Trend der Popmusik-Bücher

Music sells – warum eigentlich?

09:21 Minuten
Bruce Springsteen wird beim Gitarrespielen von Patti Smith umarmt.
Zuerst schrieben sie Rock-Geschichte, dann ihre Memoiren: Bruce Springsteen und Patti Smith. © Getty Images/Theo Wargo
Von Olga Hochweis · 13.11.2019
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Während die Popmusik immer mehr auf digitalen Wegen ihre Hörer findet, erscheinen immer mehr Bücher über sie. Neben Autobiografien von Künstlern und Künstlerinnen werden auch Abhandlungen und Liebeserklärungen an Musikschaffende gedruckt.
Pop-Musik ist die emotionalste aller Kunstformen. Ihre Wirkung zielt direkt auf Kopf und Bauch und Beine, erreicht unmittelbar oft schon innerhalb weniger Sekunden durch Klang und Rhythmus. Ein dermaßen körperliches Phänomen in Worte zu fassen, ist schwierig. Manche behaupten gar, es sei schlichtweg unmöglich, angemessen über Pop zu schreiben. Und doch geschieht es derzeit auffällig häufig – vor allem über die lange Strecke im Buchformat.
Zunehmend mehr Verlage entdecken die Pop-Musik als wachsendes Segment innerhalb des (ohnehin aufstrebenden) Sachbuch-Markts. Immer mehr Bücher rund um den Pop erscheinen in diesen Tagen und Wochen. Dabei reicht das Spektrum von ganz unterschiedlichen Autobiographien (Elton John, Debbie Harry, Prince, Tricky, Inga Humpe, Marianne Dissard) bis zu persönlichen philosophischen oder gesellschaftspolitischen Abhandlungen über Pop-Musik (Peter Trawny, "Kamikaze Musik" oder Jens Balzers "Das Entfesselte Jahrzehnt", schon im Sommer erschienen).

Musik wird digital, im Buch analog

Kein Zufall, dass der Verlag Kiepenheuer & Witsch Mitte Oktober gleich eine "Kiwi-Musikbibliothek" eröffnet hat mit geplanten vier bis sechs Publikationen pro Jahr. In dieser Reihe beschreiben Autorinnen und Autoren auf maximal 100 Seiten sehr anschaulich, sehr lebendig ihre persönliche Faszination für Idole wie Nick Cave (Autor: Tino Hanekamp) oder die Toten Hosen (Autor: Thees Uhlmann). Im kommenden Frühjahr erscheinen in dieser Reihe unter anderem Texte von der Schriftstellerin Helene Hegemann über Patti Smith, vom bildenden Künstler Jonathan Meese über DAF und von Lady Bitch Ray über Madonna.
Es scheint erstmal paradox: In Zeiten wachsender digitaler Musik-Verbreitung und -Rezeption scheint das gute alte Buch nicht unbedingt das naheliegende Medium für die Beschäftigung mit Pop. Immer weniger Menschen besitzen Musik auf physischen Tonträgern. Der CD- und Vinyl-Verkauf geht zurück zugunsten von Streaming-Diensten. Auch das journalistische Nachdenken über Musik findet im Netz statt, mehrere Musikmagazine wie Intro oder die Spex haben ihr physisches Erscheinen eingestellt. Fanzines sterben aus.

Sehnsucht nach Persönlichkeit und Individualität

Vor diesem Hintergrund haben sich auch die Vermarktungsstrategien von Musik verändert. Neben den immer wichtiger gewordenen Live-Erlebnissen bei Konzerten scheint auch das Buch neue Horizonte zu eröffnen – sowie neue Zielgruppen. Der haptische und emotionale Reiz eines Buchs über die Lieblingsstars von früher verlockt zunehmend – sie bleiben so was wie "Influencer analoger Zeiten": Persönlichkeiten, auf die sich viele einigen können wie zum Beispiel Patti Smith oder Bruce Springsteen (ihre preisgekrönten Autobiographien aus den Jahren 2010 beziehungsweise 2016 haben inhaltlich wie formal Maßstäbe gesetzt). Der Hype um Pop-Bücher (hier die halbsteile These) drückt vor allem die Sehnsucht aus nach Persönlichkeit und Individualität in Zeiten von Beliebigkeit und Überflutung mit musikalischer Massenware im Netz.
Der Pop ist nicht nur ins Rentenalter gekommen, er hat auch Museumsreife erlangt. Der Graben zwischen vermeintlicher "Hochkultur" und Pop ist überwunden. Großen Pop-Meistern (Bowie oder Kraftwerk) werden Ausstellungen in bedeutenden Museen der Welt gewidmet. Mit ihnen sind auch die Fans in die Jahre gekommen. Wer mit Musik von Prince sozialisiert wurde, findet in dem jetzt drei Jahre nach seinem Tod erschienen Memoir "The Beautiful Ones" mit Faksimiles seiner handschriftlichen autobiographischen Texte eine beglückende Schatzkiste. Blondie-Fans werden in Debbie Harrys Buch "Face it" mit seinen vielen offenherzigen Anekdoten auch nicht enttäuscht.
Beide Bücher bieten (im Unterschied zu den genannten Texten aus der KiWi-Musikbibliothek) zudem noch ein doppeltes Plus: Sie erzählen aus erster Hand und sie versammeln teilweise unveröffentlichtes visuelles Material, Fotos, Zeichnungen, Comics etc. Das verströmt einen ähnlich starken sinnlichen Reiz wie ein toll gemachtes Plattencover oder das Lesen im Booklet. Nur Plattenhören ist besser.
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