Übersetzerin über Elena Ferrante

"Man wird fast aufgefressen von diesem Text"

Blick auf Neapel
Das alte Neapel: In der "Geschichte eines Kindes" kehrt die Hauptfigur Elena in die Stadt zurück. © imago/Arkivi
Karin Krieger im Gespräch mit Andrea Gerk · 26.01.2018
Kommende Woche erscheint das neue Buch der Erfolgsautorin Elena Ferrante: Es ist der vierte und letzte Band ihrer Neapolitanischen Saga. Ferrante-Übersetzerin Karin Krieger schildert, vor welchen Herausforderungen sie stand - und was Ferrantes Stil so besonders macht.
Erleichterung und Traurigkeit halten sich derzeit die Waage bei Karin Krieger. Zweieinhalbtausend Seiten Text hat sie übersetzt - in gut zwei Jahren. Eine sehr intensive Zeit:
"Man wird fast aufgefressen von diesem Text. Ich kann ehrlich gesagt noch nicht so richtig fassen, dass es vorbei ist. Ich fühle mich wie so eine Lokomotive mit einem ganz langen Bremsweg, die jetzt irgendwie in ein Niemandsland schlittert und nicht merkt, dass der Weg eigentlich schon gegangen oder gefahren ist."

Dicht an der Wahrheit

Die unter Pseudonym schreibende Autorin habe eine bewusst nüchterne Sprache gewählt, sagt Krieger, "für mich als Übersetzerin manchmal fast schmerzhaft nüchtern". Denn diese Sprache stehe im Kontrast zu den vielen Geschichten und "unglaublich aufgeladenen Situationen", die Ferrante schildere. Doch dieser Stil verleihe dem Buch seine Authentizität: "Ich fühle mich als Leser nie hintergangen, ich fühle mich nie manipuliert, sondern ich merke, sie versucht ganz dicht an der Wahrheit, an der Wirklichkeit entlang zu schreiben."
Ferrante wechsele dabei stark ab: Auf epische Passagen folge ein "kunstvoll geflochtenes Ganzes" aus direkter und indirekter Rede und inneren Monologen. Die Kürze und Schroffheit der Umgangssprache erfordere sehr genaues Arbeiten:
"Ich muss Sachen auf den Punkt bringen. Gerade das ist sehr viel schwerer. Wenn ich so einen langen Satz habe, da habe ich Material zum Spielen, da kann ich Wörter hin und her schieben, während bei kurzen Sätzen muss ich selber sehr kreativ werden, um mit eigenen Worten dasselbe auszudrücken."
Dass Ferrante begeisterte Leser finden würde, konnte sich Krieger von Anfang an vorstellen. Dass es so viele würden, nicht. Denn sie, Krieger, habe schon viele Bücher übersetzt - "ganz wunderbare Texte", die aber "im Dschungel von fast 100.000 Neuerscheinungen pro Jahr einfach untergegangen sind". (bth)

Das Interview im Wortlaut:

Andrea Gerk: Die ganze Welt reißt sich um die Bücher der italienischen Autorin Elena Ferrante, die unter Pseudonym veröffentlicht. Die Londoner Zeitschrift "The Economist" verglich die Autorin mit Charles Dickens, andere nennen sie sogar in einem Atemzug mit Kafka und Zola. Nächste Woche erscheint der vierte Teil der "Geschichte des verlorenen Kindes", übersetzt von Karin Krieger, die jetzt bei mir im Studio ist, und bei mir ist auch meine Kollegin Maike Albath, die Italien und Ferrante sehr gut kennt. Hallo, guten Morgen, Sie beide!
Karin Krieger: Guten Morgen!
Maike Albath: Guten Morgen!
Gerk: Frau Krieger, was überwiegt denn im Moment bei Ihnen – Erleichterung oder Trauer, dass das jetzt erst mal vorbei ist?
Krieger: Also es hält sich die Waage. Es ist so, dass ich etwa gut zwei Jahre an diesen Texten gearbeitet habe, an diesen vier Bänden. Zwei Jahre sind eine unglaublich lange Zeit, wenn man sich sehr intensiv mit einem Text beschäftigt, und man wird fast aufgefressen von diesem Text, und ich kann, ehrlich gesagt, noch nicht so richtig fassen, dass es vorbei ist. Also ich fühle mich so ein bisschen wie eine Lokomotive mit einem ganz, ganz langen Bremsweg, die jetzt irgendwie so in ein Niemandsland schlittert und nicht merkt, dass der Weg eigentlich schon gegangen oder gefahren ist.
Gerk: Ist denn dieser Zug, der Elena-Ferrante-Zug, Maike Albath, noch so in voller Fahrt oder ebbt dieser Hype schon so ein bisschen ab?
Albath: Ich glaube, der kommt jetzt erst mal wieder in volle Fahrt, denn die letzten beiden Bände standen ja über ein Jahr auf der Bestsellerliste, und das wird jetzt so weitergehen. Für mich war ein Schlüsselerlebnis, als ich vor ein paar Monaten bei einer Familienfeier einer indischen Hochzeit in Singapur war und mich diese neue Cousine als erstes auf Elena Ferrante ansprach, die das auf Englisch gelesen hatte.
Da wurde mir klar, das ist wirklich ein Weltphänomen, und Elena Ferrante hat seit letzter Woche eine Kolumne im "Guardian", das ist wirklich etwas, was in sehr vielen Ländern gerade die Leser beschäftigt, und ich glaube, vor allem um die Leser geht es ja auch.

Skeptisch gegenüber Erfolgsprognosen

Gerk: Frau Krieger, als Sie angefangen haben, dieses Werk zu übersetzen, haben Sie das gleich gemerkt, dass das sowas Besonderes ist oder ist das erst quasi mit der Welle dann auch mitgekommen? Spürt man das gleich als Übersetzer?
Krieger: Ja, schon. Also man merkt … Natürlich, wenn man einen Text liest, hat man sehr schnell einen Eindruck davon, wo seine Qualitäten beziehungsweise seine Schwächen sind, ganz klar, aber es ist ganz oft so, ich habe schon so viele Bücher übersetzt, die letztendlich in diesem Dschungel von fast 100.000 Neuerscheinungen pro Jahr einfach untergegangen sind, ganz wunderbare Texte, von denen man sich auch ganz viel versprochen hat, und wenn ich also Erfolgsprognosen höre von Verlagen, die sagen, oh, wir haben hier ein ganz, ganz schönes Buch für Sie, möchten Sie das nicht übersetzen, das wird garantiert ein Erfolg, denke ich immer, na ja, warten wir es ab.
Dass es bei Ferrante so gekommen ist, habe ich eben wegen dieser Skepsis nicht vorausgesehen, aber ich konnte mir auf jeden Fall vorstellen, dass es begeisterte Leser finden wird dieses Buch. Dass es so viele sein werden, konnte ich nicht ahnen, nein.
Gerk: Ist ja auch immer noch erstaunlich, oder? Maike Albath, was denken Sie, woran das liegt, was trifft die Autorin da für einen Nerv?
Albath: Da kommen verschiedene Dinge zusammen. Es ist wirklich etwas Universelles, weil es in allen Fasern um Frauenschicksale geht, ich glaube, man könnte fast sogar von so einem imminent weiblichen Buch sprechen, denn es setzt auf Beziehungen. Es ist weniger so eine Geschichte, wie wir sie häufig kennen, von Aufstieg und Fall, der Held, der kämpft, der jemanden besiegt, der dann vielleicht auch jemanden tötet und dann unterliegt, also metaphorisch tötet. Hier haben wir es in den ganzen Facetten zu tun mit diesen Beziehungen, mit der Ambivalenz von Mutterschaft, wie die eigenen Mütter dann auch auf die erwachsenen Frauen immer wieder sich auswirken, was für ein Kampf das ist, und dann auch eben ein Italienpanorama, also diese patriarchale Gesellschaft, die in den 70er-Jahren – die vierte Band führt ja in die 70er – doch sehr auseinanderbricht.
Da passieren neue Dinge, und ich glaube, das war es. Und dann ist es ein unglaublich gut gebauter Roman mit einer sehr starken soghaften Sprache – deswegen auch dieses Bild mit der Lokomotive passt wunderbar –, und ich werde auch wahnsinnig neidisch, Frau Gerk, wenn ich mir überlege, dass Sie vielleicht diese vier Bücher noch nicht kennen, weil man wirklich auch als Leser einwandert wie in ein fremdes Land und sich dort dann eine ganze Weile lang aufhält, eben über 2.500 Seiten, und das hat dieser Zyklus ganz stark. Also ich habe selten auch so viele Reaktionen bekommen von Lesern.

Statt feuriger Wörter eine nüchterne Sprache

Gerk: Wie würden Sie denn diesen Stil von Ferrante beschreiben? Auf den ersten Blick, also ich habe auch den ersten Band gelesen, würde ich jetzt so als Leserin sagen, das ist ja relativ schlicht erzählt eigentlich, aber das hat ja offenbar für eine Übersetzerin bestimmt trotzdem unglaubliche Herausforderungen und Raffinessen. Wo liegen die?
Krieger: Die Schlichtheit ist natürlich Methode, also es ist Absicht. Ferrante wählt ganz bewusst eine sehr nüchterne Sprache, für mich als Übersetzerin manchmal fast schmerzhaft nüchtern, weil sie mit dieser ..., also, was so ein Kontrast ist zwischen dem, was sie erzählt, eben zwischen diesen vielen Geschichten, zwischen diesen auch unglaublich aufgeladenen Situationen, die sie schildert, und macht das aber eben nicht mit einer aufgeladenen Sprache, wozu es mich dann manchmal reizt als Übersetzerin, dass ich dann eben auch feurige Wörter verwende, wenn es um eine feurige Sache geht, und genau das macht sie nicht. Sie setzt dem eine sehr nüchterne Sprache entgegen, die aber dem Buch diese Authentizität verleiht. Also ich fühle mich als Leser nie hintergangen, ich fühle mich nie manipuliert, sondern ich merke, sie versucht, ganz dicht an der Wahrheit, an der Wirklichkeit entlang zu schreiben, und sie wechselt dabei sehr stark ab.
Also sie hat einerseits sehr, ja, fast epische Passagen, wo sie lange erzählt, wo auch die Erzählerin erzählt. Da hat sie auch ganz tolle Momente des Indirekten drin, dass dann jemand bemerkt, beobachtet, was jemand anders tut, das wird wieder kommentiert, und das geht dann in so ein ganz kunstvoll verflochtenes Ganzes über von direkter und indirekter Rede, von innerem Monolog, und andererseits hat man dann wieder die direkte Sprache, auch die Umgangssprache, den Dialekt, der überhaupt nicht ausformuliert ist. Sie schreibt nicht im Dialekt, sondern sie schreibt im Wesentlichen im Hochitalienischen, und auch da muss ich sehr genau arbeiten, weil da geht es um Kürze, um Schroffheit, um dieses, ich muss Sachen auf den Punkt bringen, und oft ist genau das viel, viel schwerer. Wenn ich so einen langen Satz habe, da habe ich Material zum Spielen, da kann ich die Wörter hin und her schieben, während bei kurzen Sätzen muss ich selber also sehr kreativ werden, um mit anderen Worten dasselbe auszudrücken.
Gerk: Karin Krieger, die jetzt zweieinhalbtausend Seiten Elena Ferrante übersetzt hat, wir sprechen gleich weiter miteinander nach dieser Musik der Grammy-Preisträgerin Mavis Staples.
((Musik))
Nächste Woche erscheint der vierte und letzte Teil der erfolgreichen neapolitanischen Romanreihe von Elena Ferrante. Übersetzt hat dieses Buch, und auch die drei Bände davor, Karin Krieger, und mit ihr im Studio ist auch Maike Albath, unsere Italien-Expertin. Maike, wie wird denn dieses Phänomen in Italien selbst wahrgenommen? Auf der ganzen Welt wird diese Autorin gefeiert, und es ist ja oft so, dass es dann zu Hause quasi gar nicht so gut läuft. Wie ist das in diesem Fall?
Albath: Doch, Elena Ferrante ist ja da seit Anfang der 90er-Jahre, schon 25 Jahre, wirklich berühmt. Es gab auch von früheren Romanen bereits Verfilmungen von Martone. Also sie ist da ein Begriff, und man hat immer viel über sie diskutiert. Große Schriftsteller haben, als diese Tetralogie abgeschlossen wurde, darüber geschrieben im "Corriere della Sera". 2014 war das in Italien. Und dann hat man sich natürlich auch damit befasst, dass das jetzt über den Umweg von Amerika so unglaublich berühmt geworden ist, und mittlerweile wird ja auch die ganze Serie verfilmt, immer mit Hilfe auch dieser Autorin, die dann einzelne Drehbuchteile kommentiert, obwohl sie das Drehbuch dann auch nicht selber geschrieben hat, sondern da sind dann wieder andere dran beteiligt. Also das ist sehr, sehr präsent.

Mit Ferrante nur schriftlich verkehrt

Gerk: Die Autorin, da müssen wir natürlich noch unbedingt drüber sprechen, veröffentlicht ja unter Pseudonym. Frau Krieger, wie haben Sie denn mit ihr kommuniziert? Mussten Sie da so ein Geheimhaltungsvertrag unterschreiben oder wie läuft das da?
Krieger: Nein, also der Verlag vertraut mir da schon. Also nein, was soll ich … Ich kann ja gar nicht geheim halten, weil ich ja auch nichts weiß wie alle anderen. Also es ist so, dass ich schriftlich mit ihr kommuniziere per E-Mail – das ist ja heute ganz einfach –, und ich schreibe ihr meine Fragen zu jedem Buch. Es wurden natürlich mit jedem Buch auch weniger Fragen, weil man irgendwann also fast denkt, man ist die Autorin selbst – nicht ganz. Sie antwortet umgehend, und sie versteht vor allem die Fragen. Das ist nicht bei allen Autoren so.
Nicht alle Autoren begreifen, was einen Übersetzer überhaupt umtreibt, wenn er eine bestimmte Nuance erfragen will, wenn er wissen will, welche Wortwolke umgibt so einen einzelnen Begriff. Dann stehen die da und sagen, ich habe es doch hingeschrieben. Es ist ja so, dass keine zwei Sprachen sind deckungsgleich, und natürlich habe ich in der einen Sprache ein Wort, was in der anderen Sprache mehr präzisiert werden muss. Es gibt so ganz einfache Beispiele: Lo studente, der Student, das kann im Deutschen ein Schüler sein oder ein Student. Wir präzisieren viel mehr, und mit dieser großen Präzision der Sprache habe ich natürlich auch viel zu tun, und das kann ich dann gut mit der Autorin schriftlich besprechen.
Gerk: Es gab ja Versuche, dieses Pseudonym zu enthüllen. Wie fanden Sie das?
Krieger: Entsetzlich. Natürlich entsetzlich. Ich fand es also sehr eitel, ich fand es völlig überflüssig, ich fand es sehr respektlos, wenn jemand darum bittet, und zwar nicht erst seit Erscheinen der Tetralogie, sondern bereits seit 1992, also als Elena Ferrante ihr erstes Buch veröffentlicht hat, wenn also jemand darum bittet, ich brauche für meine Arbeit Ruhe, und ich brauche es als Privatperson, nicht in Erscheinung zu treten. Sie tritt ja als Autorin durchaus in Erscheinung. Sie ist ja kein Geist, es gibt sie ja, aber eben nur als literarische Stimme, nicht als Privatperson, und das nicht respektieren zu können, finde ich schade.
Albath: Ich fand, das war der Tiefpunkt auch unseres Metiers, der Journalisten. Das war natürlich kein Zufall, dass es ein Wirtschaftsjournalist war und kein Literaturkritiker. Ich glaube, Literaturkritiker hätten das nicht getan, und da war das Schlimme, dass es zu einer Art Hype dann geführt hat, der mit den Büchern gar nicht mehr so viel zu tun hatte, und das hatte eine Brutalität, also diese ganze Geste, fand ich sehr ärgerlich. Das Wunderbare ist jetzt, dass dazu ja komplett geschwiegen wurde, und das finde ich auch die einzige mögliche Reaktion, und – das interessiert mich nun, vielleicht mehr so aus der Perspektive der Kritikerin –, es auch darum geht, eine Autorenfiktion zu inszenieren.
Also ich glaube, auch dieses Autoren-Ich ist natürlich eine Rolle, das ist genauso wie bei Pessoa, der verschiedene Heteronyme erfunden hat und der mit diesen Stimmen spielt, und das ist diese Stimme Elena Ferrante, und da hat sie auch ein Autoren-Ich mit verschiedenen Eigenschaften, und das ist doch für uns dann gerade erst recht spannend, also damit zu arbeiten. Das ist doch viel, viel aufregender, als jetzt zu wissen, welche tatsächliche Person hinter dem Pseudonym steckt.
Krieger: Ich fand es auch gut, dass die Leser sich verweigert haben, dass die gesagt haben, du bist ein Spielverderber, wir wollen das überhaupt nicht wissen, lasst uns unser Geheimnis.
Gerk: Genau, und es spielt ja, korrespondiert ja wahrscheinlich auch mit dem Bild von Italien, was diese Romanreihe entwirft oder entspricht. Es ist ja auch kein Dokumentarbuch, sondern es sind ja eben auch Fiktionen. Das ist ja eigentlich dann so ein Wechselspiel, nehme ich mal an, oder entspricht das dem Italienbild, was Sie schon immer hatten? Sie sind ja Ostberlinerin. Wie haben Sie sich überhaupt dieses Italien von Elena Ferrante erschlossen?
Krieger: Ja, das ist nicht so einfach! Ich weiß nicht, ob es ein Extra-Italien und ein Italien von Elena Ferrante gibt. Ja, kann ich jetzt gar nicht so genau festmachen.
Gerk: Sie sind auch hingefahren, oder?
Krieger: Ja, natürlich.

Die Atmosphäre von Neapel spüren

Gerk: Sie sind hingefahren und haben sich dieses Viertel angeguckt.
Krieger: Ja, also um mich jetzt direkt auf diese Übersetzungsarbeit an den Büchern vorzubereiten, ja, das ist natürlich ganz einfach, sicher. Neapel ist ein ganz großes Thema, und Neapel ist natürlich auch eine extreme Stadt, wirklich eine Stadt der Extreme. Also ich habe zum Beispiel auch Malaparte noch mal gelesen, dieses ganz verstörende Buch über Neapel, auch "Die Haut", und darin sagt er eben, Neapel ist keine Stadt, Neapel ist eine Welt, und das stimmt natürlich, und ich also nach Neapel gefahren. Elena Ferrante selbst sagt ja, man soll die Schauplätze eines Romans, also eigentlich fiktive Orte letztendlich, nicht in der Wirklichkeit besuchen, meistens wird man enttäuscht, sondern man soll sie eben in den …
Gerk: So wie man den Autor auch nicht kennen muss.
Krieger: Genau, man soll sie eben in den Büchern besuchen. Aber was ganz wichtig für mich war, war natürlich, jetzt auf Neapel bezogen, die Atmosphäre wirklich zu spüren. Neapel ist eingeklemmt wie so ein Amphitheater am Meer zwischen zwei Vulkanen, zwischen zwei schlimmen Vulkanen.
Einmal hat man den natürlich bekannten Vesuv, aber dann hat man diesen Solfatara-Krater, diese phlegräischen Felder, um die es ja auch in den Büchern geht, und diese Unsicherheit, die in diesem Ort schon liegt, die überträgt sich ja auch auf die Mädchen und vor allem eben auf Lila, also eine der Protagonistinnen, die eben sehr stark dieses Gefühl hat, alles kann sich auflösen, nichts ist sicher, eigentlich ist es Unfug, sich wegzubegeben. Sie begibt sich ja auch nie weg, während Elena, die Erzählerin, sehr wohl aus Neapel wegstrebt und allem, was negativ daran ist, bis hin zum Dialekt, bis hin zur Sprache, die sie ablegen will.
Albath: Das ist so eine Geschichte der Emanzipation, die da erzählt wird und dieses Wilde ist eben unglaublich spürbar, das, glaube ich, macht auch die Kraft dieses Romans aus.
Gerk: Und noch können wir uns auf den vierten Band freuen, die wir ihn noch nicht gelesen haben, und Sie sind auch, soweit ich weiß, schon wieder damit beschäftigt, Briefe und Interviews und Essays zu übersetzen. Karin Krieger und Maike Albath, vielen Dank, dass Sie hier waren, und der neue, der vierte Band der Saga "Die Geschichte des verlorenen Kindes" erscheint in der kommenden Woche beim Suhrkamp-Verlag. 614 Seiten kosten 25 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Elena Ferrante: "Die Geschichte des verlorenen Kindes"
Übersetzung von Karla Krieger
Suhrkamp Verlag
614 Seiten, 25 Euro
Erscheinungsdatum: 2. Februar 2018

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