"Türkei will, dass die USA aktiv am Syrien-Konflikt teilnimmt"

Nail Alkan im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 16.05.2013
Heute trifft der türkische Ministerpräsident Erdogan in Washington US-Präsident Obama. Erdogan wolle die Amerikaner zu einem stärkeren Engagement in Syrien bewegen, sagt der Politologe Nail Alkan.
Jan-Christoph Kitzler: Wenn der türkische Premierminister Tayyip Erdogan heute in Washington US-Präsident Obama trifft, dann hat er so einige Forderungen im Gepäck: Die beiden werden über die Lage in Syrien sprechen – natürlich. Die Türkei hat zwar Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, aber bisher verhindert, dass die Gewalt des syrischen Bürgerkrieges überschwappt. Aber das Ganze ist anders seit dem vergangenen Wochenende, als in der türkischen Grenzstadt Reyhanli 51 Menschen ums Leben gekommen sind bei der Explosion zweier Bomben.

Die Grenze zwischen der Türkei und Syrien ist 900 Kilometer lang – wie es um Syrien steht, ist also für die Türkei eine existenzielle Frage der nationalen Sicherheit. Wie ist die Haltung der Türkei im Syrien-Konflikt, was muss aus türkischer Sicht passieren? Das will ich mit Nail Alkan besprechen, er ist Professor für Politikwissenschaften an der Gazi-Universität in Ankara. Schönen guten Morgen, Herr Alkan.

Nail Alkan: Guten Morgen, Herr Kitzler.

Kitzler: Was erwartet denn eigentlich die türkische Regierung von den USA?

Alkan: Also die Türkei hat große Erwartungen an den Besuch von Herrn Ministerpräsident Erdogan in den USA. Die Türkei ist aufgrund der Tatsache, dass natürlich der Konflikt über zwei Jahre dauert und 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge aufgenommen worden sind, das Bombenattentat am Wochenende … die Türkei möchte nicht allein gelassen werden. Zurzeit fühlt sich die Türkei allein gelassen im Syrien-Konflikt.

Die Türkei will, dass die USA aktiv am Syrien-Konflikt teilnimmt, wobei natürlich auch wir genau wissen, dass Herr Obama erklärt hat, dass die USA an einer militärischen Intervention nicht interessiert ist. Herr Erdogan wird vor allem, mit großer Wahrscheinlichkeit, jetzt erst mal versuchen, Herrn Obama zu überzeugen mit der Tatsache, dass … Herr Obama hatte gesagt, dass die rote Linie im Syrien-Konflikt die Benutzung von chemischen Waffen ist. Wir wissen jetzt, dass die chemischen Waffen benutzt worden sind im Syrien-Konflikt, aber wir wissen auch, dass trotzdem wohl Obama seine außenpolitische Linie nicht verändern wird. Das heißt also, die Türkei wird versuchen, Obama irgendwie in die Sache mit einzubeziehen.

Kitzler: Und deswegen wird man auch neue Beweise vorlegen für diese Chemiewaffeneinsätze?

Alkan: Ja, ja, natürlich.

Kitzler: Und zum Beispiel will man ja auch eine Flugverbotszone einrichten, die von den USA kontrolliert werden soll. Was ist aber, wenn die …

Alkan: Richtig, es geht wie gesagt auch um die Flugverbotszone, es geht darum auch, dass die USA vielleicht die Oppositionellen mit Waffen verstärkt, unterstützt. Eine andere Tatsache ist auch, dass jetzt Israel wohl aktiver in dem Syrienkonflikt teilnimmt, ob vielleicht jetzt die USA Israel als Stellvertreter bezeichnet – ich weiß es nicht. Aber die Türkei möchte auf jeden Fall in dieser Region nicht alleine gelassen werden. Die Türkei hat ja am Anfang versucht, als das Problem begonnen hatte, als Vermittler aufzutauchen. Mittlerweile ist das gescheitert, mittlerweile ist sie jetzt stark Partei im Syrienkonflikt, aber wie gesagt, da die Türkei Grenznachbar von Syrien ist, bekommen wir die gesamten Probleme von Syrien mit – wie gesagt, 300.000, 400.000 Flüchtlinge, eine sehr, sehr lange Grenze, eine 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien.

Die Türkei möchte auf keinen Fall alleine involviert werden in den Konflikt. Deshalb versucht die Türkei auch jetzt ein bisschen ruhig zu bleiben, denn sie wird provoziert. Ich meine, dieses Attentat hat ja die Türkei provoziert, es hätte auch sein können, dass jetzt Herr Erdogan gesagt hätte, okay, wir werden uns einmischen – die Türkei möchte auf jeden Fall nicht alleine in diesem Konflikt intervenieren.

Kitzler: Aber es gibt natürlich heftige Proteste gegen die Politik von Ministerpräsident Erdogan, zum Beispiel jetzt gerade gestern Abend wieder in der Hauptstadt Ankara bei Ihnen, und es gibt auch Kritik daran, dass die Türkei so einseitig die syrischen Rebellen unterstützt. Sehen das viele so in der Türkei?

Alkan: Ja, sagen wir so, ich meine, 75 Prozent der Türken sind gegen eine militärische Intervention, sie möchten Frieden in der Region. Vor allen Dingen, wenn Sie bedenken, dass die Türkei jetzt in den letzten Monaten versucht, jetzt den Kurdenkonflikt, den PKK-Konflikt ein bisschen zu lösen, schmeckt es den Türken zurzeit überhaupt nicht, dass jetzt ein neuer Konflikt kommt mit Syrien, und dass jetzt wieder Menschen sterben.

In der Türkei sind seit Jahren aufgrund des PKK-Krieges Tausende von Menschen gestorben, und die Türkei möchte einfach Frieden auch in der Region, die Türkei möchte auch Frieden innerhalb der türkischen Bevölkerung, so dass wir uns jetzt auch zurzeit gar nicht leisten wollen, in den Syrienkonflikt militärisch einzuziehen. Wenn militärisch da die Sache bezogen werden soll, dann mit der NATO, mit der UN, mit den USA, aber nicht alleine. Die Türkei möchte auf keinen Fall alleine mit da hineingezogen werden, denn dann würde die Türkei alleine nicht mehr rauskommen.

Kitzler: Die Regierung Erdogan will aber natürlich auch, dass die Türkei ein gewichtiges Wort mitzureden hat in der Region. Wie ist das denn jetzt mit dem Syrien-Konflikt? Ist das ein Beispiel dafür, dass der Türkei die Grenzen aufgezeigt werden, dass sie sozusagen wieder auf Normalmaß zurückgestutzt wird in der Region, weil man feststellt, alleine kann man nichts machen?

Alkan: Sagen wir mal so, ich meine, die Türkei hat ja versucht, als regionale Ordnungsmacht aufzutreten. Ich glaube, das ist so ein bisschen gescheitert. Ich meine, man kann regionale Ordnungsmacht nicht alleine werden, ich glaube, da bedarf es auch der Unterstützung von den Großmächten, und wenn Sie jetzt sehen, wie der Syrien-Konflikt wohl gelöst werden wird, eventuell mit den USA und mit Russland, die jetzt in diesem Monat eine Konferenz veranstalten wollen, also es ist jetzt nicht, dass die Türkei da aktiv mit teilhaben wird.

Ich glaube, regionale Ordnungsmacht, das ist wohl zurzeit in dieser Region noch ein bisschen zu früh. Es kann vielleicht sein, dass es sich in der Zukunft weiterentwickeln wird, aber die Optionen sind ausgegangen für die Türkei, also die Optionen jetzt, diesen Konflikt irgendwie friedlich zu lösen, sind ausgegangen. Militärisch lösen will sie alleine auch nicht, sodass wir jetzt angewiesen sind auf Obama und auf Herrn Putin.

Kitzler: Wie würden Sie das zusammenfassen, ist die Syrien-Politik der Regierung Erdogan bisher gescheitert?

Alkan: Ein bisschen ja. Ich meine, am Anfang war sie vielleicht auch sehr gut, sie hat versucht zu vermitteln, aber keiner hatte gedacht in der Türkei, dass dieser Konflikt so lange andauert, wir dachten, der Assad wird sich so lange nicht halten können. Aufgrund der Tatsache, dass er sich so lange gehalten hat, scheint es ein bisschen gescheitert zu sein, und auch aufgrund der Tatsache, dass die Türkei alleine steht. Ich meine, die Türkei ist, glaube ich, so stark noch nicht, dass sie halt alleine in der Region Ordnungsmacht spielen kann.

Kitzler: Die Türkei und der Syrien-Konflikt – das war Nail Alkan, Professor für Politikwissenschaft an der Gazi-Universität in Ankara. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag.

Alkan: Vielen Dank, Ihnen auch.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews undDiskussionen nicht zu eigen.
Auch gestern gingen die Ermittlungen nach den Bombenanschläge in Reyhanli weiter
Bombenanschläge in Reyhanli an der türkisch-syrischen Grenze© picture alliance / dpa / Stringer
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