Über Antisemitismus reden

Sind wir zu verkrampft?

Eine Frau und ein Mann beschuldigen sich gegenseitig (Illustration).
Bei einem vermeintlich falschen Thema kann es schnell zu heftigen Auseinandersetzungen kommen. © imago stock&people
Shai Hoffmann im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke · 12.12.2017
Nach Trumps Jerusalem-Entscheidung und brennenden Israel-Fahnen in Berlin stellt sich die Frage: Wie positionieren wir uns in Deutschland und warum fällt uns das so schwer? Ein Gespräch mit dem deutsch-jüdischen Aktivisten Shai Hoffmann.
Kaum kommt das Thema Antisemitismus auf, will keiner mehr etwas sagen: eine Situation, die auch Shai Hoffmann kennt. Obwohl das Thema Israel ein sehr komplexes sei, tummelten sich in Deutschland gut 82 Millionen Nahost-Experten, spöttelte der Aktivist und Unternehmer im Deutschlandfunk Kultur.
"Viele Menschen behandeln das als ein sehr sensibles Thema für sich, gerade jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen. Ganz schnell wird etwas als Antisemitismus abgestempelt. Da gab es einige Vorfälle am Küchentisch, die ich erlebt habe."
Prinzipiell sei Israel-Kritik wichtig, genauso wie Kritik an anderen Regierungen. Die Frage sei vielmehr, wo die Trennlinie zum Antisemitismus liege.

Nicht gleich mit dem Antisemitismus-Vorwurf kommen

"Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass oft eine Nachfrage – Was meinst du mit dieser Aussage genau? – und das nicht sofort auf eine emotionale Ebene zu holen, viel Feuer aus der Wunde nimmt, sozusagen."
Zwar beobachte er latenten Antisemitismus in Deutschland, so Hoffmann, doch das Phänomen des gesamtgesellschaftlichen Rassismus sei die größere Herausforderung:
"Rassismus führt zu Stereotypen oder Vorurteilen gegenüber gewissen Ethnien – und an den müssen wir ran."

Proteste nach Trumps Jerusalem-Entscheidung

Der jüngste Antisemitismus während der Proteste rund um die Jerusalem-Entscheidung Trumps vor der amerikanischen Botschaft in Berlin hingegen war weniger latent, als vielmehr brachial: Es brannten Israel-Flaggen. Ein "No-Go" für Hoffmann, der klarere Regeln für Demonstrationen fordert.
"Vor zwei Wochen habe ich einen Holocaust-Überlebenden getroffen, Walter Frankenstein. Ein Satz, der mir große Gänsehaut bereitet hat: 'Die Gleichgültigkeit der großen Masse ist gefährlich.' (…) Wir haben ein Problem mit den Menschen, die sich mobilisiert bekommen, auf die Straße zu gehen, um so einen Hass zu schüren. Und da muss die Politik, müssen aber auch Unternehmen wie Soziale Medien-Plattformen, die die Technik zur Verfügung stellen, zur Verantwortung gezogen werden."

(llu)
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