Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Frohmann Verlag
Das ästhetische und soziale Potenzial von E-Books

Die Digitalverlegerin Christiane Frohmann ist Vordenkerin einer neuen Generation von Kreativen, die an den Festen der alten Buchhandelswelt rüttelt. Für sie steht das E-Book nicht in Konkurrenz zum gedruckten Buch, vielmehr ist es eine neue Möglichkeit für Literaturexperimente abseits des Mainstreams.

Von Nils Kahlefendt | 30.10.2015
    "Aber es hört einfach nicht auf, dieses 'Papier ist aber schöner'."
    "Aber es hört einfach nicht auf, dieses 'Papier ist aber schöner'." (picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth)
    Um mit Christiane Frohmann über ihren Verlag zu sprechen, muss man sich nicht in einen der hippen Co-Working-Spaces von Start-up-Berlin bemühen, sondern in ein kleines 20er-Jahre-Einfamilienhaus in Niederschönhausen, im alten Osten. Für einen Digitalverlag braucht es ein Notebook und schnelles Internet, deshalb arbeitet Frohmann meist zu Hause. Ein Privileg, das nicht nur Vorteile hat:
    "Wenn meine Kinder Ferien haben ist es ein totaler Albtraum: Dann sitzen die hinter ihren Türen und schreien auf TeamSpeak 'Fick dich, Alter!' in ihren Game-Runden rum. Und das ist wirklich albtraumhaft als Arbeitssituation. So konzentriert bin ich auch nicht, dass ich alles ausblenden kann. Aber in der Regel habe ich den Tag bis zum Nachmittag hier meine Ruhe. Und ich will absolut zu Hause arbeiten – also, das ist jetzt nicht so 'ne Mutti-Nummer. Sondern ich mag diese Wege in Berlin nicht. Die fressen zu viel Zeit. Und ich brauch' diese Zeit, weil ich wirklich sehr, sehr viel mache. Und da ich nicht mehr so stark trenne zwischen Arbeit und Leben ist es für mich eine der wichtigen, auch Kräfte sparenden Sachen, dass ich hier arbeite."
    "2015, das Jahr, in dem die Verkaufszahlen bei Frohmann die Anzahl der Interviewanfragen übersteigen, abgemacht?" - Im letzten Dezember twitterte Christiane Frohmann das, eine selbstironische Ansage mit einem wahren Kern: Die Digitalverlegerin, die mit ihrem 2012 gegründeten Verlag fast schon zu den Veteraninnen der Szene gehört, hat in den letzten Jahren viel Zeit auf Podien und mit Meta-Interviews verbracht. Sie wird gern gebucht, wenn es darum geht, das ästhetische und soziale Potenzial von E-Books und die verwischenden Grenzen zwischen Verlegen, Schreiben und Lesen zu erklären.
    Das Problem: Bei all dem diskursiven Hype droht die eigene verlegerische Vision schon mal auf der Strecke zu bleiben. Noch immer ist Sichtbarkeit, "Visibility", die größte Herausforderung für die Avantgarde des Medienwandels. Zwar gibt es inzwischen unabhängige Vertriebsplattformen als Alternative zu Amazon oder iTunes, die F.A.Z. wartet seit Frühjahr sogar mit einer monatlichen E-Book-Kolumne auf – doch die Lobbyisten der guten, alten Buchwelt werden nicht müde, die Vorzüge des Papiers gegen das elektronische Lesen in Stellung zu bringen.
    "Da bin ich dann auch teilweise sauer, weil ich ja eigentlich immer versuche zu vermitteln. Und zu sagen: Wir wollen die Verlagskultur insgesamt weiter bewegen. Und E-Books sind ein neuer Teil davon - und kein Gegenüber, was das andere kaputtmachen soll. Sondern es ist eine Erweiterung, wenn wir uns nicht blöd anstellen. Aber es hört einfach nicht auf, dieses 'Papier ist aber schöner' und so weiter... Das ist so, als ob ich jemandem, der Bügeleisen verkauft, immer sage: Ventilatoren sind aber schöner."
    Remixe und Mashups
    In ihre Rolle als Digitalverlegerin ist Frohmann eher per Zufall gestolpert. Ein Praktikum in Ralph Möllers Systhema Verlag weckte das Interesse für Technik, Lektoratsjobs finanzierten ihr Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie an der FU Berlin und der Yale University. Daneben die üblichen 90er-Jahre-Aktivitäten junger Menschen in Berlin: der eigene Club, die eigene Galerie. 2011 stieg Frohmann beim neu gegründeten Verlag eriginals Berlin ein; der Name stand programmatisch für E-Book-Originalausgaben. Einer der ersten Titel war "Anders Lesen", Ruth Klügers Plädoyer fürs elektronische Buch. Mit dem eigenen Verlag setzt Frohmann auf E-Books, die mehr sein wollen als digitale Doppelgänger von Print-Titeln. Ihr Interesse gilt netzkulturellen Phänomenen wie der Twitter-Literatur oder der Kultur des Teilens über Remix und Mashup – letztlich einem neuen Wir-Gefühl im Web.
    "'Kultur im Wandel' wäre so ein Slogan. Also, dass man halt sich nicht darauf beschränkt zu beschreiben, was jetzt gerade ist. Sondern das auch in diesem Gefühl tut, dass man - während man das noch tut - das auch wieder mitprägt und -gestaltet. Das ist so eigentlich die Grundsäule des Verlags."
    Dass es bei all dem um mehr als Pixel statt Druckerschwärze geht, zeigt ein Projekt wie "Tausend Tode schreiben", das Frohmann als Print-Verlegerin nie in den Sinn gekommen wäre: Ein elektronischer Metatext, der in seiner abschließenden Version tatsächlich tausend höchst subjektive Ansichten aufs Sterben versammeln soll. Frohmann möchte zeigen, wie der Tod in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird, welche Realität er hat, wie und was er ist. 425 Autoren zählt die im Frühjahr hochgeladene Version 3.1 – darunter prominente Schriftsteller wie Clemens Setz, aber auch viele nichtprofessionelle Schreiber: Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt waren, nahe Angehörige verloren oder durch ihren Beruf mit dem Tod zu tun haben. Projekte wie "Tausend Tode" haben Frohmanns Gefühl für die gesellschaftliche Relevanz ihrer Arbeit geschärft. Was als lupenreiner Ästhetikverlag begann, öffnet sich heute mehr und mehr auch für politische Interventionen. Jüngstes Beispiel: Die Initiative "An einem Tisch", ausgelöst von der aktuellen Flüchtlingsdebatte.
    "In dieser ersten Aufregung, dass ich das nicht mehr ertrage, was sich da gerade draußen tut im Mittelmeer, und bevor man noch ne konkrete Idee hatte, was man tun kann, hatte ich halt das Gefühl, dass die sachlichen Diskussionen, nach denen immer geschrieen wurde, dass die im Moment gar nicht möglich sind. Weil immer alle gleich 'Nazis!' auf der einen Seite schreien, auf der anderen Seite 'Linkes Pack!'. Und mein Gefühl war halt, dass man so eine Art 'positive Gehirnwäsche' eigentlich jetzt machen müsste. Und positive Bilder über Flüchtlinge produziert, wirklich willkürlich produziert, und zirkulieren lässt. Um diese Horror- und aufgebrachten Bilder zurückzutreiben in gewisser Weise."
    Frohmann lancierte auf Twitter den Hashtag #MeinMigrationshintergrund, auf dem deutschsprachige User die nationale Herkunft ihrer Vorfahren aufzählen konnten. Eine aus der emotionalen Betroffenheit verständliche, vielleicht aber auch allzu naive Geste, für die sie von der aus dem Iran stammenden Kulturwissenschaftlerin Asal Dardan heftig angegriffen wurde. Inzwischen sind Frohmann und Dardan nicht nur befreundet, die beiden Frauen haben gemeinsam die Initiative "An einem Tisch" gestartet: Eine Reihe von Abendessen, die vor Kurzem nach Deutschland gekommene Jugendliche und schon lange hier lebende Autorinnen und Autoren, die Erfahrungen mit Flucht und Exil gemacht haben, zum Gespräch zusammenbringen wird - über Migration, das Ankommen und Leben in Deutschland, über Identität und Heimat.
    "Das soll halt als Blog funktionieren, die Gespräche sollen aufgezeichnet werden. Und wir wollen die Autoren, die daran teilnehmen, dann auch animieren, darüber zu schreiben."
    Digitale Aufbruchsstimmung
    Die Euphorie der Nullerjahre, in denen junge Print-Verlage an den Festen der Buchhandels-Welt rüttelten, ist längst in der digitalen Welt angekommen. Mit der von Frohmann 2014 mitbegründeten "Electric Book Fair" hat die digitale Aufbruchstimmung eine neue Plattform. Doch die Verlegerin denkt bereits weiter:
    "Weil ich halt merkte, dass mir die Beschränkung auf das E-Book-Format - obwohl ich E-Book-Verlegerin bin - jetzt auf dieser Veränderungsachse noch zu klein gedacht ist: Dass ich eigentlich lieber mit all diesen kreativen, Inhalte produzierenden Firmen nicht so auf ein Format reduziert arbeiten möchte. Das ist tatsächlich etwas, was ich bei meinen Kindern eben so stark beobachtet habe: Dass die schon noch die Begriffe benutzen, 'Buch' und 'E-Book' und 'Video' und so weiter. Aber wenn ich die in ihrem Alltagsverhalten sehe: Die switchen. Das fließt total. Die überlegen nicht mehr 'ich lese gerade', 'ich sehe gerade ein Video', 'ich game gerade'. Die spüren diese kategorialen Unterschiede nicht mehr so stark. Und deswegen schien mir das, als ob man da eine alte Grenze transportiert, die vielleicht ohnehin schon fließt. Und wenn man schon diese Prozesse - die guten Prozesse oder interessanten Prozesse - beobachten will, dass man da besser noch'n bisschen weitere Kreise zieht."
    Kommt raus aus euren Filterblasen, scheint die Netzwerkerin Christiane Frohmann ihren Kollegen zuzurufen. Den eigenen Platz und die eigene Stimme hat sie im flüchtigen Raum des Digitalen längst gefunden.