Aus den Feuilletons

Tagesthemen mit und ohne Unterleib

Ein Redakteur sitzt im Regieraum der ARD-Tagesschau vor eine Reihe Fernseh- und Computermonitoren.
Ab Sonntag sollen die Tagesthemen-Moderatoren Bein zeigen © picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Von Klaus Pokatzky · 23.10.2015
Besonders beeindruckt hat unseren Autor ein Blindtext in der "Welt"-Vorschau: Lorum ipsum dolor - endlich mal ein Text, über den niemand streiten muss. Ansonsten geht es in den Feuilletons um die hermetische sächsische Kleinstadtkultur und Sinn und Form in den "Tagesthemen".
"Kommentar", steht in der Tageszeitung DIE WELT. "Überschrift zwei Zeilen lang", darunter – und dann der Autor: "Vorname Name". Der Text hat es in sich: "Dummy1 Lorem ipsum dolor sit amet." Und so weiter und so fort. Leider ist dieser Platzhalter für einen noch nicht fertigen Text, den das Layout benötigt, in der gedruckten Ausgabe wohl nicht zu lesen, sondern nur in den Vorlagen, die dem Presseschauer immer früh geliefert werden. "Consectetaur adipisicing elit." Es ist ein Text, über den sich wirklich niemand streiten muss.
Geschwundenes Vertrauen in staatliche Institutionen
"Es ist aus der Geschichte keine Gesellschaft bekannt, die als gespaltene überlebt hätte", lesen wir in der BERLINER ZEITUNG. "Fremdenhass ist kein Ost-Spezifikum", macht Dirk Pilz in Pegida-Zeiten "ein paar Anmerkungen zu einem gespaltenen Land" – nachdem er sich in der sächsischen Kleinstadt Treuen umgesehen hat, in der er aufgewachsen ist:
"Nur im Osten ist dieses Wende-Gefühl zu Hause. Das gab es bereits vor der europäischen Flüchtlingskrise, aber sie steigert es nachhaltig. Es rächt sich, dass die deutsch-deutsche Vereinigung infrastrukturell gut funktioniert hat, aber nicht mental."
Es sind traurige Blicke, die Dirk Pilz in sein altes Heimatstädtchen wirft – so wie die Menschen da in der Kneipe düstere Blicke ins Bierglas werfen und von den "Asylanten" reden, die ihnen die sächsische Heimat wegnehmen:
"Es ist eine hermetische Welt – von innen betrachtet macht sie den unabweisbaren Eindruck, das schon einmal erlebt zu haben. Damals
1989. Wir haben damals gesiegt – wir werden auch diesmal siegen.
Das ist die Logik."
Und logisch ist da auch:
"Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist offenbar fast völlig geschwunden,
die institutionelle Bindung im Osten ohnehin schwach, sowohl zu Parteien wie zu Kirchen, Vereinen oder Verbänden."
Vom Kunstprojekt zur Flüchtlingsunterkunft
Wenn wir uns da aufmuntern wollen, müssen wir aber nicht zum Platzhalter-Kommentar in der WELT greifen mit seinem "Lorem ipsum dolor" – es gibt auch anderes Schönes. "Ein Flüchtlingshaus, in dem Stadttheorie, Kunst, architektonische Praxis und humanitäre Hilfe zusammenwuchsen", präsentiert uns die Tageszeitung TAZ aus Wien. "Über 300 simple Hocker und Stühle haben Architekturstudenten zusammengeschraubt, dazu noch andere, sehr funktionale und hübsche Möbel" – und zwar ursprünglich geplant für ein Kunstprojekt in der österreichischen Hauptstadt. Doch dann kamen die Flüchtlinge in Scharen und das Veranstaltungsgebäude, das dem Staat gehört, wurde ganz plötzlich zur Flüchtlingsunterkunft. Der Wiener hat nicht nur ein großes Herz für die Kunst, der Wiener Künstler kann auch ganz schön kreativ sein und gestaltete einfach das Kunstprojekt zur praktischen Lebenshilfe:
"Ein Kunstkollektiv hat in zwei Räumen 'Pop-up-Spielplätze' eingerichtet – das war eigentlich schon Teil des ursprünglichen Ausstellungskonzeptes", schreibt Robert Misik: "Jetzt tollen hier Flüchtlingskinder herum, die Installation bekommt unverhofft Sinn."
Sinn und Form der "Tagesthemen"
Gedanken über Sinn und Form machen sich auch unsere Fernsehmacher. "'Tagesschau'-Sprecher kriegen Unterleib", verkündet der Berliner TAGESSPIEGEL eine televisionäre Revolution. Jahrzehnte lang – um nicht zu sagen: gefühlte Jahrhunderte – waren die Nachrichtensprecher im Ersten ja nur mit ihrem Oberleib zu sehen. Ab Sonntag werden ihnen Beine gemacht.
"Wenn die Sprecherinnen und Sprecher nach dem Wetterbericht die
Schwerpunkte der 'Tagesthemen' ankündigen, werden sie seitlich am Tisch stehen", sagt im Interview "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke:
"Dann folgt der Abspann und die Präsentatoren sind von Kopf bis Fuß zu sehen."
Der passende Kommentar dazu steht im Dummy-Text der WELT: "Unte af phen neige pheings atoot Prexs eis phat."
Abspann – von Kopf bis Fuß.