TV-Kritik "Weissensee"

Wenn man als Zuschauer gerührt werden soll

Szene mit Falk Kupfer (Jörg Hartmann) in der dritten Staffel der Fernsehserie "Weissensee".
Szene mit Falk Kupfer (Jörg Hartmann) in der dritten Staffel der Fernsehserie "Weissensee". © ARD/Julia Terjung
Von Peter Claus · 29.09.2015
Zum 25-jährigen Einheitsjubiläum zeigt die ARD die dritte Staffel der DDR-Familiensaga "Weissensee". Sie spielt zurzeit des Mauerfalls. Man versuche, den großen Atem der Historie mit Spannung und Sentimentalität zu transportieren, findet Peter Claus.
Fortsetzung folgt! Heutzutage ist das in Kino und TV oft als Drohung zu verstehen. Denn: Da folgt auf Erst- meist Zweitklassiges. 2013, als der 2010er Fernsehhit "Weissensee" fortgesetzt wurde, war dem nicht so. Die Familiengeschichten aus "Berlin, Hauptstadt der DDR" in den 1980er Jahren packten mit sozialer und psychologischer Genauigkeit, hatten Spannung und schauspielerische Klasse.
Jetzt zeigt die ARD die schon dritte Staffel des Fernsehromans - ungewöhnlicherweise sehr geballt, nämlich heute, morgen und übermorgen, jeweils zur besten Sendezeit, jeweils zwei Folgen.
Auch ein Genuss für Leute, die die beiden ersten Staffeln verpasst haben? Durchaus. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Auch nicht darüber, wie es wirklich war in der DDR. Das Leben ist nun mal nicht der Maßstab für Kunst.
Filmkritiker Peter Claus
Filmkritiker Peter Claus© Deutschlandradio / Cornelia Sachse
Arg konstruierte Geschichten
Wobei es mit der Kunst in diesem Fall so eine Sache ist. Die Drehbücher haben allenfalls Kunscht bzw. Kunstgewerbe angeboten. Die Geschichten um Liebe, Triebe, Lug und Trug bis hin zu Mord und Totschlag innerhalb einer Familie, die der Stasi Lebensunterhalt, ja, überhaupt Lebensberechtigung, verdankt, sind doch arg konstruiert. ’S ist wie bei einer Geisterbahnfahrt: die Schreckgespenster der Phantasie sind überlebensgroß. Wo auf dem Rummelplatz dann aber meist gelacht werden darf, ist hier Heulen angesagt. Man spürt oft, sehr oft, dass man als Zuschauer gerührt werden soll.
Der große Atem der Historie - die neuen "Weissensee"-Folgen spielen in der so genannten Wendezeit - wird vor allem dazu genutzt, dem Klein-Klein des Persönlichen Spannung und Sentimentalität einzuhauchen.
Man guckt’s gern, weil Produzentin Regina Ziegler, deren Leistung eine außerordentliche ist, auf Schauwert in jeder Hinsicht geachtet hat. Und weil sie exzellente Schauspieler verpflichten konnte. Allen voran: Ruth Reinecke vom Berliner Maxim Gorki Theater als Mutter. Das ist nicht die Hauptrolle. Doch es ist die Rolle, die jedermann und jederfrau am deutlichsten zeigt, wie ideologische Verblendung das Menschliche zerstört.
Menschen, die in jedem Regelsystem funktionieren
Reinecke drückt in ihrer Rollengestaltung nicht auf die Tube, sondern bleibt überaus subtil, zeichnet die Figur mit feinem Pinselstrich. Neben ihr brilliert insbesondere Jörg Hartmann als Stasi-Schuft. Auch Hartmann entwirft ein kluges Charakterporträt, offenbart die Auswirkungen der Indoktrination subtil. Das Aufregende: An seiner Figur wird deutlich, dass auch die Stasi-Mitarbeiter nichts anderes waren als Leute, die meinten, legitimiert zu sein, dem Guten zu dienen.
Und auch das zeigt Hartmann: Männer wie der von ihm verkörperte Spitzel dürfen sich aus ihrer persönlichen Perspektive als brave Bürger bezeichnen. Sie sind Menschen, die in jedem Regelsystem funktionieren. Da wird’s denn spannend, ob’s auch ein viertes Mal heißen wird "Fortsetzung folgt!" Denn es könnte sehr interessant sein, die weiteren Lebenswege der Protagonisten zu verfolgen.
Im Fall des von Hartmann gespielten Typen zeichnet sich ja schon in dieser dritten Staffel ab, dass es auch für die, die in der DDR als Handlanger der Herrschenden ganze Arbeit geleistet haben, im neuen Deutschland Entwicklungsmöglichkeiten gibt.
"Weissensee" bietet Unterhaltung durch seine übersteigerte Rückschau auf das Gestern. Das ist wie Rotkäppchen halbtrocken mit Essiggurken und Broiler.
Gute Geschichten über den deutsch-deutschen Alltag gibt es zuhauf
Freilich: Wer den grauen Alltag im Mauerländle, die Tristesse des Gewöhnlichen in der DDR sehen möchte, der findet in der ost- und westdeutschen TV-Historie Filme, die genauer sind. Erinnert sei an den Zweiteiler "Familie Rechlin", entstanden Anfang der 1980er Jahre im DDR-Fernsehen, und an den ZDF-Fünfteiler "Schulz & Schulz", ausgestrahlt 1989 bis 1993, mit Götz George als Zwillingsbruderpaar hüben und drüben. Da haben die Drehbücher nicht darauf abgezielt, das große Ganze möglichst spektakulär zu spiegeln. Es ging allein um das Menschlich-Allzumenschliche, klein, simpel, auch mit Augenzwinkern.
Und siehe da: Schaut man sich das an, fällt einem auf, dass gute Geschichten, die den Einzelnen breiten Raum geben, ganz ohne Anstrengung die Weltgeschichte spiegeln können.
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