Türkei

Frauenrechtlerin zwischen Ost und West

Hagia Sofia in Istanbul
Halide Edip Adivar lebte und arbeitete ab 1935 wieder in Istanbul. © Marius Becker/dpa
Von Ruth Fühner · 09.01.2014
Die türkische Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Halide Edip Adivar wandte sich gegen die Aufteilung ihrer Heimat nach dem Ersten Weltkrieg und schloss sich der Nationalbewegung an. Nach einem Zerwürfnis mit Atatürk ging sie ins englische Exil. Sie schrieb 21 Romane.
Ihren ersten Erfolg feierte Halide Edip Adivar mit einem Liebesroman. Ihr Herz aber schlug vor allem für den Aufbruch der Türkei. Ihn begleitete sie als Journalistin und Frauenrechtlerin, auf dem Schlachtfeld und im Parlament. Das Foto, auf dem sie als Frontkämpferin mit Kopftuch ihren Hengst am Zügel führt, ging um die Welt. Als "neue türkische Frau" verband sie osmanische Traditionen und westliche Bildung, humanen Patriotismus und islamische Toleranz.
Geboren wurde Halide Edip 1884 in Istanbul, ihre Familie stand dem Hof des Sultans nahe. In ihren Erinnerungen heißt es:
"Der Großvater hat lange Jahre im Palast gedient, doch er ist nicht reich. Das glyzinienumrankte Haus gehört seiner Frau. Ganz sicher hat er aber bei seiner Vermählung ein gewisses ehrlich verdientes Vermögen besessen. Und die um etliche Jahre jüngere Nakiye Hanim hatte eine ordentliche Mitgift in Form von Aussteuer, Dienern und einer beachtlichen Geldsumme mitgebracht. Doch das alles war dieser hübschen blauäugigen Istanbuler Braut mit dem Goldhaar wie nichts zwischen den Fingern zerronnen."
Die Bedienten kommen aus allen Ecken des Osmanischen Reiches, die Großmutter hängt der Sufi-Mystik an, der Vater schickt die Tochter aufs amerikanische Mädchencollege, wo sie Shakespeare lieben lernt und sich von Emile Zolas Ruf nach einer grundlegenden Sozialreform anstecken lässt. Als ausgebildete Lehrerin, eine der ersten berufstätigen Frauen der Türkei, schließt sich Halide Edip den revolutionären Jungtürken an. Sie publiziert über Frauenfragen und moderne Kindererziehung und sie schreibt einen utopischen Roman, den die Islamwissenschaftlerin Erika Glassen so zusammenfasst:
"Das 'Neue Turan' sollte einen osmanisch-türkischen Bundesstaat bilden, in dem alle Ethnien – die Araber, Kurden, Armenier und Griechen – in ihren Provinzen relativ autonom leben könnten, eingebunden in die westliche Zivilisation, aber ebenso attraktiv für die arabischen und iranischen Nachbarn. Und auch die Emanzipation der Frauen ist im 'Neuen Turan' verwirklicht."
Doch zunächst schlägt mit dem Ersten Weltkrieg die letzte Stunde des Osmanischen Reiches. Die Engländer besetzen Istanbul, im Mai 1919 richten griechische Truppen in Izmir ein Massaker unter den Türken an. Halide Edip hält, unerhört für eine türkische Muslima, eine flammende Rede auf dem Istanbuler Sultanahmet-Platz.
"Ich blickte zu den Minaretten hinauf, rief sie als Zeugen unserer großen Vergangenheit an und versprach ihnen, dass die Geschichte unseres Volkes auch in Zukunft einen rühmlichen Verlauf nehmen würde. Ein Satz jener Rede wurde zu einem oft wiederholten Leitspruch: 'Die Völker sind unsere Freunde, die Regierungen unsere Feinde'."
Mit ihrem zweiten Mann schließt sich Halide Edip Adivar der Nationalbewegung unter Kemal Pascha an, begleitet den Unabhängigkeitskampf als Presseoffizierin, Krankenschwester und Waffenschmugglerin. Nach einem Zerwürfnis mit Kemal Pascha, der sich nun Atatürk nennen lässt, geht sie ins Exil. In London schreibt sie ihre Memoiren, in Paris entsteht ihr wohl schönster Roman: "Die Tochter des Schattenspielers". Die Titelheldin ist eine junge Koransängerin, die sich ausgerechnet in einen areligiösen italienischen Pianisten verliebt – jede Menge Anlass für west-östlichen Schlagabtausch:
- "Ich bin der Ansicht, dass sowohl die Zufriedenheit der Massen als auch der müßige Luxus der Reichen den schläfrigen, klagenden, einlullenden Weisen des Orients geschuldet sind. Unsere verrottete Gesellschaftsstruktur, die Erniedrigung unserer Frauen ..."
- "Lass' unsere Frauen aus dem Spiel. Sie haben weit bessere Manieren als die Europäerinnen. Bei den Europäern, Männern wie Frauen, kann ich nichts weiter erkennen als Habsucht, schnöden Materialismus, Scheinheiligkeit und Indiskretion. Es ziemt sich nicht, die Kultur einer islamischen Nation schlechtzureden", sagte der Pascha.
- "Islamische Kultur?", höhnte Hilmi und zitierte: "Ich durchschritt die Lande der Ungläubigen und erblickte Paläste und Burgen. Ich wanderte durch islamisches Gebiet und sah nur Ruinen."
1935, nach Atatürks Tod, kehrte Halide Edip Adivar zurück nach Istanbul. Sie wurde Professorin für englische Literatur, übersetzte Shakespeare, zog für eine Legislaturperiode als Unabhängige ins Parlament ein – und schrieb und schrieb. Als sie am 9. Januar 1964 achtzigjährig in Istanbul starb, waren es 21 Romane. In nicht wenigen spiegelt sich ihr eigenes Lebensthema: Frauen im Spannungsfeld von west-östlichen Ideen und Lebensentwürfen.