Türöffner für Journalisten

Moderation: Jürgen König · 03.05.2005
Sie vermitteln Kontakte, sie organisieren, sie dolmetschen, sie führen Journalisten in schwer zugängliche Regionen und setzen nicht selten dabei ihr Leben aufs Spiel - ohne die so genannten Stringer wäre es nach Ansicht der Fernsehjournalistin Inge Altemeier unmöglich, aus Ländern zu berichten, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist.
König: Stringer sind Journalisten, die ausländischen Reportern vor Ort Kontakte vermitteln, sie zum Beispiel in schwer zugängliche Regionen führen, auch als Fahrer und oder Dolmetscher fungieren sie. Eine, die oft mit Stringern zusammenarbeitet, ist Inge Altemeier, freie Fernsehjournalistin, berichtet unter anderem für den Südwestrundfunk aus Indonesien, aus Banda Aceh, aus Mali, aus Indien. Zum internationalen Tag der Pressefreiheit wollen wir auf die Lage dieser Stringer hinweisen, sie bleiben oft unbekannt, bekommen in jedem Fall weniger Aufmerksamkeit als ihre ausländischen Kollegen, dabei setzen sie doch sehr oft ihr Leben aufs Spiel beim Einsatz für die ausländische Presse. Warum tun sie das? Wird das so gut bezahlt, ist das journalistischer Ehrgeiz oder Abenteuerlust?

Altemeier: Das ist eine ganz lange Entwicklung, angefangen hat meine Arbeit eigentlich gleich auch mit Kollegen in aller Welt. Vor vielen Jahren sollte ich einen Kulturfilm in Nepal machen und kam in eine Teppichfabrik, sah ein Kind vor einem Teppich sitzen. Eine Gruppe von nepalesischen Journalisten hatte mich dorthin geführt und dieses Kind heulte; es arbeitete an dem Teppich, war tränenüberströmt. Ich habe ein Kind im gleichen Alter und habe mir das Muster dieses Teppichs eingeprägt. Wenig später war ich wieder zurück in Deutschland, ging zu Karstadt und fand jenen Teppich wieder. Und das ist eigentlich der Ursprung dessen, dass ich angefangen habe, international zu arbeiten, sozusagen Verbindungen zu schaffen, Hintergrundberichte zu machen, das ist eine Motivation, die zweite ist, es macht totalen Spaß, die dritte Motivation ist, dass ich doch immer noch an eine gewisse journalistische Ethik glaube, wenn man für öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten arbeitet, dass der Zuschauer aufgrund der Gebühren, die er zahlt, ein Recht hat, umfassend informiert zu werden. Und so bemühe ich mich dann auch, das zu tun an ganz verschiedenen Punkten dieser Welt, aber eben immer in Zusammenarbeit mit meinen Kollegen vor Ort.

König: Und Sie arbeiten viel mit Stringern zusammen?

Altemeier: Ja, das ist ein Begriff, den haben wir übernommen, in Amerika und England heißen sie fixer und es ist völlig normal, dass jeder Kollege, wenn er aus einem anderen Land berichtet, so jemanden vor Ort hat, der ihn vom Flughafen abholt, der alles organisiert hat. Bei uns ist das weniger so eindeutig und sie werden eher so behandelt wie eben Fahrer, Übersetzer. Aber es sind eigentlich diese Leute, die uns die Türen öffnen und das ist das, was ich im Laufe der Jahre erfahren habe. Ich darf ein Beispiel geben: Irgendwann hatte ich mal die indische Lederindustrie im Zusammenhang mit einem großen deutschen Schuhhaus am Angelhaken, dass die ganz viel Kinder beschäftigen und ganz viel Umwelt verschmutzen und ich bekam einen Anruf aus Indien, man würde mich jetzt umbringen und das wäre jetzt wirklich genug, ich soll jetzt endlich aufhören, diese Berichte zu machen. Wir lachten darüber und sagten, wenn einer vorher anruft, dann kommt er nicht mehr, außerdem, wie soll denn ein Inder ins gut gesicherte Deutschland kommen. Aber meine Kollegen vor Ort, die mich in diese Fabriken geführt hatten - das ist oft ein Sammelsurium aus politischen Menschen, Nichtregierungsorganisationen und Journalisten - die hatten die Leute vor der Tür und deren Büro wurde überfallen, deren Schreibtische wurden zusammengehackt und die haben trotzdem weitergemacht. Aber das ist so ein Grund, weswegen ich finde, dass wir darauf achten sollten, erst einmal diese Kollegen entsprechend wertzuschätzen, auch zu betrachten, dass wir sie in dieser globalisierten Welt wirklich brauchen, weil die Agenturen das nicht mehr leisten können, wirklich Hintergrundberichte zu machen und vor allen Dingen diese Zusammenhänge zu berichten.

König: Wer sind die Stringer, was sind das für Leute? Sind es Fahrer, Dolmetscher, auch Journalisten?

Altemeier: Auch Journalisten muss ich sagen, in Ländern wie etwa Indonesien gibt es zwar in Djakarta eine ganz Gruppe von Leuten, die von ihrer journalistischen Arbeit leben können, es ist immer noch schwierig, es gibt da viele Witze, die wir auch gemeinsam gemacht haben, meine Kollegen von Tempo, das ist praktisch der indonesische Spiegel, dass sie immer noch eigentlich für Tomatenketchup und Sojasoße schreiben müssen, das heißt, dass sie immer darauf achten müssen, diejenigen, die die Anzeigen schalten, noch sehr viel mehr als hier, nicht zu verärgern. Es ist eine Berufssparte, von der man eigentlich kaum überleben kann in Indonesien, außer man gehört wie Daisy Anwar, auch eine gute Freundin von mir, zu Ausnahmegestalten. Und Indonesien ist ja ein riesiges Land und in den Provinzen ist es eigentlich fast unmöglich, davon richtig zu überleben und es sind häufig Leute, die auch politisch organisiert sind und Nichtregierungsorganisationen, Umweltschutzgruppen, Menschenrechtsgruppen, gerade in Aceh und gleichzeitig Journalisten sind, die da zusammenarbeiten und schreiben und wie das im Fall desjenigen ist, der mich so motiviert hat oder mir auch so viel Sorgen gemacht hat in den letzten Monaten, weil ich immer Angst hatte, dass er entweder von den Rebellen verschleppt oder vom Militär eingesperrt wird oder wieder regelmäßig gefoltert. Der arbeitet einfach mit diesen Gruppen zusammen, schreibt für eine Zeitung, die sich aber niemand traut zu kaufen. Es gibt diese Zeitung, aber jeder, der auf der Straße damit gesehen wird, gerät in den Verdacht, ein Freund der Rebellen zu sein, weil sie gnadenlos berichten über Menschenrechtsverletzungen, Übergriffe der Militärs, Holzklau, darum geht es ja auch, ganz brachiale Bereicherung. Und er schreibt und schreibt und sieht einfach da liegt diese Zeitung für die er schreibt, wo er will, dass die Sachen an die Öffentlichkeit kommen und keiner traut sich, sie zu lesen.

König: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und einem oder mehreren Stringern? Ich vermute, auch Freundschaften haben sich da mit der Zeit gebildet, aber nehmen wir mal an, Sie kommen irgendwohin, wo Sie noch niemanden kennen.

Altemeier: Ich arbeite so, dass wenn ich zum Beispiel beim Thema Papier, ich habe vor vielen Jahren sehr viel, als im Rahmen der Globalisierung die gesamte Papierproduktion nach Asien verschoben worden ist, sehr viel dazu gemacht und ich habe im Internet darüber gelesen, das waren noch die Anfänge des Internets und eine englische Gruppe, down to earth, hatte eine große Kampagne gemacht, ich war neugierig geworden, hatte hier herausgefunden, dass es eine große deutsche Bürgschaft dafür gibt und bin erstmal nach Djakarta geflogen und habe mich dann an eine Umweltschutzgruppe gewendet und die hat mich dann praktisch weitergereicht. Und in diesem Kreis gab es dann einen Journalisten, mit dem ich bis heute sehr gut befreundet bin, und der hat das dann eigentlich alles erstmal für uns gemacht, denn wir wussten weder, wie wir zu den Papierfabriken hinkommen, ich als investigative Journalistin habe ja auch immer viel für die Magazine gearbeitet, brauchte Beweise, musste Wasserproben nehmen, ich konnte nicht sagen, der Fluss ist vergiftet; er verhalf mir dazu, er brachte mich zu den Zeugen dieser Geschichte und mein starker Teil war eigentlich nur der deutsche Teil, den ich recherchieren konnte.

König: Was sagen die Behörden zu einer solchen Zusammenarbeit, denn denen passt das doch überhaupt nicht in den Kram?

Altemeier: Das Interessante ist, dass in den Provinzen häufig diese Journalisten auch Leute bei den Behörden kennen. Das wird arrangiert, man einigt sich irgendwie, dass die an dem Tag nicht da sind. Große Schwierigkeiten in Indonesien macht einfach das Militär, nicht die Behörden, denn die kommen gar nicht aufs platte Land, das ist viel zu unbequem, die sitzen in Djakarta, ab und zu noch mal in den Provinzhauptstädten, aber vor denen braucht man keine Sorge zu haben. Unangenehm ist das Militär und da muss ich auch sagen, habe ich eigentlich von meinem Stringer, meinem guten Freund und Kollegen und auch Rechtsanwalt, also auch der tanzt auf vielen Hochzeiten, wirklich auch so Sachen gelernt. Wir fuhren auf diese Papierfabrik zu, wurden angehalten, Fenster natürlich runter, Maschinengewehr auf seinen Kopf gerichtet und er sagte: Nun schieß doch endlich, jedes mal, wenn ich hier herkomme, hältst du mir dieses Ding an den Kopf und nie machst du was, nun schieß doch endlich. Mir zitterten noch die Knie, aber ich musste dann auch lachen und wir lachten gemeinsam. Ich habe einfach gelernt, dass man durch das innerliche Verhöhnen dieser Form von Gewalt, sich so befreit, dass man Geschichten trotzdem machen kann.

König: Steht sein Name auch unter dem Artikel, den Sie schreiben, am Ende des Beitrags, den Sie senden?

Altemeier: Häufig mache ich es so, dass da schon als Mitarbeiter mein jeweiliger indonesischer oder indischer Kollege steht. Es ist natürlich immer ein Problem, wenn es eine Organisation ist, können wir das nicht machen, weil wir dann immer in den Geruch geraten, sozusagen letzten Endes auch korrupt zu sein, wenn wir mit Umweltschutzorganisationen arbeiten, aber das tue ich, aber häufig ist es deren Wunsch oder es ist nicht möglich. Das ist auch in Aceh diese Geschichte gewesen. Ich hatte ja wie sicherlich alle von uns zunächst gedacht, da gibt es nur eine Katastrophe, nämlich den Tsunami und schon am zweiten Tag wurde nachts geschossen und ich war plötzlich mitten im Krieg und hätte ich Emuan nicht gehabt, weiß ich auch gar nicht, was passiert war, weil weder mein Kameramann, noch mein finnischer Kollege, mit dem ich zusammengearbeitet habe, innerlich darauf vorbereitet waren. Wir waren auf diese harten Bilder, die wir schon gesehen hatten, ich war sechs Tage nach dem Tsunami in Aceh angekommen, darauf warfen wir vorbereitet, aber ich hatte sozusagen kein Equipment für den Krieg dabei und auch keine Überlegungen, was mache ich, wenn ein Panzer auf mich zurollt, und dann gab es eben ihn und er hat mich geschützt, aber seinen Namen konnte ich nicht drunterschreiben, weil er dann ja auch ziemlich schnell verhört wurde und verschwunden war.

König: Um aufs Finanzielle zu kommen: bezahlen Sie die Leute, sind die anderweitig in Lohn und Brot, wie verhält sich das?

Altemeier: Ich bezahle die Leute. Da gibt es auch immer wieder Debatten. Ich versuche, sie gerecht zu bezahlen, das ist natürlich in der momentanen Situation, wo politische Berichterstattung ja auch in der ARD nicht mehr so gut bezahlt wird und in dritte Programme abgedrängt wird, da ist das manchmal schwierig, aber ich bezahle sie moderat und ich versuche, im Team - für mich gehören diese Leute zum Team - eine gerechte Situation zu schaffen. Die wenigsten von denen verdienen so viel, dass sie wirklich vom Journalismus leben können, außer sie sind in den großen Städten. In Indonesien ist es so, dass man das Fernsehen bezahlen muss, wenn man seinen ersten Beitrag senden will; deshalb haben ja auch bestimmte Leute solche Möglichkeiten oder Kameramann wird derjenige, der Eltern hat, die ihm eine Kamera schenken. Da gibt es noch unheimlich wenig Wege aufgrund der Diktatur, also finde ich, es ist nur gerecht, ich bezahle die.
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