Türkenprobleme ohne Ende

Von Hans-Ulrich Wehler · 26.08.2007
Ralph Giordano, einer der großen alten Männer der deutschen politischen Publizistik, muss sich als Holocaust-Überlebender Morddrohungen gefallen lassen, weil er es gewagt hat, die Megalomanie des Kölner Moscheeprojekts mit vorzüglichen Gründen zu kritisieren. Der deutsche Ableger des türkischen Religionsministeriums, die DITIB, plant ein Exempel purer Machtarchitektur mit zwei Minaretts, deren Höhe nur noch vom Kölner Dom übertroffen wird.
5000 Muslime soll die Moschee beim Freitagsgebet aufnehmen können, während in ihrer Umgebung gerade einmal 130 Parkplätze vorhanden sind. Der gewaltige Komplex wird Köln-Ehrenfeld über kurz oder lang in ein türkisches Viertel verwandeln. Offensichtlich haben sich die politischen Parteien im heiligen Köln von dieser Demonstration muslimischen Gleichberechtigungswillen überrumpeln lassen. Inzwischen suchen sie nach Kompromisslösungen, die bisher aber alle an der unerschütterlichen Unnachgiebigkeit der DITIB gescheitert sind. Dieser Machtbeweis mit der Brechstange dementiert die Bereitschaft zur Integration, er betoniert vielmehr die bislang nicht aufgegebene Entscheidung, sich in einer eigenen Subkultur einzuigeln und jede Assimilation zu verweigern.

Die rund drei Millionen Muslime in der Bundesrepublik, unter denen Türken die erdrückende Mehrheit stellen, haben sich bisher nur punktuell in ihr Zuwanderungsland eingefügt. In der größten türkischen Stadt Europas, in Berlin, kannten unlängst 94 Prozent aller eingeschulten Kinder türkischer Herkunft kein Wort Deutsch. Zwei Drittel aller 14- bis 25-jährigen Türken, alle aus der dritten Generation mit ihrer wachsenden Neigung zu einem fundamentalistischen Islamismus, waren dort wegen des fehlenden Schulabschlusses und der mangelhaften Sprachkompetenz arbeitslos. Allgemein lag die türkische Arbeitslosenquote doppelt so hoch wie die deutsche, bei 40 Prozent. Die Anzahl türkischer Sozialhilfeempfänger stieg dreimal so hoch wie der türkische Anteil an der Stadtbevölkerung. Wegen vermeintlicher Berufsunfähigkeit wurde die Rente durchweg vom 50. Lebensjahr ab in Anspruch genommen, so dass jedes vernünftige Verhältnis zwischen Einzahlung und Auszahlung zerstört wird. Der Anteil türkischer Gymnasialschüler und Studenten ist im Vergleich mit dem Nachwuchs aus ehemaligen italienischen, spanischen, griechischen Gastarbeiterfamilien erschreckend schmal geblieben. Die Bildungsferne der überwiegend aus Anatolien stammenden Zuwanderer, oft – namentlich die Frauen - Analphabeten, hat sich verhängnisvoll fortgesetzt. Dem Argument, dass die Deutschen schon wegen ihrer schrumpfenden Kinderzahl auf türkische Zuwanderung angewiesen seien, um die Sozialsysteme zu stabilisieren, muss entgegengehalten werden, dass die türkischen Arbeitsmigranten bereits seit langem ein Zuschussgeschäft für den deutschen Sozialstaat sind und alles andere tun, als zur Stabilisierung der disproportional beanspruchten Versicherungssysteme beizutragen.

Wenn man ein politisch explosives ethnisches Subproletariat in ghettoähnlichen Wohnquartieren der deutschen Großstädte vermeiden will, muss die mehr als zögerliche staatliche Integrationspolitik endlich forciert werden. Diese Überzeugung liegt Innenminister Schäubles Islamkonferenzen zugrunde, die eine langwierige Diskussion zur Erleichterung der Annäherung eröffnen sollen. Wes Geistes Kind jedoch manche Verbandsfunktionäre sind, die durchweg kleine Minderheiten der hierzulande lebenden Muslime vertreten, trat vor der letzten Sitzung unmissverständlich zutage. Soeben war das veränderte Zuwanderungsgesetz im regulären Gesetzgebungsverfahren von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Es hatte gegen den routinemäßigen Import minderjähriger Bräute as Anatolien ohne jede deutsche Sprachkenntnis endlich eine Hürde errichtet. Daraufhin band ein Teil der türkischen Lobby die Teilnahme an der Konferenz an eine Revision dieses Gesetzes im Sinne ihres Macho-Weltbildes, sie wollte mit ihrem Veto als eine Art von Ersatzgesetzgeber fungieren. Während diese Verbände verbal stets versuchen, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, enthüllte diese Reaktion entweder eine erschreckende Unkenntnis des legislativen Verfahrens oder eine krasse Missachtung der politischen Verfahrensregeln in der Bundesrepublik.

Beide Streitpunkte: die Kölner Moschee (ein ähnliches Frankfurter Projekt ist soeben angekündigt worden) und das Auftrumpfen der Lobby in Berlin, unterstützen die Forderung von Ralph Giordano, endlich eine offenherzige Diskussion über die Stellung der deutschen Muslime zu führen, auch über ihre Integrationsunwilligkeit und Demokratieunfähigkeit. Wer kann unter den derzeitigen Umständen noch für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU plädieren, da doch ihr Beitritt die Anzahl der Muslime in der Bundesrepublik im Nu verdoppeln würde?

Hans-Ulrich Wehler, Jahrgang 1931, ist einer der bekanntesten deutschen Historiker, auch Wissenschaftshistoriker. Er studierte Geschichte, Ökonomie und Soziologie in Köln und Bonn sowie an der Ohio University. Während seiner langen Lehrtätigkeit in Köln, Berlin und Bielefeld befasste sich Wehler vorwiegend mit der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem seine Abhandlungen zum deutschen Kaiserreich wurden zu Standardwerken. Mit seinem bisher in drei Bänden vorliegenden, auf vier Bände angelegten Projekt einer "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" wagte Wehler als erster Historiker den Versuch, die deutsche Geschichte seit der frühen Neuzeit unter konsequent sozialgeschichtlicher Perspektive zu schreiben. Jüngste Veröffentlichungen: "Umbruch und Kontinuität. Essays zum 20. Jahrhundert"; "Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhundert. 1945-2000"; "Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen".
Hans-Ulrich Wehler
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