Über die Adria oder über Lampedusa

Italien bereitet sich auf neue Fluchtrouten vor

Italienische Marine-Soldaten auf dem Weg zu einem Boot auf dem Mittelmeer.
Italienische Marine-Soldaten auf dem Weg zu einem Boot auf dem Mittelmeer. © dpa / picture alliance / Giuseppe Lami
Von Tilmann Kleinjung · 11.03.2016
Über 16.000 Menschen haben in 2016 bereits einen Asylantrag gestellt - in Italien. Mit der Schließung der Balkanroute könnte Italien zum bevorzugten Anlaufpunkt für Flüchtlinge werden, fürchten italienische Politiker und versuchen Vorkehrungen zu treffen.
Die Zahlen steigen wieder. Mehr als 16.000 Menschen haben in den ersten drei Monaten in Italien einen Asylantrag gestellt. Das sind 30 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Die Sorge in Italien ist groß, dass das erst der Anfang ist. Dass mit der Schließung der Grenzen auf dem Balkan Italien zum bevorzugten Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan wird. Italiens Innenminister Angelino Alfano verteidigt deshalb den Plan der EU, in der Flüchtlingsfrage mit der Türkei zu kooperieren:
"Wir haben eine konkrete Meinung: Den Strom von der Türkei aus eindämmen, bedeutet, das Risiko verringern, dass die Balkanroute noch mehr Zwist innerhalb Europas bringt und dass eine neue Route über Albanien entsteht."
Zwischen der italienischen Adriaküste und Albanien liegen an der schmalsten Stelle gerade einmal 71 Kilometer. Schlepper sollen angeblich unter den in Griechenland gestrandeten Flüchtlingen für diese Ausweichroute Werbung machen. Der Präsident der süditalienischen Region Apulien Michele Emiliano stellt sich bereits auf 150.000 Menschen ein, die in diesem Sommer ankommen.

Erstes Ziel: Die Bekämpfung von Schleppern

Innenminister Alfano will das verhindern.
"Wir arbeiten mit Albanien zusammen. Ich werde in den nächsten Tagen nach Albanien fahren, damit wir gemeinsam einen Weg finden, alles nur Mögliche für die Terrorismus-Prävention und gegen die illegale Einwanderung zu tun."
Albaniens Regierungschef Edi Rama hat angekündigt, sein Land werde den Transit von Flüchtlingen mit allen Mitteln verhindern. Die Grenzregion zwischen Griechenland und Albanien ist gebirgig und kaum lückenlos zu überwachen, allerdings auch kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen. Bisher gibt es noch keinerlei Anzeichen, dass Flüchtlingsgruppen versuchen, sich von Griechenland aus an die albanische Adriaküste durchzuschlagen. Sehr viel größere Sorgen macht Italien deshalb die zentrale Mittelmeerroute - von Libyen aus in Richtung Lampedusa. Auch in diesem Winter nutzten hunderte Flüchtlinge vor allem aus Afrika südlich der Sahara die kurzen Schönwetterphasen zur lebensgefährlichen Überfahrt. Die Europäische Mission "Eunavfor Med", an der auch zwei Bundeswehrschiffe beteiligt sind, patrouilliert im Kanal von Sizilien. Erstes Ziel ist die Bekämpfung von Schleppern. Bisher, sagt Sprecher Antonello di Renzis Sonino, waren die Einsatzkräfte aber vor allem damit beschäftigt Menschenleben zu retten.
Renzis: "Es ist nicht nur unsere moralische Pflicht, es sind auch die internationalen Gesetze, die alle Seefahrer verpflichen, Menschen in Lebensgefahr Hilfe zu leisten. Wir haben das gemacht, machen es jetzt und werden es immer machen. Das gehört zu unserer Arbeit dazu, auch wenn die Mission nicht vornehmlich darauf abzielt."

Humanitäre Korridore nach Europa

Italiens Außenpolitik verfolgt zwei Ziele, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden. Einmal die Stabilisierung Libyens, um die Schlepperbanden zu bekämpfen und die libysche Küste abzusichern. Außerdem will Außenminister Paolo Gentiloni über humanitäre Korridore sichere Fluchtwege nach Europa schaffen. Gemeinsam mit evangelischen Kirchen und der Gemeinschaft Sant‘ Egidio hat die italienische Regierung eine Luftbrücke eingerichtet, über die etwas 1000 schutzbedürftige Menschen aus Syrien und Nordafrika in Italien einreisen können.
Gentiloni: "Das ist eine Antwort. Und wenn viele Länder der internationalen Gemeinschaft diesen Weg einschlagen, können tausende und abertausende Menschen einbezogen werden. Das wäre eine große Hilfe, um den Menschhändlern einen Schlag zu versetzen und die Leiden der Flüchtlinge zu lindern."
Die kirchlichen Projektpartner übernehmen die Kosten für die Einreise der Flüchtlinge sowie für Unterbringung und Rechtsbeistand. Die Einreisegenehmigungen gelten nur für Italien. Die ersten rund 100 Flüchtlinge sind auf diesem Weg bereits nach Italien eingereist.
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