Traumhafte Renditen für Zeitungsverlage

Frank Lobigs im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 21.05.2013
Vielleicht könnten Journalisten nicht mehr vom Journalismus reich werden, "aber die Verleger durchaus immer noch", sagte der Medienökonom Frank Lobigs von der TU Dortmund.
Stephan Karkowsky: Fragen Sie mal einen Journalisten um die 50 nach dem Zustand des Qualitätsjournalismus in Deutschland! Der wird sogleich sein Beerdigungsgesicht aufsetzen, die journalistische Qualität nämlich sinkt in der Eigenwahrnehmung vieler Profis, und das schon lange. Verantwortlich machen Redakteure und Reporter dafür gewöhnlich die sinkende Bereitschaft von Verlagen, Fernsehsendern und Rundfunkanstalten, aufwendige Recherchen auch zu bezahlen. Geld verdienen Verleger zum Beispiel leichter und schneller im Boulevard, im Zweifel verdrängt das bildstarke und auflagenträchtige Promi-Thema seine teure Schwester, die zwar gesellschaftlich relevante, aber auch schwer konsumierbare Reportage.

Außerdem haben wir Wirtschaftskrise und die diktiert einen rigiden Sparkurs. Journalisten müssen heute sehr viel mehr fachfremde Aufgaben als früher übernehmen, Redaktionen werden zusammengelegt, der Output pro Mitarbeiter wird erhöht. Umso erstaunlicher, dass nun ein Dortmunder Journalistikprofessor eine ganz andere Diagnose stellt! Frank Lobigs untersucht die ökonomischen Grundlagen des Journalismus und sieht in seiner neuesten Studie keine Qualitätserosion um deutschen Journalismus. Herr Lobigs, guten Tag!

Frank Lobigs: Guten Tag, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Was war denn genau das Ziel Ihrer Studie? Wollten Sie das allgemeine Klagen der Kollegen endlich mal zum Schweigen bringen?

Lobigs: Keineswegs, ich habe auch Verständnis für das Klagen. Wir kommen ja gleich noch darauf, das zu differenzieren. Aber das Ziel war einfach, zu schauen im Auftrag von Wissenschaftsakademien, wie wird sich der Journalismus, der Qualitätsjournalismus in der Zukunft finanzieren. Und da schaut man natürlich erst mal hin, was ist in letzter Zeit passiert. Sie haben den Strukturwandel angesprochen, der ist im vollen Gange und viele machen sich Sorgen darum, jetzt, wo einige Zeitungen tatsächlich geschlossen haben, beziehungsweise eigentlich die "FTD", die "Frankfurter Rundschau" gibt es ja noch, da machen sich einige Sorgen. Und die Aufgabe war zu schauen, wie wird sich das weiterentwickeln, wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern und müssen wir uns da akute Sorgen machen um den Qualitätsjournalismus in Deutschland?

Karkowsky: War Ihre Kernfrage damit, ob Qualitätsjournalismus in Deutschland heute noch ein lohnendes Geschäftsmodell ist?

Lobigs: Das war ein Aspekt natürlich. Also, dass man mal hinschaut, wie schlimm sieht es denn aus. Das ist natürlich ein Aspekt, wenn man auch in die Zukunft schauen will. Und wenn man da heute hinschaut, dann können vielleicht nicht die Journalisten vom Journalismus reich werden, aber die Verleger durchaus immer noch. Und ich möchte nur mal ein paar Zahlen nennen: Die "Zeit" hat 2012 ihr Rekordjahr gehabt, so gut haben die noch nie verdient, die Rendite ist gut zweistellig, "sehr kommod" nennt das der Geschäftsführer. Der "Spiegel"-Verlag bedauerte, dass er nur 15 Prozent statt wie im Vorjahr 20 Prozent Umsatzrendite gemacht hat.

Das sind enorme Zahlen. Da wird eine Krise draus gemacht. "Braunschweiger Zeitung" liegt bekanntlich bei 20 Prozent Rendite, eine ganz normale Regionalzeitung. Das sind Renditen, da können andere Unternehmen nur von träumen! Wenn Sie normale Großunternehmen nehmen, dann haben die eine Durchschnittsrendite von vier Prozent. Die Verlage liegen beim Dreifachen oder Vierfachen davon.

Karkowsky: Aber das ist ja ungewöhnlich, dass Sie als Journalistikprofessor aus Unternehmerperspektive fragen. Journalisten wollen doch eher wissen, ob die Qualität von Journalismus insgesamt abnimmt, oder noch zugespitzter, ob die Möglichkeiten, große Geschichten zu recherchieren, kleiner werden.

Lobigs: Richtig, das ist ein anderer Aspekt. Ich habe jetzt einfach nur auf die Rendite geschaut, ob man mit Journalismus weiterhin Geld verdienen kann im Moment und in Zukunft, in naher Zukunft auch. Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist die Qualität. Und wenn man auf die Qualität schaut, da wird dann sehr viel beklagt, dass die Qualität irgendwie abgenommen habe. Wir haben aber keine Studien, die das bislang belegen, dass die Qualität abgenommen hat. Was wir allerdings beobachten, ist, dass Redaktionen zusammengelegt werden, und das stößt natürlich vielen Journalisten übel auf. Das ist auch übel, denn hier werden Journalisten entlassen und entsprechend ist das beklagenswert. Und im Vergleich mit den ganz, ganz goldenen Jahren ist auch weniger Geld für Recherchen zur Verfügung.

Nur, die Verleger reagieren ja gerade damit, dass sie Redaktionen zusammenlegen, entweder weil sie getrennte Redaktionen, die sie schon immer im Haus hatten wie bei der WAZ, dann zusammengelegt haben. Die Ruhrgebietszeitungen der WAZ hatten früher ganz getrennte Redaktionen, jetzt ist das nur noch eine große mit kleinen Außenredaktionen sozusagen. Und dadurch hat man eine größere Redaktion, eine größere Redaktion geschaffen aus vier kleineren. Und ich würde mal behaupten, dass eine größere Redaktion bessere Qualität liefert als vier kleinere vorher.

Und da ist der Punkt, wo ich auf etwas hinweise, was andere einfach gerne übersehen: Diese Konsolidierung, dass man sich zusammenschließt, hat zur Folge, dass man einfach mehr Produkte mit weniger Ressourcen produzieren kann. Das heißt aber nicht, dass die Qualität schlechter wird. Das ist bedauerlich und das ist bedrohlich auch mit Blick auf die Vielfalt, aber für die Qualität hat das erst mal nichts zu sagen. Und wenn man daran glaubt, dass mehr Redakteure höhere Qualität produzieren könnten, dann spricht das eher dafür, dass die Qualität gewachsen ist.

Karkowsky: Sie hören den Dortmunder Journalistikprofessor Frank Lobigs. Herr Lobigs, der Eindruck, dass der Qualitätsjournalismus in Deutschland in der Krise ist, kommt ja daher, dass die "Frankfurter Rundschau" in der Krise ist, dass die "Financial Times Deutschland" eingestellt wurde, dass die Nachrichtenagentur dapd pleite gegangen ist. Da kam die Frage auf, wie kann das sein, dass überregional bekannte Medien mit so hoher Qualität offenbar nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können? – War das denn ein Fehleindruck?

Lobigs: Die Öffentlichkeit wird immer sehr stark beeindruckt durch Fallbeispiele. Hier haben wir jetzt mal drei Fallbeispiele, oder vier haben Sie genannt von geschlossenen Redaktionen oder Zeitungen. Aber wenn man da genau hinschaut, dann haben die immer auch eine besondere Geschichte. Die dapd, nehmen wir die zum Beispiel: Sie haben die jetzt als Hort des Qualitätsjournalismus beschrieben. Was die betrieben haben, ist ein Billigjournalismusmodell gegen die dpa. Die dpa als klassischer Qualitätsanbieter wurde angegriffen durch Dumpingpreise von einem Anbieter, der durchaus einfach nur einen lukrativen Markt gesehen hat und den bedienen wollte. Aber das war nicht unbedingt Qualitätsjournalismus. Also, da muss man dann halt genau hinschauen.

Bei der "FTD" stellte sich schon zur Gründung die Frage, ob man eine Zeitung, die sich so konkret an das Publikum des "Handelsblatts" wendet, einfach neben den Platzhirschen so platzieren kann. Da hat man zur Jahrtausendwende aus konjunkturellen Gründen gedacht, das klappt – hat nicht geklappt. Hätte genauso gut ohne strukturelle Krise so ausgehen können, das ist auch ein spezieller Fall. "Frankfurter Rundschau" hat man schon lange beklagt, dass sie publizistisch nicht mehr sich am Rezipienten orientieren, dass die linkskonservative Politik betreiben, wo sie keine Leser für gefunden haben. Und das war auch etwas, was man mindestens berücksichtigen muss. Also deswegen, Beispiele ziehen immer und sie sind auch immer besonders anschaulich, aber gerade in dem Fall würde ich sagen, sie sind jetzt noch nicht der Beweis dafür, dass wir jetzt schon – denn es gibt strukturelle Entwicklungen, die negativ sind und die auch bedenklich sind –, aber wir sind jetzt noch nicht in einer Krise.

Karkowsky: Dann frage ich mal umgekehrt: Anhand Ihrer Zahlen, was sagen denn die Profite, die Sie genannt haben, bei den nationalen Zeitungsverlagen darüber aus, wie die erwirtschaftet worden sind? Ob zum Beispiel man aufgrund der Profite auf die Qualität des Produktes schließen kann?

Lobigs: Nun gut, ich würde jetzt sagen, der "Spiegel", der traditionell eine sehr hohe Rendite hat, ist jetzt nicht unbedingt ein Heftchen oder so, sondern das ist ja ein ausgezeichnetes Produkt, genauso die "Zeit". Ich meine, die "Zeit" wird immer gelobt, es gibt kein Produkt, das mehr gelobt wird im Moment im Qualitätsjournalismus, und sie hat ein Rekordjahr gehabt.

Karkowsky: Aber ist es denn bei diesen Verlagen auch wirklich der Qualitätsjournalismus, der die Gewinne abwirft? Oder sind es da nicht ganz andere Sachen vielleicht?

Lobigs: Ja, bei der "Zeit" ist das hauptsächlich noch das Kernprodukt des Journalismus. Sie haben natürlich so Nebenprodukte, sie machen Veranstaltungen, die verkaufen auch Wein und so weiter, aber das sind absolute Nebenprodukte, im Umsatz spielen die keine große Rolle. Das muss man auch bedenken. Auch beim "Spiegel", die hauptsächlichen Profite werden natürlich noch beim Printprodukt gemacht. Und das Printprodukt ist immer noch das publizistische Flaggschiff.

Karkowsky: Aber Sie schauen in Ihrer Studie natürlich nicht nur auf die Gegenwart, sondern Sie schauen auch in die Zukunft. Und da ist Ihre Prognose nicht mehr ganz so gut. Was sagen Sie, was die Zukunft angeht, wird alles so bleiben, wie es ist?

Lobigs: Nein, es wird nicht so bleiben, wie es ist. Die Frage ist, wie lange haben die Verlage noch Zeit, diese noch gute Marktposition zu nutzen, um zu investieren in Geschäftsmodelle im Internet. Und da ist die große, spannende und die große Schicksalsfrage des Journalismus und auch des Qualitätsjournalismus: Werden die Verlage ein Modell finden, das es ihnen erlaubt, auch im Internet eine ähnlich gute Position zu haben? Wenn sie das nicht auf Dauer bekommen, wenn sie nicht Paid Content einführen können, das heißt, für ihre Produkte, für ihre Inhalte Geld auch vom Nutzer nehmen können, dann gibt es im Internet ein großes Problem.

Denn im Internet gibt es im Vergleich zum Printmarkt das sehr, sehr große Problem, dass die Werbung eigentlich nichts bringt. Sie bringt im Grunde genommen lousy pennies, wie das Hubert Burda richtig ausgedrückt hat, das wird immer schlimmer. Also, ein Nutzer im Internet ist vielleicht allenfalls ein Zehntel von dem wert, was ein Leser für die Zeitung wert ist. Und das ist extrem und das nimmt auch weiter ab. Die Zeitungen haben aber ursprünglich im Internet auf die Werbevermarktung gesetzt, da haben sie sich getäuscht und vertan. Sie müssen jetzt gucken, wie sie Zahlmodelle im Internet einführen und ihre Gewinne, die sie noch im Printmarkt generieren, dafür einsetzen können, hier etwas Nachhaltiges aufzubauen.

Ob sie das tun, ist im Moment unklar. Aber es ist auch noch nicht gegessen. Also, die Messe ist noch nicht gesungen. Noch haben sie eine Chance und sie haben im Moment eine Lage, wo sie mit Konsolidierungen, Kostenkonsolidierungen, die aber nicht unbedingt Kostenreduzierungen darstellen für einzelne Redaktionen, sondern die Zusammenführung von Redaktionen darstellen, sie haben eben noch diese Chance, hier zu investieren im Internet und sich da was einfallen zu lassen. Aber das wird langsam Zeit, denn die Auflagen im Printmarkt nehmen natürlich kontinuierlich ab.

Karkowsky: Wie steht es um den Qualitätsjournalismus in Deutschland, wie lässt er sich künftig finanzieren? Darüber sprachen wir mit dem Dortmunder Medienökonom und Journalistikprofessor Frank Lobigs. Herr Lobigs, besten Dank!

Lobigs: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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