Überlebenskampf einer Jugendherberge in Bayern

Die große Leere

29:49 Minuten
Blick in einen leeren Essenraum mit Stühlen und Tischen.
Von voller Auslastung auf null sank die Besucherzahl im Frühjahr in der Jugendherberge Heiligenhof in Bad Kissingen. © Heiner Kiesel
Von Heiner Kiesel  · 30.08.2020
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"Gemeinschaft erleben" ist das Motto deutscher Jugendherbergen. Aber genau das ist seit dem Ausbruch der Coronapandemie nicht mehr möglich. Aufgeben will ein Herbergsvater in Bad Kissingen deshalb nicht.
Es ist Ende Mai 2020, Pfingstwochenende. Auch wenn das gerade nicht so aussieht: ein Tag der Hoffnung in der Jugendherberge Bad Kissingen, dem Heiligenhof. Der erste von zwei Ortsterminen. Steffen Hörtler, der Leiter des Hauses sitzt vorgebeugt am Schreibtisch vor seinem Computer und scrollt durch die E-Mails.
"Es ist jeden Morgen zum Heulen", sagt er, aber trotzdem: Es geht wieder los! Heute, endlich. Nach elf Wochen Lockdown dürfen sie wieder aufnehmen! Die Jugendherberge im Nordwesten Bayerns ist eine von 450 in Deutschland. Sie ist ein Beispiel dafür, was Jugendherbergen heute ausmacht und auch, wie sie darum kämpfen, die Coronazeit zu überstehen. Die Einrichtungen stehen unter dem Motto "Gemeinschaft erleben", das ist genau das, was während der ersten Monate der Coronapandemie gar nicht ging. Und auch jetzt noch nicht wirklich angesagt ist.

Steigende Übernachtungszahlen seit 1952

Hörtler lässt die Computermaus los, schiebt den Bürostuhl zurück und steht auf. Stämmige zwei Meter, weißes Hemd, dunkles Jackett. Links neben ihm hängt der Jahresplaner, Plakatgröße DIN A 0. Früher hat er den gerne angesehen. Die vielen bunten Striche, meist eine Woche lang. Er blättert zurück.
"Den Heiligenhof gibt es seit 1952, seit 21 Jahren sind wir Mitglied im bayerischen Jugendherbergsverband. Wir haben stetig steigende Übernachtungszahlen. Wenn ich Ihnen unseren Plan vom letzten Jahr ganz einfach mal zeige, dann sind das deutlich über 40.000 Übernachtungen, die wir haben und auf diesem Plan ist der Zeltplatzbereich nicht vermerkt!"
Jetzt das aktuelle Blatt: Die ersten Monate 2020 wie gehabt lauter bunte Striche, dann massive matte Tipp-Ex-Schichten über den Einträgen von März, April, Mai. Das weitere Jahr ist auch schon vom weiß befallen. Absagen. Der Herbergsleiter fährt mit dem linken Zeigefinger über die Monate.

Corona trifft die Einrichtung im Kern

"Also Sie sehen, das war die Jahre zuvor auch immer so. Jeder Strich ist eine Gruppe, kein Einzelgast und wenn Sie sehen, was hier noch übrig geblieben ist. Ich habe für Juni selbst noch zwei Gruppen, wobei beide Gruppen angedeutet haben, dass sie nicht kommen werden."
Steffen Hörtler will sich nicht davon runterziehen lassen, auch wenn es seine Einrichtung im Kern trifft – nicht nur finanziell. Nicht heute, wo es doch irgendwie wieder losgeht. Egal wie es aussieht, der Jugendherbergsleiter ist ein Typ, der ungern länger als drei Sätze über Negatives spricht. Er will keinen Frust verbreiten bei den 29 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus, lieber Aufbruchsstimmung.


Der Chef will noch mal durchs Haus gehen und sehen, ob auch wirklich alles für die ersten Gäste vorbereitet ist. Ein Blick zum Schlüsselbord der Rezeption: Noch alle 224 Schlüssel da. Einer pro Übernachtungsplatz. Ohne Corona wären die fast alle weg.
Volles Schlüsselbord der JHB Heiligenhof Bad Kissingen.
Das volle Schlüsselbord der JHB Heiligenhof Bad Kissingen bedeutet wenig oder gar keine Gäste.© Heiner Kiesel

Keine Salzstreuer wegen Infektionsgefahr

Hörtler tritt in den Gang. Rechts geht es raus, links geht der Gang vom schlossartigen Haupthaus in den modernen Anbau. Alle Fenster stehen weit offen, das gehört zum Hygienekonzept. Das Gelände des Heiligenhofs ist acht Hektar groß. Mit Bolz- und Zeltplatz, Grillstelle und Sitzgruppen. Da würden jetzt normalerweise 200 Kinder- und Jugendliche aufdrehen, toben, johlen, abhängen.
"Und das Einzige, was jetzt klappert, ist mein Schlüssel."
Im Speisesaal im Souterrain stehen die Tische mit großem Abstand für die paar erwarteten Gäste bereit. Keine Salz- und Pfefferstreuer, wegen der Infektionsgefahr. Morgens, mittags, und abends auch keine Buffets mehr, sondern Service am Tisch.
Die Tischdeko: Rosen und Schleierkraut aus Kunststoff. Nichts bewegt sich. 25 Grad Raumtemperatur, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit zeigt das Messgerät neben dem Eingang gleichmütig an. Der Rundgang dauert erst ein paar Minuten, aber man mag sich gar nicht vorstellen, was diese Leere mit den Angestellten hier gemacht hat, während der vergangenen elf Wochen. Auf der Veranda wischt eine Mitarbeiterin Tische mit gesetzten Bewegungen ab.

Jugendherbergen sind soziale Einrichtungen

Petra Schneider trägt ein blaues Poloshirt mit dem weißen zeltförmigen Jugendherbergslogo über der linken Brust. Darunter steht Petra Schneider, Küchenleitung. Sie hat gerade wirklich keine große Lust auf neugierige Fragen und wirkt irgendwie irritiert, dass da plötzlich, nach so langer Pause, wieder unerwartet Leute auf einen zukommen und etwas von einem wollen. Hörtler grinst entschuldigend und tritt wieder einen Schritt zurück.
Weiter, vorbei am Kicker-Raum, einer Weinstube für die Betreuer, hoch durchs Treppenhaus in eine Etage mit Gästezimmern. Es riecht noch nach frischer Farbe. Hörtlers Team hat den Lockdown genutzt und alles renoviert. 88 Zimmer – vom Einbett- bis zum Achtbettzimmer. Komfortabel ohne Teppich und Minibar. Aber alle mit Dusche und WC.
Vor ein paar Jahren hat sich eine Hostel-Kette bei der EU-Kommission darüber beschwert, dass die Jugendherbergen von der Umsatzsteuer befreit sind. Umsonst. Die Behörde fand es gerechtfertigt, weil sie als soziale Einrichtungen mehr sind, als nur eine günstige Unterkunft. Jugendherbergen sind eben auch Orte interkultureller und inklusiver Begegnung. Was die Unterbringung angeht – liegt Hörtlers Haus eher im komfortableren Bereich. Als Nächstes zeigt mit Hörtler ein Achtbett-Zimmer.
"Und ich sage Ihnen, hier würden Süßigkeiten rumliegen, Getränkeflaschen hier wäre in jeder Steckdose acht Handyladegeräte dran. Sie würden das Zimmer ganz anders vorfinden, als sie es natürlich heute sehen."
Natürlich tummelt sich hier jetzt niemand auf den Stockbetten und der PVC-Boden glänzt. Das Herz der Jugendherberge ist still. Corona, der Tiefpunkt einer langen Geschichte.

Ausgerechnet zum Geburtstag am Tiefpunkt

Die erste Jugendherberge wurde vor 111 Jahren aufgemacht – ein Ausdruck der Wander- und Jugendbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Inzwischen ist daraus ein gemeinnütziger Verein mit zweieinhalb Millionen Mitgliedern in Deutschland geworden. Partnerverbände in 90 Ländern. Nur der Mitgliedsausweis berechtigt zur Übernachtung, ihn gibt es nicht nur für Einzelne, sondern auch für Familien, Gruppen und ganze Institutionen, wie zum Beispiel Schulen.
"Die ersten Jugendherbergen sind einfach große Räume gewesen, in denen man ein bisschen Heu ausgestreut hat. Jugendherberge heißt eigentlich, es wird abends geöffnet, es wird eine Übernachtung angeboten und früh müssen die Gäste das Haus wieder verlassen und erst abends ist das Haus wieder geöffnet worden."
Damals hätten die jungen Leute Hörtler als Herbergsvater angeredet. Bei der Bezeichnung muss der Sozialpädagoge im dunklen Jackett lächeln. Er sieht sich selbst eher als Herbergsmanager. Aber er steht trotzdem voll hinter der Idee des Herbergswerks, für die Jungen einen Raum bereit zu halten, in dem sie sich – preisgünstig – begegnen und weiterentwickeln können.

Überlebt dank Soforthilfe und Kurzarbeitergeld

"Ich bin wirklich der Überzeugung, dass diese Krise bei manchen auch ein Nachdenken bewirken wird, darüber wie wichtig das ist, was bei uns auch Motto des Hauses ist: Alles Leben ist Begegnung. Begegnung ermöglichen – genau das machen Jugendherbergen und Jugendherbergen sind keine Hotels, sind keine Hostels. Wenn ich wie ein Hotel denken würde, dann hätte ich heute nicht geöffnet, weil ich mehr Kosten habe, als ich durch die zu erwartenden Gäste einnehmen werde. Wir haben einen Auftrag, Begegnungen anzubieten, und diesem Auftrag wollen wir auch nachkommen."


Das mit den Kosten lastet schwer auf Hörtler. Auf dem Weg zurück zur Rezeption zählt er auf, wie er die letzten Wochen überstanden hat. Da war die Soforthilfe von 50.000 Euro für die Betriebskosten, dann noch ein Hilfsprogramm für die bayerischen Jugendherbergen und Schullandheime, das zwei Drittel der bisherigen Einnahmeausfälle ausgleicht. Da ist der Freistaat ziemlich spendabel im Bundesvergleich.
Außenaufnahme von der Jugendherberge Bad Kissingen.
Die Jugendherberge Heiligenhof gibt es seit 1952 und die Betreiber hoffen, dass es noch viele Jahre weitergeht.© Heiner Kiesel
Und Bayern eins von insgesamt nur drei Bundesländern, die Jugendherbergen als gemeinnützig einstufen und deshalb finanziell unterstützen. Die zweite große Stütze ist das Kurzarbeitergeld, sodass Hörtler noch niemanden entlassen musste. Er hofft, dass das weiter verlängert wird. Und dann will der Herbergsleiter noch von einer Spendenaktion erzählen, die noch mal 60.000 Euro eingebracht hat. Aber da stockt er, seine Augen strahlen plötzlich viel frischer.
"Grüß Gott! Herzlich willkommen! Grüß Gott, ganz, ganz herzlich willkommen! Sie sind jetzt seit vielen, vielen Wochen unsere ersten Gäste. Ich möchte Sie ganz, ganz herzlich willkommen heißen."
"Wir sind die Familie Ropert aus Bautzen."

Der Traum vom Impfstoff

Beide ziehen ihre Koffer hinter sich her. Er ist Rentner, sie unterrichtet noch in einer Schule. Die Gesichter halb verborgen unter der Mund-Nase-Bedeckung. Die Herberge fühlt sich anders an, als sonst, findet er. Nicht mehr so unbeschwert, aber dennoch vertraut. Die Roperts sind schon oft hier gewesen.
Hörtler schaut dem Paar nach, wie es den Gang entlanggeht. Ein Anfang, ja, aber die Lösung ist das nicht. Dem 47-jährigen Herbergsleiter verlässt – einen Augenblick nur – der Elan.
"Wenn ich nachts träume – und ich träume sehr viel, seit wir geschlossen haben, dann träume ich, man findet diesen Impfstoff."
Es ist Mitte August, gut zwei Monate nach dem ersten Besuch in der Jugendherberge Bad Kissingen, dem Heiligenhof. Der Traum vom Impfstoff ist noch immer nicht wahr geworden, eine überzeugende Coronatherapie ist nicht in Sicht. Trotzdem, die Kontaktbeschränkungen sind weiter gelockert worden und in den großen Frühstücksraum unten ist Leben eingekehrt. Jeder Tisch ist besetzt. Familien mit Kindern, ganz hinten in dem 150 Quadratmeter-Raum mit den blassgelben Wänden schmiert sogar eine kleine Gruppe von vier Müttern und sechs Kindern Brötchen mit Aufstrich.

Es kommen mehr Familien mit Kindern

Eine Jugendherberge, in der nur das Nötigste rumsteht, finden sie ideal für den Urlaub mit kleinen Kindern. Die vier Mütter sind ganz entspannt bei dem Gewusel ihrer vier- bis acht-Jährigen. Hier fällt nichts Wertvolles um, da gibt es keine genervten Hotelgäste, die ihre Ruhe wollen. Es ist einfach, aber der gebotene Komfort reicht völlig.

An einem Tisch sitzen Mütter mit ihren Kindern beim Essen.
Junge Familie kommen wieder, aber die Schulklassen fehlen.© Heiner Kiesel
Gut gelaunt wird diskutiert, was man mit dem langen Sommertag so alles anfangen kann. Das kann noch eine Weile dauern. Eine gute Gelegenheit, bei Küchenchefin Petra Schneider vorbeizuschauen. Die war ja das letzte Mal gar nicht so gut drauf. Die 45-Jährige hat ihre stark gelockten blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und nimmt die Lieferung für die Küche in Empfang.
"Wir haben eine Kiste Bananen, eine Kiste Birnen, der Eisbergsalat, Paprika, Melone. So viel habe ich das Wochenende nicht bestellt. Wir bekommen jetzt zweimal die Woche eine Lieferung. In der Coronazeit war das ein bisschen weniger, da habe ich noch selbst eingekauft, da war die Menge noch nicht so groß, aber jetzt, wo es wieder aufwärtsgeht, bestelle ich natürlich zweimal die Woche."
Dann geht sie wieder an ihre Arbeitsplatte und löffelt Müsli in Portionsschälchen – für das nächste Frühstück. Dann verteilt sie abgepackte Döschen mit Marmelade und Schokocreme auf Tabletts. Nach wie vor keine Buffets. Das ist nicht die einzige Sache, die seit Corona anders ist.
"Wir haben mehr Familien mit Kindern. Die sind sonst wahrscheinlich immer in den Urlaub geflogen, sonst hatten wir immer nur zwei Kinder oder ein Kind. Jetzt sind Familien da mit fünf Personen."

Moderne Häuser mit altem Charme

Das Küchenteam ist noch nicht wieder voll besetzt. Petra Schneider arbeitet aber wieder Acht-Stunden-Schichten. Endlich wieder Gäste, die sie brauchen, die sich freuen, wenn es schmeckt! So wie die letzten 29 Jahre, die sie schon hier ist.
Die Küchenchefin ist fertig mit dem Portionieren, jetzt muss sie sich um das Mittagessen kümmern. Die Mutter-Kind-Gruppe hat sich mittlerweile für eine Wanderung zu den Wichtelhöhen entschieden. Die kleine Gruppe geht den Weg hoch.


Auf dem weitläufigen Außenbereich der Einrichtung ist sonst nicht viel los. Der Bolzplatz ist leer, auf dem Zeltplatz dahinter steht immer noch kein Zelt. Aber am Grillplatz sitzen zwei Paare an einem Tisch unter dem Wetterschutz. Christian aus dem Münsterland hat ein frühes Bier vor sich stehen. Er und sein Bruder waren lange nicht mehr in Jugendherbergen gewesen, und haben es im letzten Jahr einfach wieder mal ausprobiert – und waren überrascht, wie sich die Häuser verändert haben.
Blick auf eine Sportanlage mit Fußballtoren und Volleyballnetz im Freien.
Ungewöhnlicher Anblick: die leeren Sportanlagen der Jugendherberge. © Heiner Kiesel
"Wir waren positiv überrascht, weil das nach außen wie so ein kleines Hotel war. Und da haben wir nicht das Gefühl, dass man da ansatzweise irgendwie schlechter mitfährt."
Aber trotz aller Modernisierung haben die Jugendherbergen offenbar noch etwas von ihrem alten Charme bewahrt. Christian nimmt einen Schluck aus der Flasche und lässt seine Gedanken 30 Jahre zurückschweifen. Klassenfahrt!

Es fehlt etwas im Heiligenhof: die Schüler!

"Klar, du hast immer so mit Streichen so, bist immer unterwegs mit Zahnpasta unter der Türklinke, dieses typische und nachts versuchen, auf die Mädchenzimmer zu kommen, ja dat war halt so und gang und gäbe. Ist ja heute bestimmt auch noch so, wenn man irgendwo in dem Alter. Ja so waren die typischen Klassenfahrten, das hat man natürlich noch so im Hinterkopf."
Das typische Flair einer Jugendherberge, dazu gehören neben dem Duft von Hagebuttentee und Bohnerwachs eben auch lärmende Schulklassen, Jugendgruppen und Gemeindefreizeiten. Es fehlt etwas im Heiligenhof in Bad Kissingen auch zwei Monate nach der Wiedereröffnung. Am deutlichsten spüren das die, die hier jeden Tag arbeiten.
An der Rezeption macht an diesem Wochenende Nino Schmitt, der Assistent und Stellvertreter des Herbergsleiters Dienst. Er trägt ein schwarzes Poloshirt, auch mit dem Logo des Hauses auf der Brust. Sein Chef hat seit heute Urlaub. Und er nicht nur deshalb gutzutun.
Vor allen Dingen verbringt Schmitt den Tag damit, Rechnungen zu schreiben – mehr als je zuvor in der Geschichte dieser Jugendherberge. Statt zweimal die Woche große An- und Abreiseaction von Reisegruppen, stehen immer wieder neue Einzelreisende oder Familien vor dem Tresen. Für Schmitt bedeutet das: Immer wieder Jugendherbergsausweis checken, Formulare ausdrucken, Essenszeiten aufsagen. Die Gruppen, die vermisst er gerade am meisten. Das Quirlige der vielen jungen Leute, der familiäre Kontakt zu ihnen.
"Man glaubt es gar nicht, man denkt immer, das wäre so Chaos, wenn Schulklassen da sind, das ist eigentlich gar nicht so. Das ist eine ganz andere angenehme Arbeit. Dann sind die abends draußen, dann geht man mal ein bisschen dazu, spricht mit den Lehrern. Meiner Meinung nach sind das sehr angenehme Gäste."

70 von 224 Betten sind wieder belegt

Eine Normalität, die auf sich warten lässt. Und auch droht, Gasthöfe, Geschäfte und Restaurants in unmittelbarer Nähe zu schwächen – denn laut einer Studie der Tourismusberatungs-Agentur dwif-Consulting generiert jeder Euro, der von einem Gast in einer Jugendherberge ausgegeben wird, drei Euro zusätzlichen Umsatz in der Region.
Es hilft nichts, Nino Schmitt wirft einen langen Blick auf das immer noch viel zu vollgehängte Schlüsselbrett. 70 von 224 Betten sind vergeben. Dann geht er zurück an seinen Schreibtisch. Ihm steht ein relativ ereignisloser Nachmittag mit Rechnungsformularen bevor. Aber dann kommt Steffen Hörtler doch noch einmal ins Haus – trotz Urlaub. Irgendwie ist er doch mehr Herbergsvater als ein kühler Herbergsmanager. Es sind harte Zeiten durch Corona, da kann er noch schlechter loslassen als sonst schon. Diesmal ist er allerdings nicht mehr im Jackett, sondern im T-Shirt, Shorts und Sandalen.


"Wenn ich so zurückerinnere, was ich so vor zwei Monaten ihnen gesagt habe, wie ich so diese Entwicklung gesehen habe, dann war ich eigentlich der Überzeugung gewesen, dass es so ab September, Oktober, wenn keine zweite Welle kommt, dass es da sozusagen gruppenmäßig, schulklassenmäßig wieder bergauf geht."
Porträt von Nino Schmitt.
Der Assistent Nino Schmitt: "Die Stornierungen sind unaufhörlich weitergegangen."© Heiner Kiesel
Doch danach sieht es momentan nicht aus.
"Die Stornierungen sind unaufhörlich weitergegangen. Und die sind ins 3. und 4. Quartal gegangen und leider eben auch keine Neubuchungen, oder kaum im nächsten Jahr im Bereich Schulklassen oder Gruppenreisen."

30 statt 80 Prozent Auslastung

Rentabel klingt anders. 40 Prozent des Umsatzes einer durchschnittlichen Jugendherberge wird in normalen Zeiten mit Gruppenreisen erwirtschaftet. Die Zahlen für den vergangenen Monat liegen auf dem Tisch. Statt 5000 Übernachtungen wie im letzten Jahr, konnte Hörtler nur 1316 verbuchen. Und es geht weiter so.
"Wir haben überhaupt keine Gruppen im Haus gehabt, sondern der ganze Plan ist voll mit Einzelreisenden."
Doch die können die fehlenden Gruppen in der Jugendherberge niemals ausgleichen. Kaum eine Schule plant noch Klassenfahrten und wenn, dann eher unverbindlich. Jede Reservierung ist eine mit einem großen Aber: Stornierungsfristen wie früher sind passé.
"Als es dann die Regel war, es dürfen wieder zehn Leute an einem Tisch zusammensitzen, dann haben Gruppen gesagt, ach das ist ja toll, jetzt kommen wir wieder. Und dann gab es irgendwo wieder in Deutschland einen Ausbruch und dann hat man mich zwei Tage zuvor angerufen und gesagt, das ist uns doch zu gefährlich, wenn dann doch etwas passiert."
Eine Auslastung von 80 Prozent wäre nötig, um wirtschaftlich zu sein. Gerade sind es 30 Prozent. Aber Hörtler ist geübt das Positive in der Misere zu sehen.
"Aber das Schöne ist: Wir hatten jeden Tag Belegung! Und das ist irgendwie schön, weil das Haus wieder lebt."

Ohne Kurzarbeitergeld schaffen sie es nicht

Das gibt ihm Kraft und auch die Überzeugung, dass die Arbeit der Jugendherbergen wichtig für die Gesellschaft ist und die die Einrichtungen deswegen auch nicht hängen lässt. Hoffentlich weitere Rettungsprogramme und bitte, bitte weiter Kurzarbeitergeld. Sie würden es ohne nicht schaffen. Über 160 Jugendherbergen haben gar nicht mehr aufgemacht, seit den Coronalockerungen. Acht haben für immer aufgegeben. Hörtler muss schon drastische Vergleiche heranziehen, um sich weiter Mut zu machen.
"Während meines Studiums habe ich mich auch sehr viel mit Geschichte beschäftigt. Nach diesem fürchterlichen Schrecken des Zweiten Weltkriegs, als dann im Mai, Juni, Juli 1945 das Wetter wieder schön wurde, sind die Menschen auch wieder rausgegangen und sie brauchten Begegnung und sie wollen sich treffen. Also ich muss sagen, nach dieser Urkatastrophe des letzten Jahrhunderts war das auch wieder möglich und das muss nach Corona dann auch wieder möglich sein."


Hörtler räumt die Papiere in eine Schublade. Es reicht jetzt. Vielleicht sollte er doch endlich in den Urlaub aufbrechen. Wenn man das, was er in seinem Häuschen im Riesengebirge macht, wirklich so nennen will.
Herbergsleiter Steffen Hörtler zeigt auf einer Tafel auf abgesagte Termine in seiner Jugendwerke.
Eine Auslastung von 80 Prozent wäre nötig, um wirtschaftlich zu sein.© Heiner Kiesel
"Mein Telefon ist auf mich gestellt, E-Mails kommen alle bei mir an. Ich leite alles weiter! Sind Sie so lieb, schreiben Sie immer, was für Post früh gekommen ist, abends den Bericht. Sagen Sie es auch der Kollegin, was vorgefallen ist und wenn was ist: Jederzeit am Handy für Sie erreichbar."
Wieder draußen. Es ist Nachmittag. Am Spielplatz sitzt die Mutter-Kind-Gruppe auf einer Picknickdecke. Die 650-Meter-Wanderung mit den sechs Kindern hat sich ziemlich hingezogen. Aber alle sind zufrieden. Dass die Jugendherbergen durch die Pandemie so unter Druck stehen, ist hier kein Thema. Warum auch, sie machen Urlaub, ganz besonders auch vom Coronaalltag. Ob sie den aber nächstes Jahr wieder in einer Jugendherberge machen können, bleibt vorerst ungewiss.
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