TRE gegen Angst und Stress

Körperübungen für traumatisierte Menschen

Eine Frau fasst sich mit geschlossenen Augen an die Nase.
TRE-Übende sind nach kurzer Zeit schon weniger müde und erschöpft, hat die Psychologin Hildegard Nibel nachgewiesen. © imago stock&people
Von Karoline Knappe · 27.09.2018
Können Körperübungen traumatisierten Menschen helfen? Eine dieser Methoden heißt TRE: Tension and Trauma Releasing Exercises. Die Übungen lösen ein sogenanntes autonomes Zittern aus und haben das Ziel, Angst und Anspannung loszuwerden.
An einem Montagabend eines spätsommerlich warmen Tages haben sich zehn Menschen in einem kühlen Raum zusammengefunden, auf dessen Boden Isomatten, Kissen und Decken ausgebreitet sind. Jeder nimmt sich eine Matte und sucht sich einen Platz im Raum.
Die Teilnehmenden sind der Einladung von Tobias Emmert gefolgt. Er ist ein sogenannter TRE-Provider, also in der Methode von David Berceli ausgebildet. Er erklärt die Grundidee von TRE:
"Es ist eben so, dass wir einen Muskel haben, in der Körpermitte, das ist der sogenannte Psoas-Muskel, der geht von den Oberschenkelknochen durch die Hüfte an die untere Wirbelsäule und der zieht sich immer bei Angst zusammen."

Mit der fötalen Haltung gegen die Bedrohung

Ein Mensch, der Angst hat und der in der bedrohlichen Situation weder fliehen noch gegen die Bedrohung ankämpfen kann, nimmt automatisch eine den Körper schützende, fötale Haltung ein. Doch dabei entsteht im Körper eine Anspannung, sagt Emmert:
"Der Körper hat eigentlich den Impuls, durch so eine Art von Vibrieren, Schütteln das wieder zu lösen und diese Energie auch zu lösen, diese Aktivierungsenergie. Man kann das ganz schön im Tierreich beobachten, also jedes Säugetier hat diese Eigenschaft, das zu können, und Tiere in der Wildnis machen das auch."
Um dieses autonome, sogenannte neurogene Zittern hervorzurufen, hat der Begründer von TRE, David Berceli eine Reihe vorbereitender Übungen entwickelt, die dem Yoga und dem Tai Chi entlehnt sind, und die Tobias Emmert erklärt:
"Wir stellen uns hüft- bis schulterbreit hin, haben weiche Knie und sind so ein bisschen mit der Hüfte weich, genau, so ein bisschen in die Hüfte reingehen, und die Idee ist jetzt, dass wir mit den Füßen diese Bewegung machen, ich mach's einmal vor, ihr schaut zu und dann machen wir's gemeinsam!"
Mit den Füßen stehen die Teilnehmer abwechselnd auf je einer Fußinnen- und -außenkante. Das aktiviert die Muskulatur in den Füßen. Dann werden nacheinander die Waden beansprucht, die Hüfte, Rücken und Flanken gedehnt.
"Und die Knie und die Hüfte zeigen weiter nach vorne. Genau, versuch wirklich die Hüfte noch ein bisschen. Genau!"
Nach der letzten Dehnungsübung suchen sich die Teilnehmer einen Platz an der Wand, gegen die sie sich setzen. So wird die Oberschenkelmuskulatur beansprucht.
"Und es kann sein, dass dann so ein Vibrieren ist oder ein Zittern oder ein Belastungszittern – und das so ein bisschen kennen lernen und Stück für Stück nach oben gehen. Und je weniger ihr eigentlich an der Wand sitzt und je mehr ihr steht, desto intensiver kann das Zittern sich ausdrücken. Wichtig zu wissen für euch: Wenn ihr aufsteht, hört das sofort wieder auf", sagt Tobias Emmert.

Beim kleinsten Unwohlsein später weitermachen

"Ganz wichtig wäre, den Menschen, die sich für TRE interessieren zu sagen, dass, wenn sie auch nur das kleinste Unwohlsein spüren, dass sie damit aufhören und später weitermachen", meint Hildegard Nibel. Sie gehört zu den ersten Psychologen im deutschsprachigen Raum, die TRE untersucht hat.
Eine im Forum of Psychiatry and Psychotherapy veröffentlichte Studie mit ukrainischen Soldaten belegt, dass nach einem halben Jahr im Schnitt zwei bis drei gesundheitliche Beschwerden weniger auftraten als zu Beginn der Anwendungen. Vor allem Fuß-, Knie und Rückenschmerzen besserten sich und Verdauungs- und Schlafprobleme gingen zurück.
"Weil es wirklich auch in relativ kurzer Zeit Menschen aus so einem Gefühl von Freezing, sich gelähmt fühlen, wieder in Kontakt bringen kann mit ihrem Körper und auch mit all ihren Ressourcen und positiven Gefühlen. Aber dass immer das Risiko besteht, dass man abdriftet."
Mit dem Abdriften meint Hildegard Nibel, dass das Zittern auch alte bedrohliche Gefühle wachrufen und Menschen so zurück in eine frühere Ohnmacht und Hilflosigkeit katapultieren kann.
Emmert: "Ist das für dich neu, im Stehen diese Übung, oder hast du das schon mal gemacht?"
Teilnehmende: "Einmal."
Emmert: "Ok. Aber du merkst schon, der Körper ist schon aktiviert."
Teilnehmende: "Ja, je höher ich gehe, desto..."
Emmert: "Hm. Genau."

Unterschiede beim Zittern

Bei einigen Teilnehmern zeigt sich ein leichtes Vibrieren in den Beinen. Anderen schlackern förmlich die Knie und der ganze Körper wippt mit. Und manche zittern überhaupt nicht. Auf das Zittern im Stehen folgt schließlich das Zittern im Liegen.
"Wir legen uns auf den Rücken und bringen unsere Beine in eine Schmetterlingsposition, das heißt Fußsohlen zusammen, Knie nach außen und sehen, dass wir so ein schönes Karo haben in unseren Beinen, so, das ist die erste Position eigentlich und atmen hier eine Minute und beobachten, wie unsere Knie nach außen Richtung Boden fallen und unsere Hüfte sich so ein bisschen öffnet. Und dann gehen wir in Stufen mit den Knien Richtung Decke. Und in diesen Stufen wird uns das Zittern wieder begegnen.
Und wenn das Zittern so aktiviert ist, dass Ihr das Gefühl habt, ja, das läuft, könnt Ihr die Füße hüftbreit auf den Boden stellen und so weiter zittern", erklärt Tobias Emmert der Gruppe.
"Wir verstehen viel zu wenig noch im Moment, was diese TRE-Übungen auslösen", sagt Hildegard Nibel. In Stresssituationen reagieren Menschen entweder aktiv mit Kampf oder Flucht oder passiv – mit Schockstarre: "Vermutlich, das ist so die Hypothese, die auch die ersten Daten nahelegen, dass Leute, die in so einer aktiven Bewältigung sind, dass die in so einen Bonding-Zustand zurückkommen, und dass Leute, die in einer passiven Bewältigungssituation sind, erstmal zurück in eine aktive Bewältigung kommen und später in das Bonding."
Unter Bonding versteht sie einen Zustand, in dem sich Menschen sicher gehalten und geborgen fühlen.

Hilfe gegen Erschöpfung und Müdigkeit

In ihren Studien konnte sie zumindest nachweisen, dass sich TRE-Übende nach kurzer Zeit schon weniger müde und erschöpft fühlen. Sie sind ruhiger, schlafen besser und leiden weniger unter chronischen Schmerzen und Verdauungsbeschwerden.
In Tobias Emmerts Gruppe haben die Teilnehmer das Zittern in den vergangenen 20 Minuten auf verschiedene Weise und in verschiedenen Positionen erfahren. Abschließend erzählen sie von ihren Empfindungen:
"Es hat gestartet und das Zittern hat ganz viel Aufregung in mir im Körper ausgelöst. Und dann bin ich von dieser Aufregung wieder zurück zur Ruhe gekommen, bei der Integrationsphase."
"Dieses Zulassen können, dass das mein Körper für mich macht, dass das eigentlich mein Gefährte ist, der ständig repariert und macht und so – und das hat für mich ein totales Vertrauen oder Ur-Vertrauen wieder zu meinem Körper gebracht, das TRE."
Ob TRE damit tatsächlich auch schwer Traumatisierten helfen kann, ist noch unklar. Doch bisherige Erfahrungen lassen hoffen.
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