegt hat. Und da hatte ich einen Eindruck und war trotzdem, als ich ihn das erste Mal wirklich gesehen habe so vor mir, konnte ich nicht glauben, dass das jemand ist, der so was gemacht hat, weil er so zierlich und so zerbrechlich wirkt, auf den ersten Blick fast wie ein Junge, dass ich das wirklich ganz überraschend fand, aber dann im Verlauf des Gespräches und des Interviews – ich habe fünf Stunden mit ihm verbracht – dachte ich, mein Gott, was ist das denn nur für ein Zauber-Ninja.
Was für eine Ruhe der hat und wie durchdacht das alles ist, und wie sicher er sich dessen ist. Und er bereut das auch in keiner Weise, also im Gegenteil, er sieht schon die Situation in gewisser Weise auch positiv, weil die Alternative wäre ja gewesen, im Gefängnis zu sitzen und auch keine Stimme mehr zu haben. Er kann ja jetzt immer noch eingreifen, er gibt ja weiter Interviews. Also, er war in einer überraschend ruhigen, aufgeräumten und durchaus positiven Verfassung.
von Billerbeck: Nun haben Sie ganz viel Material, Interviews mit Assange, mit Edward Snowden, mit anderen Aktivisten, die alle etwas gewagt haben, um diese ja fast flächendeckende Überwachung an die Öffentlichkeit zu bringen. Was machen Sie dann mit diesem Material, wie entsteht daraus ein Stück?
Richter: Ja, das ist eine schwere Geburt, wie alle Theaterstücke. Aber ich habe ja ein bisschen Routine jetzt schon in dieser Art. In den letzten Jahren habe ich nur Stücke gemacht, die auf Interviews basieren, und es sind meistens auch Schauspieler dabei, die das mit mir auch schon mal gemacht haben. Das heißt, wir haben so eine gewisse Methodik entwickelt, wie wir uns dem annähern, und es ist jedes Mal von Neuem schwer, weil man eigentlich immer ausprobiert, dann verwirft, also schaut, dass ein Text, der eigentlich einfach nur mal ein gesprochener Text ist von jemandem, der einem eine Geschichte erzählt, wie man das sozusagen sinnlich erfahrbar auf der Bühne macht.
Und überraschenderweise kommt man dann auf Lösungen im Machen, die man vorher sich nie hätte ausdenken können. Also das ist wirklich so eine Art Dynamik mit den Schauspielern, die sich dann während der Probenzeit entwickelt. Und das ist sehr, sehr anstrengend, weil wir natürlich ohne doppelten Boden Sachen ausprobieren können und gar nicht wissen, wird das hinterher überhaupt noch in der Fassung drin sein. Und es ist ein permanentes Ausprobieren und Verwerfen, und die Schauspieler haben sehr starke Nerven, dass sie das durchhalten bis zum Ende. Aber irgendwann findet sich dann tatsächlich die eigentliche Geschichte, die dann wirklich was ganz anderes ist als das, was es mal in der authentischen Version war. Und das ist dann ganz schön, wenn das gelingt.
Schicksale von Whistleblowern
von Billerbeck: Nun geht es ja nicht nur darum zu zeigen, dass die Demokratie gefährdet ist, dass wir uns einem Überwachungsstaat nähern, dass Pressefreiheit eingeschränkt wird, sondern auch um persönliche Schicksale gerade von den Leuten, die so mutig sind und das auch sich nehmen, das öffentlich zu machen. Spielt das auch eine wichtige Rolle, oder was steht im Mittelpunkt dieses Theaterabends?
Richter: Es ist ein bisschen beides, weil ihr Schicksal ist ja untrennbar verbunden mit dieser Überwachung, weil die meisten Leute, die ich da präsentiere, bis auf Daniel Ellsberg, der ja die Pentagon Papers – bei dem setzen wir so an – geleakt hatte, der Urvater der Whistleblower ist, ist es ja so, dass wir in all diese Fälle ja mal einen Blick rein werfen. Also die Snowden-Geschichte erzählen wir jetzt nicht im Detail, die ist ja in großen Teilen der Öffentlichkeit bekannt.
Aber so Geschichten wie von Jesselyn Radack oder Thomas Drake, die ja weniger bekannt sind als Whistleblower, aber Vorläufer waren, deren Fälle zum Beispiel Edward Snowden sehr genau studiert hat, also dass man den Leuten einerseits diese Schicksale ein bisschen nahe bringt, aber gleichzeitig auch erfahrbar macht, dass das alles mit dieser Überwachung zusammenhängt, dass manchmal Gesetze von diesen Leuten gebrochen werden müssen, um größere, sagen wir mal, Verfassungsbrüche, die ja viel schwerer wiegen als dieser eine kleine Gesetzesbruch, sage ich mal, ans Licht zu bringen und was das heißt, also in welchen Dimensionen diese Leute sich bewegen. Das ist sehr schwer zu verstehen.
von Billerbeck: Also quasi, sie müssen verraten, um die Demokratie zu bewahren.
Richter: Genau. Also dass es manchmal nötig ist sozusagen, dass jemand zum Verräter wird im positiven Sinne, also nicht zum klassischen Judas, sondern eigentlich zu einem Häretiker, das ist vielleicht der bessere Begriff, so wie früher Galileo Galilei ja auch gesagt hat, nein, also, die Sonne dreht sich nicht um die Erde, es ist umgekehrt. Jede Gesellschaft braucht ihre Gesetzesbrecher, damit es den Fortschritt gibt.
Neue Art öffentlicher Bühne
von Billerbeck: Ich habe es ja nun schon geschildert, das ist ja nicht einfach, in Anführungsstrichen "Einfachtheater", sondern eine völlig neue Art öffentlicher Bühne. Da gibt es also Fernsehen und Theater, die sich gegenseitig beeinflussen, und das nicht im übertragenen Sinne, sondern ganz live und ganz direkt. Wie, bitte, müssen wir uns das vorstellen?
Richter: Das ist eine gute Frage. Es ist eigentlich ein Experiment. Ich fand das halt sehr konsequent, wenn man schon sagt, man redet jetzt über diese Medien, dass man sie auch im Grunde mit in die Form einfließen lässt. Und es ist aber – wir wissen ja alle, wie langweilig abgefilmtes Theater ist, einfach als Stream oder so, einfach so eins zu eins, und da kamen wir halt gemeinsam mit dem WDR und den Gebrüdern Beetz, die ja als Produzenten da auch zwischengeschaltet sind, auf die Idee, sozusagen alle Register zu ziehen und so eine Art Hybrid zu machen. Und das ist natürlich ein gewagtes Experiment, was auch sehr technisch aufwändig ist. Man muss es sich ein bisschen vorstellen wie ein Fußballspiel, dass live aus dem Studio auch mit kommentiert wird, nur ist es ein bisschen aufwändiger noch und die Kommentare aus dem Studio sind nicht nur jetzt direkt, wie beim Fußball, sondern erzählen auch noch mal eine eigene Geschichte. Und so kommt das dann in manchen Momenten zusammen und geht dann auch wieder auseinander.
von Billerbeck: Was soll denn nun dieser "Überwachungsabend", so heißt das Stück ja im Untertitel, mit den Zuschauern machen?
Richter: Es ist, ich sage manchmal so, dass ich eigentlich keine Kunst mehr mache, sondern nur noch Propaganda, oder Kontrapropaganda –
von Billerbeck: Das ist ja interessant, das hätte ich beinahe gefragt.
Richter: Es ist ein bisschen Kontrapropaganda und soll aber dazu dienen eigentlich, die Leute aufzuklären, vielleicht auch mündiger zu machen, skeptischer, dass sie sich selber ermächtigen im Endeffekt oder so, dass sie nachdenken und dass sie vielleicht nicht alles glauben, was sie lesen, oder noch mal genauer lesen oder zuhören, weil, ja, es ist ja so eine Informationsflut, und ich glaube, die Leute müssen einfach skeptischer werden und aufgeklärter. Und da versuche ich dran zu arbeiten.
von Billerbeck: Die Regisseurin Angela Richter war das. "Supernerds. Ein Überwachungsabend", das ist ein Projekt, ein Live-Ereignis zwischen Fernsehen und Bühne, das hat heute Abend in Köln Premiere. Ein Projekt vom Schauspiel Köln, der Gebrüder Beetz Filmproduktion und dem WDR. Und weitere Vorstellungen, wie schon erwähnt, die werden live ins Internet gestreamt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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