Freitag, 19. April 2024

Archiv

Auswertung von Kommunikationsdaten
"Juristisch und datenschutzrechtlich ist das ein Riesenproblem"

Wer kommuniziert am besten, wer ist am fleißigsten in der Firma? In der Auswertung von Kommunikationsdaten in Betrieben stecke ein immenses Kontrollpotenzial, sagte der Jurist Peter Wedde im Dlf. Das schärfere Datenschutzrecht, das ab dem 25. Mai gelte, stelle Firmen dabei vor ein Riesenproblem.

Peter Wedde im Gespräch mit Michael Böddeker | 09.04.2018
    Großraumbüro
    Hintergrund-Software, die bei allen Funktionen in Unternehmen mitläuft, komme teilweise einer Totalkontrolle gleich, die aber meist relativ zweckfrei ablaufe, erklärt der Jurist Peter Wedde im Interview. (dpa)
    Michael Böddeker: Es klingt wie eine düstere Science-Fiction-Geschichte: Die Kommunikationsdaten von Menschen werden komplett überwacht und ausgewertet, und anhand dieser Daten bemisst sich der Wert dieser Person für die Gesellschaft oder auch für den Arbeitgeber. Allerdings, so weit von der Realität ist dieses Szenario möglicherweise gar nicht mehr entfernt - das befürchten zumindest Experten in einer neuen Veröffentlichung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Einer der Autoren ist Juraprofessor Peter Wedde von der Frankfurt University of Applied Sciences. Guten Tag!
    Peter Wedde: Schönen guten Tag!
    Personenbeziehbare Daten ableitbar
    Böddeker: Sie haben sich das Thema ja genauer angeschaut, zusammen mit einem Professor für Informatik, und Sie warnen vor dem Potenzial, das so eine Auswertung der Kommunikationsdaten haben könnte. Bevor wir zu den Gefahren kommen zunächst mal: Wie funktionieren solche Analysetools überhaupt, was können Arbeitgeber damit anfangen?
    Wedde: Das faszinierende dieser neuen Analysemöglichkeiten ist, dass es gar nicht personenbezogen läuft, dass einfach festgestellt wird, wie Kommunikationsstrukturen sind, wo in einem Betrieb beispielsweise Kommunikationsschwerpunkte sind - sogenannte Knoten - über die Kommunikation abläuft. Und dass das natürlich im Betrieb, bezogen auf Beschäftigtendaten, besondere Probleme mit sich bringt, das haben wir erst im Rahmen der Studie so richtig begriffen und verstanden. Diese Daten sind da, die können ausgewertet werden, sie werden teilweise auch ausgewertet, und haben ganz neues Potenzial, Erkenntnisse über Beschäftigte zu sammeln. Das ist zunächst mal anonym, also da ist nicht genannt Müller, Meyer, Schulze. Man kann dann natürlich das Verhalten bestimmter Beschäftigter vergleichen mit diesem anonymen Maßstab und daraus dann ableiten, was Beschäftigte möglicherweise tun können, wie aktiv sie sind, wie isoliert sie sind – also ein wunderschönes Bild bekommen, wo man dann plötzlich aus den anonymen Informationen wieder personenbeziehbare Daten ableiten kann.
    Präzises Bild dessen, was an bestimmten Arbeitsplätzen passiert
    Böddeker: Das heißt, man könnte durchaus so ein Diagramm erstellen, in das die Metadaten einfließen, wer spricht wann mit wem und wie oft, und anhand dessen könnte man rausfinden, wer ist gut im Netzwerken zum Beispiel in der Firma.
    Wedde: Ja, ganz genau, das ist das Konzept dahinter.
    Böddeker: Um was für Kommunikationsdaten geht es da? Die E-Mail kennt wahrscheinlich jeder, das Telefon auch, aber es gibt ja auch firmeninterne Netzwerke, über die man chatten kann, andere Möglichkeiten, was gibt es da alles?
    Wedde: Ja es gibt ja heute ein Riesenportfolio, das angeboten wird von einer kleinen Zahl von Anbietern, das ist dann so interne soziale Netzwerke, da gibt es verschiedene Software-Anwendungen für, eine neue Form der Kommunikation, wo man dann Videokonferenzen vom Computer aus starten kann, Telefongespräche vom Computer aus starten kann. Man kann Dokumente gemeinsam bearbeiten - das sind ja alles sehr positive Dinge -, man kann Videopräsentationen einfach ins Netz stellen, also aus einem Vortrag beispielsweise schnell eine Videopräsentation machen und, und, und, bis hin zur Tabellenkalkulation - also die meisten von uns haben Tabellenkalkulationsprogramme auf dem Rechner - oder zum Erstellen von normalen Textdokumenten, auch das kann man relativ plastisch machen. Und der letzte Punkt ist eine sogenannte Präsenzanzeige. Ich kann im elektronischen System anzeigen, ich arbeite, ich bin erreichbar, ich bin gerade im Meeting. Wenn man diese Daten alle zusammen nimmt, hat man natürlich ein präzises Bild dessen, was da in dem Betrieb passiert, was an bestimmten Arbeitsplätzen passiert, und das führt natürlich zu einem ganz neuen Auswertungspotenzial, das man positiv benutzen kann, indem man sich die Arbeit einfacher macht. Man hat ein Dokument bekommen von einem Kollegen, guckt kurz, ist der erreichbar, und dann drückt man auf einen Knopf und ruft den an - das ist der positive Aspekt. Der negative Aspekt ist natürlich, dass da ein immenses Kontrollpotenzial drinsteckt.
    "Neue Art der Ausgestaltung von Unternehmensprozessen"
    Böddeker: Und was könnten die Folgen davon sein, die negativen Folgen?
    Wedde: Na ja, stellen Sie sich in einem Betrieb mal vor, da sollen Arbeitsplätze rationalisiert werden, also Arbeitsplätze abgeschafft werden, und man sagt einfach diesem System, welche Arbeitsplätze sind denn relativ schlecht vernetzt und bei welchen ist davon auszugehen, dass sozusagen die Beteiligung an betrieblichen Prozessen relativ gering ist. Und da identifiziert man dann möglicherweise Bereiche - ohne bis dahin zu wissen, welche Leute darauf sitzen - und sagt, auf den Bereich können wir eigentlich verzichten. Und das ist natürlich so ein Potenzial, das sicher genutzt werden kann. Oder man schaut, welche Arbeitsplätze sind oder welche Bereiche sind extrem wichtig, sind Knotenpunkte, wo die gesamte Kommunikation drüber läuft, die könnte man dann ausbauen, könnte auch gucken, wer hockt da drauf. Und das ist so eine ganz neue Art der Ausgestaltung von Unternehmensprozessen, über die bisher in der Form, glaub ich, noch niemand so richtig nachgedacht hat.
    Scoring-Werte zeigen Aktivität an
    Böddeker: Ist das jetzt eine abstrakte Gefahr, irgendwann in der Zukunft, oder gibt es diese Möglichkeiten auch jetzt schon und werden die genutzt?
    Wedde: Die Möglichkeiten gibt es jetzt schon, die Software, um die auszunutzen, steht zur Verfügung, und teilweise werden solche Analysetools, die man dann braucht, um diesen Datenschatz zu heben, auch schon verwendet. Es ist in Deutschland natürlich so: Da, wo es Betriebsräte gibt, die haben da starke Mitbestimmungsrechte, wenn die wahrgenommen werden, dann gestaltet man das aus, deswegen ist der Einsatz von solchen Analysetools in einer ganzen Reihe von Unternehmen verboten. Aber gerade so in mittelständischen Unternehmen, wo es nicht so starke Betriebsräte gibt, werden die eingesetzt - gar nicht so mit dem Willen, da will man nun bösartig kontrollieren, sondern einfach so mit der Idee: Wir schauen mal, welche Leute wie aktiv sind, wie präsent sind, in Netzwerken, im Netzwerken. Und da kann man dann erst mal wunderschöne Bilddateien draus ableiten, über die Kommunikation, dann gibt es so soziale Dashboards - schwarze Bretter - auf Bildschirmen, wo man gucken kann, wer kommuniziert denn wie viel. Da gibt es Scoring-Werte, also einfach Zahlen, die festgelegt werden, wie aktiv ist man. Das ist so ein bisschen so wie in dem Buch "The Circle", wo dann auch man so Werte hat der sozialen Reputation, die man hochtreiben kann oder runtertreiben kann, und das gibt schon eine ganze Reihe von Unternehmen, wo das heute bereits Wirklichkeit ist.
    "Die Funktionen kann man gar nicht abschalten"
    Böddeker: Wie bewerten Sie das juristisch, ist das überhaupt erlaubt, so eine Auswertung des Kommunikationsverhaltens?
    Wedde: Also juristisch, arbeitsrechtlich und datenschutzrechtlich ist das ein Riesenproblem, es wird ein noch viel größeres Problem ab dem 25. Mai 2018, wenn das neue in dem Punkt stärkere und schärfere Datenschutzrecht wirkt. Es kommt ja teilweise einer Totalkontrolle gleich, was da passiert, die relativ zweckfrei abläuft. Und so was ist schon nach geltendem Datenschutzrecht eigentlich nicht zulässig, nach dem zukünftigen ist da die Ausschlussquote noch sehr viel höher. Da werden sich Unternehmen schon überlegen müssen in Zukunft, ob sie das einfach so laufen lassen wollen, weil da oft auch gar kein Unschuldsbewusstsein oder kein Unrechtsbewusstsein gegeben ist, und ich glaube da wird ein Prozess einsetzen bei Unternehmen: Dürfen wir das eigentlich noch? Das könnte schon dazu führen, dass auch die Hersteller umdenken müssen, weil bisher ist es oft so, dass man diese Funktionen gar nicht abschalten kann, die laufen einfach immer mit, die Daten werden immer gesammelt, und auch das ist nach dem 25. Mai so einfach nicht mehr möglich. Da ist es nämlich genau umgekehrt, so was muss man dann aktiv einschalten als Beschäftigter. Und ich glaube, das wissen die Anbieter solcher Software sehr genau, ich hoffe, die haben auch Pläne im Schrank, die man dann ab Mai nutzen kann. Wenn das nicht genutzt wird, dann ist schon das Risiko da, dass es Geldbußen gibt, die verhängt werden von den Aufsichtsbehörden. Und was für Betroffene ja immer viel schlimmer ist, für betroffene Firmen, die Öffentlichkeitswirkung, die negative, ist dann groß, und das wird zu einem Umdenken führen, hoffe ich.
    Böddeker: Peter Wedde ist Juraprofessor in Frankfurt und warnt in einer neuen Studie vor dem Potenzial von Software, die die Kommunikation von Mitarbeitern in einem Betrieb analysiert. Vielen Dank für das Interview!
    Wedde: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.