Über Hip Hop zu jüdischen Musiktraditionen

Von Katrin Wilke · 12.08.2011
In der Szene der E-Musik ist Socalled alias Josh Dolgin ein geschätztes Enfant terrible. Der Kanadier durchlief diverse musikalische Phasen, bis er bei der Tradition seiner jüdischen Familie landete.
In "Rock the Belz", Socalleds Vision vom Lied "Mein Shtetl Belz" mischen sich unter die Stimme des legendären jiddischen Sängers Theodore Bikel ganz ungeniert englische Rap-Verse. Ähnlich unforciert, geradezu zufällig geriet der Kanadier als 20-Jähriger auch in die musikalischen Fänge der Tradition seiner jüdischen Vorfahren, Einwanderer aus der Ukraine.

Nachdem er Piano studiert und als Teenager in Funk, Gospel- und Salsa-Bands gespielt hatte, verfiel er dem Hip-Hop. Und somit der Suche nach geeigneten Samples und Sounds, nach alten Schallplatten, die er auf Flohmärkten und bei der Heilsarmee aufstöberte:

"Und da fand ich Musik, die mir nie so recht begegnet war zuvor in der mir vertrauten Populärkultur: jüdische Musik. Jüdische Theatermusik, Klezmer – wobei auf den Plattenhüllen statt Klezmer ‚jüdische Tanzmusik’ draufstand. Von Leuten wie Dave Tarras, Mickey Katz. Aber auch Platten mit kantoraler Synagogen- sowie chassidische Musik der orthodoxen Juden, ihre wortlosen Lieder mit diesen ‚Jadda-Die’-Melodien.

Zunächst sampelte ich das Zeug nur, es war einfach voller toller Sounds. Diese jüdischen Theatermusiken haben all diese kleinen Breaks. Das klingt sehr funky und lässt sich gut loopen. Und die kantoralen Platten mit den Orgelklängen und interessanten Vokalakkorden. All das war für mich erst mal nur irgendeine tolle, gut zum Mixen geeignete Musik. Und sicher war die Vorstellung lustig, diese echten jüdischen Klänge und Rhythmen mit Rap zusammen zu bringen - und dass das funktioniert!"

Mittlerweile umfasst seine Sammlung 5.000 Platten und aus besagter Klangaffinität hat sich ein tieferes Verständnis entwickelt – für eine Kultur, mit der Josh Dolgin nach eigener Aussage nur marginal aufgewachsen war. Zu Hause hörte man keine jiddische Musik, er war das einzige jüdische Kind in einer Schule voller Protestanten. Heute, 15 Jahre und vier Alben später, ist Socalled ein klingender Name in der zwischen Klezmer, Funk und Jazz agierenden Szene.

Mit Sophie Solomon, einst Geigerin der Londoner Band Oi Va Voi, entstand 2003 das Album "HiphopKhasene", eine überaus gelungene Allianz zwischen Klezmer, jiddischem Liedgut und Hip-Hop. Zu den vielen mitwirkenden Musikern gehörte auch der New Yorker Klarinettist David Krakauer. Er hatte Socalled im Jahr 2000 bei einem Klezmer-Workshop getroffen und ihn gebeten, Hip-Hop-Beats für seine Musik zu komponieren:

"Ich denke, viele Leute suchen nach ihren Wurzeln, gerade angesichts all der vielen Möglichkeiten und Zugänge zu jeder Art von Informationen, von Musiken aus aller Welt und aus allen Zeiten. Das kann leicht erdrückend sein und einen vergessen lassen, woher man kommt. Mir scheint, dass es vielen jungen Menschen in dieser verrückten globalisierten Welt so geht."

Eigentlich müsste auch Socalled selber ständig Gefahr laufen, sich zu verlieren. Allein in seiner Musik – in diesen genauso turbulenten wie tanzbaren, dichten Patchwork-Kreationen aus Stilen und Stimmen. Und in seinem Tun überhaupt: Der seit langem in Montreal lebende Musiker ist nämlich auch Filmemacher, Fotograf und bildender Künstler:

"Kanada ist ein derartiger Melting Pot, mit so vielen, verschiedenen Menschen. Andererseits ist das ein Handicap. Manchmal wünschte ich, Teil eines Ghettos zu sein, beneide etwa moldawische Akkordeonisten, die ihre ganz konkrete, schöne Musik machen. So wie ich manchmal auch die beneide, die an Gott glauben. Es muss beruhigend sein, zu wissen, die Antworten zu haben - gewisserweise."

Und doch kann sich Socalled letztlich offenbar mit keinerlei religiösen oder musikalischen Eindeutigkeiten und Begrenzungen anfreunden. Und das Wort "Ghetto" benutzt er höchstens augenzwinkernd und zweideutig – wie einer der CD-Titel, "Ghettoblaster", zeigt.

Homepage von Socalled
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