Übergriffe auf Lokalpolitiker

"Jeder kann mithelfen, eine Gegenkultur aufzubauen"

Der zurückgetretene Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, spricht vor einer Bürgerversammlung am 31.03.2015 mit Journalisten in einem Veranstaltungszentrum in Alttröglitz (Sachsen-Anhalt)
Der ehemalige Ortsbürgermeister von Tröglitz und evangelische Theologe, Markus Nierth: "Ist es denn das überhaupt wert? " © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Markus Nierth im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.11.2017
"Politiker-Stalking" – unter diesem Schlagwort fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund einen neuen Straftatbestand, um Amtsträger besser vor Übergriffen zu schützen. Der ehemalige Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, glaubt nicht an den Erfolg eines solchen Gesetzes.
Der Messerangriff auf den Bürgermeister von Altena hat die Diskussion um einen besseren Schutz von Lokalpolitikern – auch vor Hetze – wieder entfacht. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält die Einführung des Straftatbestandes des "Politiker-Stalkings" für notwendig.
Der Bund hatte ein solches Gesetz schon vor einem Jahr gefordert, als der SPD-Vorsitzende im münsterländischen Bocholt, Thomas Purwin, nach Hass-Mails und Morddrohungen zum Schutz seiner Familie zurücktrat. Auch hier war die Flüchtlingspolitik Anlass für Angriffe oder Hetze. Aus gleichen Gründen gab der ehemalige Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, Markus Nierth, im März 2015 sein Amt auf -l er und seine Familie wurden ebenfalls massiv bedroht.

"Die Verrohung unserer Gesellschaft ist ja eigentlich das Kernproblem"

Im Deutschlandfunk Kultur äußerte sich Markus Nierth nun skeptisch, ob mit einem Straftatbestand "Politiker-Stalking" der Schutz für Amtsträger in kleineren Gemeinden verbessert werden könnte. Wichtiger sei eine "Gegenkultur" von Menschen, die "harte Kante" gegen rechte Ideologien zeigten:
"Das fängt mit Stammtischparolen an und geht weiter mit diesen blöden Kommentaren gegenüber Andersaussehenden."
Nierth bezeichnete – wie auch der Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein – die "Verrohung unserer Gesellschaft" als das "Kernproblem". Denn es gebe nicht nur Übergriffe auf Politiker, sondern eben auch auf DRK- oder THW-Mitarbeiter, die nicht so ins Rampenlicht gerieten. Diese Menschen müssten eine "Schutzraum" bekommen.
Vielen Menschen sei vermutlich gar nicht bewusst, wie gefährlich ihre aggressive Haltung sei, betonte Nierth.
"Es sind längst nicht alle Menschen Nazis, (…) sondern sie sind oft einfach fremdenfeindlich oder haben schlichtweg verhärtete Herzen."

"... weil jeder sagt 'Ich mache das Recht, was mir gefällt'"

Dennoch stellten sie sich über das Recht und machten ihre eigenen Regeln. "Weil jeder sagt 'Ich mache das Recht, was mir gefällt'", werde ein neuer Straftatbestand vermutlich wenig nützen, meinte Nierth.
Viele Menschen, jedenfalls in seinem Umfeld, benähmen sich "wie pubertär". Sie würden den Anderen nicht mehr als Mensch annehmen und nur noch das, was sie selbst wollten, "mit stampfenden Füßen" durchsetzen:
"Ich erlebe ganz viel unmündige Menschen, die sich bewusst in ihre Unmündigkeit zurückziehen, die (...) ihr Recht einfordern und auch sehr bewusst ihre Meinung nach außen plärren (…), aber im Gegenzug nichts mehr tun für den Aufbau einer Gemeinschaft, die sich kaum einbringen, wenn es mal darum geht, einen Ort sauber zu putzen oder Verantwortung zu übernehmen."
Diese Unmündigkeit sei "Gift für unsere Demokratie" und für Lokalpolitiker habe sie erhebliche Belastungen zur Folge. Nierth beschrieb aus eigener Erfahrung, wie sich Hass und Übergriffe auf seine Familie ausgewirkten:
"Solche bösen Taten anderer hinterlassen ja nicht nur eine physische, sondern vor allem eine seelische Verletzung: Die Kinder werden stiller, man wird misstrauischer, muss auf sein eigenes Herz aufpassen, dass man nicht von den Ängsten überrannt wird, denn natürlich geht man danach anders durch die Gegend und muss sich seine Ängsten stellen." (huc)
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