Typen voller Schauspiellust

Von Bernhard Doppler · 04.08.2012
Seit über 30 Jahren pflegen die Volksschauspiele in Telfs die Tradition des Volkstheaters - nicht als Bauernstadl, sondern mit oft sehr hintergründigen und manchmal auch schrägen Inszenierungen, in denen sich unterschiedlichste Dialekte und Schauspielerprofile begegnen.
"Wer bist denn nachher du?" fragt die Weichsenriederin, die alte Bäuerin in Georg Ringsgwandl Stubenoper "Der varreckte Hof". Sie liegt in ihrer Bauernstube nur mehr im Bett und ist dement. Oder will sie ihren Schwiegersohn nur ärgern, in dem sie ihn nicht zu kennen scheint? Ganz sicher kann man sich nicht sein.

Der Bauernhof der Weichsenriederin ist "varreckt", verkommen: der Bauer schon lange tot, keiner der Kinder kann sie pflegen - alle sind aus Arbeitsüberlastung nahe am Burnout und - das schmerzt die Weichsenriederin besonders - Enkelkinder sind nicht in Sicht: Bauernsterben.

Der Rockmusiker, Kabarettist und früher auch Kardiologe Dr. Georg Ringsgwandl hat schon einige Musiktheaterstücke geschrieben, besonders erfolgreich seine "lausige Operette" "Die Tankstelle der Verdammten". Mit dem "varreckten Hof" hat er sich nun an einem Volksstück versucht, wie es auch von den Hunderten von Amateurtheatern, die es vor allem im süddeutschen Raum gibt, gespielt werden kann, aber eben kein derber Bauernstadl.

Es wird auf leicht schräge Weise ländlich musiziert. Drei Musiker bedienen Schlagzeug - darunter auch Küchengeschirr, Maultrommel - Kontrabass und Gitarre, und aus den Rezitativen erheben sich immer wieder einige ländliche "Lamentis", die auch von Amateuren, von Darstellern ohne Gesangsausbildung bewältigt werden könnten.

Gespielt wird in einem alten schon etwas baufälligen Stadl. Dort hat in einer Ecke Karl-Heinz Steck die Stube der Bäuerin aufgebaut, bisweilen in der Inszenierung von Susi Weber ein wenig ins Surreale gehend, etwa, wenn ein Musiker überraschend im Schrank unter der Spüle hockt oder sich die Rückwand etwas verschiebt. Auch Ringsgwandls Stubenoper kippt bisweilen in den Dadaismus, einmal singt die Bäuerin lediglich Namen aus dem Telefonbuch vor. Für die fünf Darsteller sind es es äußerst kraftvolle dankbare Rollen.

In Telfs - und darin sind die Tiroler Volksschauspiele seit ihrer Gründung vor 31 Jahren einzigartig - verbinden sich für ein paar Monate im Sommer unterschiedlichste Schauspielerprofile: Profischauspieler, darunter auch einige Prominenz mit verschiedenen Ausprägungen von Amateuschauspielern und Comedians. Der Schriftsteller Felix Mitterer, seit Gründung mit den Volksschauspielen eng verbunden, tritt 2012 nach dreißig Jahren Abstinenz nicht mehr als Autor, sondern wieder als Schauspieler auf, und zwar als Affe Rotpeter in "Ein Bericht für eine Akademie", als Komödiant ist Mitterer professionell, routiniert und diszipliniert, wie wenn er zwischenzeitlich nicht anders gemacht hätte.

Wenig Psychologie, sondern Typendarstellung voller Schauspiellust! Manchmal denkt man dabei an die Erfolge von Herbert Fritschs lustvollen Inszenierungen der letzten zwei Jahre. In der "Tiroler" Bearbeitung von Shakespeares Falstaff-Komödie, den "Lustigen Weiber von Windsor" durch Regisseur Markus Völlenklee, ist dieses Konzept besonders konsequent durchexerziert. Hier treffen nicht nur verschiedene Schauspielkarrieren, sondern vor allem unterschiedliche Dialekte, deren es in jedem Tiroler Tal ganz unterschiedliche gibt, dazu noch Personen mit "Migrationshintergrund" wie der polnische Pfarrer, der türkische Wirt und der italienische Stararzt zusammen.

Der genusssüchtige Außenseiter, Ritter Falstaff, der sich so gerne an die "lustigen Tiroler Weiber" ranmachen will und der doch schließlich von allen reingelegt wird, ist eine Art Gast: ein Deutscher, ein "Pieffke", Frank-Thomas Mende, bekannt von der Soap "Schlechte Zeiten, gute Zeiten". Die Fremden und die Einheimischen: Shakespeares "Lustige Weiber" - ein Tiroler Heimatstück.


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