TV-Duell war "schwache Vorstellung beider Seiten"

Torsten Rössing und Marcus Ewald im Gespräch mit Jürgen König · 14.09.2009
Merkel und Steinmeier seien im TV-Duell "zu glatt" gewesen, kritisieren Torsten Rössing und Marcus Ewald, Deutsche Meister im Hochschul-Debattieren 2008. Beide Kandidaten hätten zu wenig Profil gezeigt.
Jürgen König: Angela Merkel gegen Frank-Walter Steinmeier – das gestrige Fernsehduell im Blick von Profis. In einem Studio in Stuttgart sitzen Torsten Rössing und Marcus Ewald vom Debattierclub Klartext der Universität Halle. Beide konnten sich im letzten Jahr im Roten Rathaus in Berlin beim Finale der 8. Deutschen Meisterschaften im Hochschuldebattieren unter 64 Rednerteams durchsetzen. Beide studieren noch, unter anderem Politikwissenschaft und Internationales Management, beide sind nicht parteilich gebunden, beide coachen allerdings schon Jungpolitiker, nach den Kriterien, die sie selbst im Debattierclub in Halle gelernt haben: Auftreten, Kontaktfähigkeit, Sprachkraft, Logik, Sachverstand. Herr Rössing, guten Morgen!

Torsten Rössing: Guten Morgen!

König: Und Herr Ewald, guten Morgen auch Ihnen!

Marcus Ewald: Guten Morgen!

König: Das als Fernsehduell titulierte Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidaten Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier gestern Abend – war es ein Duell?

Rössing: Nein, also, das, was wir dort gesehen haben, war nicht im Klassischen ein Duell oder eine Debatte, es war eher ein Duell zwischen Journalisten und zwei Politikern, die ihre Stellungen verteidigen.

König: Das heißt, schon die ganze Grundkonstruktion war problematisch?

Rössing: Ja, ich denke, man hätte die beiden doch vielleicht einfach nur mit einem wirklichen Moderator und nicht mit einem fragestellenden Journalisten, vielleicht auch alleine lassen sollen und gern mal die Debatte zwischen den beiden ermöglichen.

König: Ich meine, es hat ja immer wieder so Momente gegeben, wo die beiden sich tatsächlich, ein bisschen jedenfalls, ineinander verhakelt haben, mit Worten natürlich. Was sagen Sie zu solchen Momenten? Haben Sie die auch empfunden, konnten die sich entfalten oder war es von der ganzen Konstellation mit den vier Fragestellern und der ganzen Gesprächsanlage unmöglich, dass sich da mehr hätte entwickeln können?

Ewald: Na ja, es gab tatsächlich Ansätze zu Debatten, wir haben uns auch angestrengt, diese Ansätze herauszufinden und wir haben tatsächlich einige Male kleine Attacken gesehen wie zum Beispiel die Ungerechtigkeit des Steuer… oder die Unglaubwürdigkeit des Steuersystems, das die CDU vorgeschlagen hat. Wir haben aber hier vermisst, dass Steinmeier tatsächlich Merkel gestellt hat und umgekehrt genauso, dass eine direkte Frage gestellt wird und aufgefordert wird, Stellung da zu beziehen, was ein Element einer normalen Debatte ist. So blieb es einfach eine sachliche Diskussion.

König: Nehmen wir doch mal die Kriterien des Debattierclubs Klartext der Uni Halle, zum Beispiel das Auftreten einer Person. Also welche Posen konnte man gestern Abend sehen, welche – etwas hochtrabend gesagt –, welche Gesten auch des Machtanspruchs?

Rössing: Also, die einzige Geste, die uns massiv aufgefallen ist – das lag sicherlich auch an der Kameraeinstellung, die einfach hauptsächlich die Gesichter der beiden gezeigt hat –, war im Fall von Steinmeier einmal ganz kurz der erhobene Zeigefinger, ah, ja, wir haben jetzt hier eine internationale Besteuerung von Finanztransaktionen vor. Das war so die einzige tatsächlich große Geste. Alles in allem wirkten die beiden am Anfang sehr lässig, fand ich, also der Einstieg war, na ja, man hätte es besser machen können. Steinmeier an sich wirkte zuweilen etwas schelmisch, sage ich mal.

König: Ja, was eigentlich ungewöhnlich ist, fand ich. So kennt man ihn nicht.

Rössing: Ja, also, das ist, ja, vielleicht sein Versuch gewesen, vielleicht ein paar Sympathien zu erheischen in diesem Bereich.

König: Bei der Kanzlerin haben Sie keine Gesten des Machtanspruchs gefunden?

Rössing: Ja, es war eher das staatsmännische Auftreten, was sie versucht hat, ich sage bewusst, versucht, weil ich denke, dass diese Souveränität manchmal etwas unglaubhaft gewirkt hat.

Ewald: Also, beide haben versucht, durch einfache Gesten, durch Handheben, offene Handflächen, durch keine aggressiven Gesten kein Angriffspotenzial aufkommen zu lassen, sie wollten keine Angriffsfläche bieten. Das heißt also, die Macht haben sie schon dargestellt, indem sie sagten: Mich kann nichts anfechten. Aber wirkliche Gesten der Macht wie auf den Tisch hauen, die erhobene Faust oder jemand anderen zu stellen, das ist nicht vorgekommen.

König: Es hatte ja ein Geplänkel darum gegeben, ob die Kontrahenten nun sitzen oder stehen sollen. Merkels Berater hätte sie im Sitzen besser gefunden, Steinmeiers Berater wollten ihren Kandidaten unbedingt stehend. Wie wichtig ist so etwas?

Rössing: Ich denke, dass es da keine grundsätzlichen Unterschiede gegeben hätte. Ich denke, dass eine Rede grundsätzlich energetischer ist, wenn sie eben nicht im Sitzen stattfindet, sondern im Stehen. Ich meine, wir kennen das, ein Rednerpult ist ja in der Regel nicht irgendwie auf Sitzhöhe heruntergefahren. Also ich denke, dass das Stehen doch deutlich vorteilhafter – jedoch für beide – ist.

König: Aha. Gehen wir mal weiter. Kontaktfähigkeit – wie haben die beiden Kandidaten sich gegeben?

Ewald: Na ja, Frau Merkel hat eigentlich verhindert, dass eine Interaktion mit den Journalisten – was die Kontaktfähigkeit hier bedeutet, nämlich, wie nimmt man das, was im Raum steht und wie die Debatte bisher verlaufen ist, auf in seine eigene Rede …. Das hat sie eigentlich verhindert. Wenn sie angesprochen wurde, geben Sie Schulnoten, hat sie gesagt, ich bin keine Lehrerin. Als Sie gefragt wurde, gehen Sie doch mal auf meine Frage ein, hat sie gesagt: Ich beantworte die Frage so, wie ich es mir vorgenommen habe. Das heißt also, sie hat verhindert, dass tatsächlich eine Interaktion stattfindet. Steinmeier war hier etwas offensiver. Er hat die Fragen aufgenommen, er hat auch die Schulnote verteilt, als es gewünscht war, er war hier tatsächlich bemüht, mit den Journalisten zu interagieren und auch auf einer persönlichen Ebene, indem er sagte, die SPD ist ja nicht so, wie sie sich das vorstellen, oder, stellen Sie sich vor, Frau Illner, wir haben uns das tatsächlich schon überlegt – also, er hat versucht, zu interagieren und tatsächlich mit den Leuten im Raum in Kontakt zu treten.

König: Die Sprachkraft, also die rhetorischen Fähigkeiten – ich hatte den Eindruck, die sind irgendwie sehr gleich verteilt. Was sagen Sie als Fachleute?

Rössing: Ja, das kann man grundsätzlich sagen. Ich denke, dass jedoch beide Kandidaten so ihre eigene Sprache gefunden haben. Hierbei ist Merkel aufgefallen, indem sie immer gesagt hat: Ja, ich sage, dass …, wohingegen Steinmeier: Ich stehe für das und das. Also, jeder hatte so seine Anfangsphrase, die dabei war, und natürlich wurden auch gewisse, ja, fast schon Plattitüden einfach dann immer wieder wiederholt oder Konzepte wiederholt, beispielsweise "Wachstum schafft Arbeit" oder "Begrenzung von Managergehältern", die dann einfach zu oft vorkamen, teilweise drei Mal binnen zehn Minuten. Das wirkt dann in dem Moment unglaubwürdig.

König: Aber solche Stereotype sind doch gerade das, was solche Auftritte so langweilig machen. Gibt es da keine Berater, die genau das verhindern wollen und ihre jeweiligen Schützlinge wirklich zu einer lebendigeren Sprache irgendwie verführen wollen, muss man ja schon fast sagen?

Ewald: Na ja, also wenn ich die Gelegenheit hätte, Steinmeier einen Tipp zu geben, würde ich ihm zum Beispiel empfehlen, Plattitüden zu vermeiden wie "die ganz oben oder ganz unten", wie er es bei der Kassiererin mit den 1,50 Euro und den Managern mit den Milliarden gemeint hat. Ich würde ihm natürlich sagen, dass ganz oben und ganz unten bei den Zuhörern nicht verfängt. Da muss man Beispiele bringen, die aus dem Leben stammen. Stellen Sie sich vor, der Manager hinter dem Marmortisch muss eigentlich die gleichen Rechte haben wie die Kassiererin, die jeden Tag zur Arbeit geht und so weiter, also da müssen Bilder entstehen in den Köpfen der Zuhörer. Da kann man nicht mit Plattitüden kommen, denn die verschwinden einfach wieder – sobald sie gesagt wurden – in den Köpfen der Menschen.

König: Eines Ihrer Debattierkriterien ist die Logik. Wie sieht es in diesem Punkte aus?

Rössing: Ja, dadurch, dass wir verschiedene Konzepte hatten, die gegeneinander standen und die ja doch auch durch verschiedene Gremien gegangen sind und sicherlich auch die Argumente durchdekliniert waren, hatten wir da eigentlich nichts großartig zu beanstanden. Also es waren schon aus den einzelnen Bereichen entsprechende stringente Logiken, es war jetzt kein großes Problem.

Ewald: Also, es gab eine kleine Sache bei der Logik, die dem Herrn Steinmeier unterlaufen ist, dass er gefragt wurde, was er denn gegen das Umfragetief der SPD tun würde und er sagte, er glaubt Umfragen generell nicht, um im nächsten Satz zu sagen: "Aber man sieht ja, dass die Union schon zwei Prozentpunkte runtergegangen ist, das heißt, bei Ihnen geht es bergab." Das war vielleicht ein kleiner, logischer Fehler, aber in der Programmatik und in den großen Argumenten ist eigentlich nichts passiert.

König: Und beim Sachverstand war es auch gleich verteilt?

Rössing: Ja, ich denke, dadurch, dass hier auch einfach eine gewisse Regierungserfahrung dabei ist, kann man davon ausgehen, dass der Sachverstand ganz ähnlich ist. Sehr spannend fand ich in dem Moment dann Steinmeiers Attacke, dass er gesagt hat, ja, gehen wir das doch einfach mal durch, wenn wir jetzt bei diesen Steuersenkungen sind. Das war auch tatsächlich die einzige aktive Attacke oder eine der wenigen, die da eben war. Na ja, wenn wir 50 Milliarden aus FDP und auch aus CDU zusammenrechnen, dann bräuchten wir 9 Prozent Wachstum. Das war einfach mal eine Zahl, die in den Raum geworfen war, mit der Merkel erst mal umgehen konnte. Das hat sie aber auch mehr oder weniger an sich abprallen lassen.

König: Wer hat den gewonnen nach Ihrer Auffassung?

Ewald: Ach, das kann man wirklich nicht so einfach sagen.

König: Da wurde ja auch ein riesiger Hype drum gemacht, dass man immer… der Begriff Duell schreit ja schon nach einem Sieger und einem Verlierer – oder Siegerin, Verliererin.

Ewald: Die Frage ist eben: Wenn es ein Duell war – wovon wir jetzt einfach mal der Einfachheit halber ausgehen –, glaube ich, standen sich gerade zwei Menschen gegenüber, beide haben einen Schuss aus der Pistole gelassen und beide haben verfehlt.

König: Beide danebengeschossen?

Rössing: Ja.

König: Dementsprechend gibt es zwei Sieger und zwei Verlierer.

Ewald: Es gibt zwei Sieger und die Adjutanten freuen sich und alle können nach Hause fahren und frühstücken. Also ich glaube hier tatsächlich nicht, dass hier jemand klar besser als ein anderer war, was ja einen Gewinner ausmacht. Verlierer gab es auch nicht.

Rössing: Sie waren vielleicht beide – und das … und wenn man das immer wieder hört –, beide besser als erwartet. Da frage ich mich: Was erwarten die Leute tatsächlich? Und da müssen wir eigentlich aus unserer Perspektive sagen: Also. es war eher eine schwache Vorstellung beider Seiten.

König: Dabei sind doch beide nun wirklich Politprofis, ich meine, Sie, Herr Rössing und Herr Ewald, Sie coachen junge Politiker. Nehmen wir mal an, das wären Ihre Schützlinge. Was hätten Sie denen nach diesem Auftritt gesagt?

Ewald: Also wir versuchen, als Technik bei jungen Politikern – und wir würden es auch bei älteren genauso machen – die Stärken, die jeder Politiker hat, herauszuarbeiten, das heißt, wir versuchen nicht, die Leute weichzuspülen, sondern wir versuchen, den Leuten Kanten und Ecken zu geben, an denen sich die Leute auch durchaus reiben können, die ihnen aber ein Profil verschaffen. Und das ist unser Ansatz, dass man Typen hat, die auf der Bühne stehen oder eben am Rednerpult, die Reden halten, und nicht ein weichgespültes, demoskopisches Produkt von Beratung.

Rössing: Ja, und sie waren am Ende im Prinzip dann wirklich zu glatt, haben zu wenig Profil gezeigt, zu wenige Schwächen auch mal versucht zu zeigen oder zu sagen, hier, das ist tatsächlich jetzt meine Meinung und die setze ich durch, sondern es war einfach alles sehr abgeschliffen, sodass eben von diesen Kanten und Ecken leider nur eine sehr glatte Oberfläche übrig blieb.

König: Aber Sie sagen, dahinter steckt Strategie, das sollte ausdrücklich so sein?

Rössing: Ja, das ist sicherlich in einer Mediokratie sozusagen ein relativ üblicher Beratungsansatz. Wir denken jedoch nicht, dass das tatsächlich sinnvoll ist, weil Leute, die wirklich in der Geschichte, in Gedanken oder im Hintergrund geblieben sind, waren meistens eher glatt, und die Leute, die aufgefallen sind, sind eben Leute wie Wehner beispielsweise, die dann doch eher … oder auch Strauß, wenn er auch streitbar war, waren das einfach Leute, die einfach Profil gezeigt haben, für ihre Sache gestanden haben. Stoiber hat das in der Nachanalyse noch mal aufgenommen, hat gemeint, ja, die Zeiten haben sich geändert. Unseres Erachtens haben sich die Zeiten in der Richtung nicht geändert. Wir denken nur, dass dieser Ansatz dieser sehr glatten Politikerattitüde nicht unbedingt beim Volk ankommt.

König: Vielen Dank, Angela Merkel gegen Frank-Walter Steinmeier, das gestrige Fernsehduell im Blick von Profis, wir sprachen mit Torsten Rössing und Marcus Ewald vom Debattierclub Klartext der Uni Halle. Beide sind deutsche Meister im Hochschuldebattieren des Jahres 2008 gewesen.