Treuhandanstalt und die Folgen

Das ostdeutsche Trauma

07:13 Minuten
Drei Frauen mit Kittelschürzen und Kopftüchern stehen bei der Arbeit an einer Textilmaschine im VEB Kombinat Baumwolle in der DDR, aufgenommen in den 1980er Jahren
12.000 ehemalige DDR-Betriebe wurden in den 1990er-Jahren von der Treuhandanstalt privatisiert. Das Foto zeigt Arbeiterinnen des VEB Kombinat Baumwolle in den 1980er-Jahren. © picture alliance/dpa/Wolfgang Thieme
Marcus Böick im Gespräch mit Axel Rahmlow · 13.05.2019
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Linke und AfD fordern einen Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt. Sie gilt für viele noch heute als Institution, die die Wirtschaft im Osten kaputt gemacht hat. Treuhand-Experte Marcus Böick glaubt nicht an den Nutzen eines solchen Ausschusses.
Axel Rahmlow: Die Treuhand, das ist eine Behörde, die Anfang der 90er-Jahre 12.000 Betriebe der Ostwirtschaft der DDR-Wirtschaft privatisieren sollte, und sie steht heute noch im Ruf, die Ostwirtschaft eher absichtsvoll plattgemacht zu haben.
Für viele Ostdeutsche ist die Treuhand ein Synonym für alles, was nach der Wiedervereinigung schiefgelaufen ist. Das erklärt auch ein Stück weit die Allianz von AfD und Linken. Beide wollen einen Untersuchungsausschuss im Bundestag, denn im Herbst finden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen statt, und dort kämpfen beide Parteien zum Teil um dieselben Wähler.
Wir wollen wissen, was dran ist, ob es diesen Ausschuss denn wirklich bräuchte. Dafür sprechen wir mit Marcus Böick, er hat die Geschichte der Treuhand studiert, er forscht im Bereich Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Herr Böick, ein "Treuhandtrauma", davon spricht der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag Dietmar Bartsch. Gibt es das?
Böick: Ein Treuhandtrauma, das ist vielleicht ein sehr starker Begriff. Was wir sagen können ist, dass die Treuhandanstalt auf jeden Fall in der ostdeutschen Erinnerungskultur, vor allem unter älteren Ostdeutschen, die damals quasi aktiv im Berufsleben standen, doch eine sehr, sehr wichtige Rolle spielt als ein negatives Symbol für Entwicklungen, für negative Entwicklungen, die man damals so wahrgenommen hat.
Also das heißt noch nicht, dass sie das auch wirklich war oder dass ihr Handeln dementsprechend war, aber sie ist ein Stück weit ein negativer Gründungsmythos für diese Generation von ostdeutschen Bewohnern, und das sehen wir bis heute sehr, sehr stark.

"Man muss differenzieren"

Rahmlow: Und ist sie das denn zu Recht? Es sind ja Tausende von Arbeitsplätzen verlorengegangen durch die Privatisierung der Treuhand?
Böick: Also, hier wird man wirklich sehr sorgfältig differenzieren müssen. Was wir festhalten können ist, dass die Treuhandanstalt natürlich unter ganz spezifischen Bedingungen arbeiten musste. Sie musste quasi unter den Bedingungen der Wirtschafts- und Währungsunion also eine Art Schocktherapie arbeiten.
Sie hatte natürlich Betriebe, die nach 40 Jahren Planwirtschaft in einem sehr, sehr maroden Zustand zum Teil waren, zu verwalten. Die Ausgangsbedingungen waren schon sehr schwierig. Es gab kaum Informationen über diese Betriebe, man hatte keine Blaupause, man hatte keine Pläne vorbereitet, und dann hat die Treuhandanstalt, vor allem ihr dann westdeutsches Führungspersonal, Rohwedder, später Birgit Breuel, dann sehr massiv auf schnelle Privatisierung und Abwicklung gesetzt, um diesen Prozess so schnell wie möglich in Gang zu setzen.
Und diese Geschwindigkeit hat natürlich viele Ostdeutsche, viele Betroffene ein Stück weit überfordert und dann auch den Grundstein gelegt für diese negativen Betrachtungen.

Abgewickelt von anonymen westdeutschen Managern

Rahmlow: Die Geschwindigkeit ist das eine. Sie haben auch gerade schon erwähnt, dass vor allem viele Menschen aus den alten Bundesländern dann nach Ostdeutschland gegangen sind. Inwieweit hat das dazu beigetragen, dass die Treuhand und auch das Verhältnis zu den Westdeutschen so lange und zum Teil ja auch immer noch so gestört ist in Ostdeutschland?
Böick: Das ist sicherlich ein wichtiger Baustein, wenn man verstehen möchte, warum die Treuhandanstalt so ein negatives Symbol geworden ist oder besonders in dieser Gruppe. Also, gerade dieses Gefühl, von westdeutschen anonymen Managern abgewickelt worden zu sein, die dann im Anzug und im Mercedes dort vermeintlicherweise irgendwelche fernen Entscheidungen getroffen haben, das hat natürlich damals auch diese Zeitstimmung, die dann aufkam, also die sich verstärkenden Stereotypen zwischen Ost und West – der Besserwessi, der Jammerossi entsteht da in dieser Zeit –, weiter befeuert. Diese Wahrnehmung der Treuhandanstalt als negatives Symbol.
Rahmlow: Wird dieses Image denn bleiben? Ich meine, das ist ja jetzt 25 Jahre her.
Böick: Das ist natürlich eine sehr spannende Frage, ob dieses Image bleibt. Es ist sehr markant in diesen älteren Gruppen, also da löst die Treuhandanstalt sehr, sehr heftige Emotionen und Reaktionen aus, alleine der Name. Bei Jüngeren sieht es schon wieder anders aus.
Wir haben eine Untersuchung gemacht vor einigen Jahren, und da kam heraus, dass unter den älteren Ostdeutschen über 40 fast jeder die Treuhandanstalt kennt. Über 95 Prozent können mit diesem konkreten Begriff was anfangen. Fragen Sie jüngere Ost- oder Westdeutsche, da erreichen Sie Werte von 20, 25 Prozent. Also da ist die Treuhandanstalt weitgehend unbekannt.
Also, da scheint sich schon auch zwischen den Generationen etwas zu verändern, und die Frage ist natürlich spannend, wie sich das auch in Zukunft weiterentwickeln wird, aber bei diesen älteren Generationen bin ich skeptisch, ob sich das noch mal gravierend ändern wird.

AfD und Linke - das ist gar nicht so überraschend

Rahmlow: Könnte denn ein Untersuchungsausschuss, wie ihn AfD und Linke ihn anstreben, daran etwas ändern? Gibt es da etwas zu untersuchen?
Böick: Da wäre ich eher skeptisch, weil wir können uns ja auch anschauen, wie die früheren Untersuchungsgremien zur Treuhandanstalt gearbeitet haben, und da sehen wir eher eine starke Polarisierung und Politisierung. Also zu befürchten wäre natürlich eher, dass die jeweiligen Lager hier an ihren spezifischen Erzählungen weiterarbeiten und dann natürlich Belege hierfür suchen, und dann stehen im Prinzip die zwei Extrempole sich gegenüber, also auf der einen Seite die Verteidiger der Erfolgsgeschichte der Treuhandanstalt, auf der anderen Seite aber dann vor allem die Kritiker, die dann auf Skandale, vermeintliche Verbrechen, Kriminalfälle verweisen.
Solche Untersuchungsgremien, gerade im Kontext von Landtagswahlen – Sie haben sie erwähnt – taugen, glaube ich, eher dazu, diese extremen Positionen stärker zu machen und helfen, glaube ich, wenig, wenn es um eine differenzierte Analyse und Betrachtung geht. Ich denke, das ist es eher, was wir heute nach fast 30 Jahren bräuchten in diesem Fall.
Rahmlow: Wie bewerten Sie dann diesen Vorstoß von Linke und AfD, diesen Untersuchungsausschuss zu fordern? Es ist ja schon interessant, dass diese beiden Parteien da eine gemeinsame Linie fahren.
Böick: Das ist durchaus interessant, und eigentlich, wenn man sich die langen Linien anschaut, nicht so überraschend. Die Linke, die damalige PDS, für die war der Protest gegen die Treuhandanstalt immer schon sehr, sehr wichtig gewesen. Gerade ab 1990, '91 Gregor Gysi und seine Kollegen haben ja ganz massiv auch die Treuhandpolitik kritisiert, Demonstrationen veranstaltet, Protestaktionen veranstaltet. Also, für die Linke war die Treuhandanstalt immer schon eine Art Überlebensthema gewesen.
In den letzten Jahren haben wir auch andere Parteien – die SPD und Grüne versuchen, das Thema ein Stück weit sich anzueignen, und jetzt, haben Sie völlig recht, jetzt ist natürlich die Initiative der AfD sehr interessant, weil es das Feld ein Stück weit aufmischt.
Die AfD hat in Sachsen oder in den Ländern schon länger dieses Thema ein Stück weit auf der Tagesordnung gehabt, jetzt allerdings prominent auch auf Bundesebene in den Mittelpunkt gerückt, und das bringt natürlich die alten Konstellationen etwas durcheinander.
Linke und AfD konkurrieren jetzt ja ein Stück weit um dieses stark emotional aufgeladene Thema in Ostdeutschland, während die SPD und Grüne wiederum sich zurückgezogen haben. Also es ist ganz interessant, wie dieses Thema immer wieder neu entdeckt wird, immer wieder neu quasi auch geschichtspolitisch versucht wird zu instrumentalisieren, und das macht die Sache natürlich reizvoll, aber in diesem Falle ist es natürlich auch eine Entwicklung, die eher nicht dazu beiträgt, dass wir hier einen Dialog haben oder neue Perspektiven auf den Gegenstand entwickeln können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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