Überraschende Doppelporträts

11.08.2008
"Die guten Geister" - das sind Haushälterinnen, Butler, Sekretärinnen. Meist bleiben sie unbeachtet und unbeschrieben. Dietmar Grieser hat dem ein Ende gesetzt und ein unterhaltsames Geschichts- und Geschichtenbuch über die wechselnden Abhängigkeiten zwischen "denen da oben" und ihrem Personal geschrieben.
Sie waren immer dabei. Wenn komponiert und gedichtet wurde, wenn man illustre Gäste zu Tisch bat oder die Koffer zu packen waren, weil der Maestro auf Tournee ging oder Madame auf dem Weg zu einem Seitensprung war. Ohne sie, die Köchinnen, Hausdiener und Sekretäre, ging nichts in den Häusern der Großen.

Beethoven kam nicht aus ohne seine Haushälterin, die ihm das große "Allegro con confusione", wie er selbstironisch das Chaos in seiner Wiener Wohnung nannte, in Ordnung brachte. Ohne seinen Sekretär hätte Karajan niemals sein striktes Arbeitspensum geschafft und nur dank seiner bienenfleißigen Schreibkraft gelangen Feuchtwanger während des amerikanischen Exils mehr als sieben große Romane und drei neue Dramen.

Auf ihre "guten Geister" verließen sich alle, ob Johann Strauss oder Zarah Leander, Erich Kästner oder Kaiserin Zita. Allen gemeinsam ist, daß sie den Großen zur Hand gingen, ihnen dabei halfen, ihren Arbeitsalltag zu bewältigen. Die wenigsten von ihnen hat man bisher kennen gelernt.

Manche wie Lenchen Demuth, die Karl Marx bekocht hat und von ihm ein uneheliches Kind bekam, waren bestenfalls eine Fußnote in der Geschichte oder eine dürre Tagebuchnotiz ("Nach dem Thee: Diktate an die Kahn"), wie sie Thomas Mann der Stenotypistin und ersten Leserin seiner Texte, Hilde Kahn, widmete.

Dietmar Grieser holt die Servicekräfte aus den Hinterzimmern der Kulturgeschichte. Kurzweilig spielt er an dreißig Fällen das Thema Dienen und Bedientwerden durch.

Man sieht die Großen von unten, und nicht jeder aus der erlauchten Gesellschaft entspricht dem Bild, das sich die Welt von ihm gemacht hat. Goethe etwa erweist sich charakterlich nicht ganz auf der Höhe, als er seiner Köchin nach der Kündigung auch noch die nächste Anstellung vermasselt. Papst Pius XII., dem der Ruf eines glänzenden Rhetorikers vorauseilte, rang sich, wie Schwester Pascalina, die "Frau an seiner Seite" überliefert, jedes Wort unter größten Mühen ab und gab ganze Nächte dran, seine Reden schauspielerisch zu gestalten.

Und Katja Mann speiste die Sekretärin ihres Mannes jahrelang mit einer mageren Pauschale ab. Aber auch Akte von nobler Großzügigkeit sind dokumentiert. Egon Friedell füttert seine "Perle" auch dann durch, als sie krank und arbeitsunfähig wird, Marie von Ebner-Eschenbach, Mitglied des österreichischen Erbadels, pflegt freundschaftlichen Umgang mit ihren Bediensteten. Nachdem er sie rausgeworfen hat, bittet der cholerische Bruckner seine Haushälterin regelmäßig auf Knien um Verzeihung und veranlasst sie mit einem eigens komponierten gemütvollen Ländler zum weiteren Bleiben.

Auf diese Weise entstanden überraschende Doppelporträts, man lernt nicht nur das einfache Mädchen vom Lande kennen, das die Anstellung im noblen Haushalt der Mahler-Witwe, Gropius-Gattin und Werfel-Geliebten Alma als "wahrgewordenen Traum" erlebt, sondern auch die Hausherrin selber, die jenes Mädchen wie eine "Leibeigene" hält und sie doch als lebenslange Vertraute hofiert.

Auch diejenigen finden Platz, deren erotischer Hang zum Personal zu folgenschweren Konsequenzen führt wie bei Karl Valentin, der, nachdem er das Küchenmädel seiner Eltern geheiratet hat, gleich mit seiner neuen Sekretärin anbandelt.

Die Perspektive durchs Schlüsselloch gewährt überraschende Einblicke in die Werkstätten der großen Schriftsteller, ihre Arbeitsweise ebenso wie in die privaten Gemächer der Reichen und Schönen. Ein bisschen Klatsch ist immer dabei, doch bleibt Dietmar Grieser, bei aller Neigung zum lebensnah Anekdotischen, dabei liebenswürdig diskret. Nirgends verletzt er die Grenzen des guten Geschmacks.

Der Wiener Autor schätzt die Nebenwege. Er nähert sich der Kunst nicht als Exeget oder Philologe. Ihn interessieren die Begleitumstände, unter denen sie verfertigt wurde. Wie ein Reporter setzt er sich auf die Spur des empirisch Nachprüfbaren, der biografischen Ausgangssituation. Nach dieser Methode hat er mehr als 20 erfolgreiche Bücher geschrieben, allen voran die Bände "Sie haben wirklich gelebt" (2001) oder "Schauplätze der Literatur", 1996), wo er den authentischen Vorlagen großer Romanstoffe nachgeht.

Auch in "Die guten Geister" bedient er sich der literarischen Kleinform. Seine Porträts setzen sich aus einer Mixtur von Essays, Reportagen und Reiseberichten zusammen. Seine Quellen sind Tagebücher, Korrespondenzen und Selbstauskünfte der Künstler und Politiker bis zu literarischen Dokumenten, die Brecht etwa, Dostojewski oder Alfred Polgar ihrem Personal gewidmet haben.

Herausgekommen ist dabei ein anschauliches, munter erzähltes Kompendium über die wechselnden Abhängigkeiten zwischen "denen da oben" und ihren dienstbaren Geistern, ein Geschichts- und Geschichtenbuch über die Vorgänger dessen, was heute Dienstleistungsgesellschaft heißt.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Dietmar Grieser: Die guten Geister.
Sie dienten den Großen dieser Welt. Köchin, Butler, Sekretär

Amalthea Verlag, Wien 2008
272 Seiten, 19,95 Euro