Trauer um General Soleimani

Wie geeint ist die iranische Gesellschaft wirklich?

05:59 Minuten
Menschen drängen sich um Särge in Teheran.
Die Särge des iranischen Generals Ghassem Soleimani und anderer Getöteter werden auf einem LKW durch Menschenmassen in Teheran gefahren. © picture alliance/dpa/Saeid Zareian
Ali Fathollah-Nejad im Gespräch mit Julius Stucke · 07.01.2020
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Die Bilder von den Trauerzügen im Iran scheinen ein Land zu zeigen, das vereint ist in der Trauer und im Hass auf die USA. Dieser Eindruck täusche, sagt der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad.
Der Iran ist auf den Straßen: Gestern in Teheran, heute in Kerman – bei der Beisetzung des von den USA getöteten Generals Soleimani. Dabei kam es auch zu einer Panik, bei der laut iranischen Angaben mindestens 40 Menschen gestorben und über 200 Menschen verletzt worden sind.
Doch die Bilder aus Teheran waren beeindruckend: Menschen, soweit das Auge reicht, und die ganze Welt konnte im Livestream mitschauen. Es wirkt, als sei ein Land geeint durch die Trauer – und durch die Wut auf die USA.
"Die Lage ist facettenreicher, als die Bilder suggerieren", sagt der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad, der in Doha und Berlin lebt. Soleimani sei durchaus ein populärer Mann im Iran gewesen. Das liege daran, dass er in den letzten Jahren von der staatlichen Propaganda in erster Linie als ein patriotischer und nationalistischer Held dargestellt worden sei – und nicht als ein islamistischer. "Man hat ihn dargestellt als jemand, der die Barbarei des Islamischen Staates ferngehalten hat von den iranischen Grenzen."

Soleimani hat den Iran mächtiger gemacht

Viele Iraner hätten es begrüßt, dass Soleimani dem Land in der Region mehr Macht verschafft hat. Zusätzlich gebe es eine Empörung über die auch völkerrechtlich bedenkliche Art der Tötung von General Soleimani. Die Unterstützung für ihn gehe deshalb über das Lager der regimetreuen Iraner hinaus.
Auf der anderen Seite würden viele Iraner Soleimanis Rolle als General der Revolutionsgarden - und damit als Teil des Repressionsapparats - kritisch sehen. Die Revolutionsgarden hatten noch im November zivilgesellschaftliche Proteste blutig niedergeschlagen, mit vielen Todesopfern.
Viele Iraner hätten moralische Bedenken gegenüber ihrer Führung wegen der iranischen Unterstützung des brutalen Assad-Regimes in Syrien. Dazu kämen ökonomische Bedenken. Die Bilder, die man im Moment sehe, zeigten deshalb "eine etwas ahistorische Blickweise".

Die Kunst der der Erzeugung von Bildern

"Seit Jahrzehnten beherrscht die islamische Republik diese Kunst der Erzeugung von Bildern, die für den inländischen, aber vor allem für den ausländischen Konsum gedacht sind, um eine vollkommene Einheit des Volkes hinter dem Regime zu suggerieren", sagt Ali Fathollah-Nejad.
Dazu nutze das Regime verschiedene Taktiken: Staatsbedienstete würden unter der Androhung von Sanktionen an Demonstrationen teilnehmen. Aus Dörfern würden Menschen mit Bussen zu den Versammlungen gebracht - und ihnen dafür Verpflegung versprochen.
Diese Organisierung und Inszenierung spiele bei jeder Demonstration im Iran eine Rolle, erklärt er: "In einem solchen autoritären Kontext gibt es ja keine Spontan-Demonstration. Und sobald solche Demonstrationen spontan sind und sich regierungskritisch äußern, werden sie natürlich mit äußerster Brutalität niedergeschlagen."
(sed)
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