Transgender-Debatte

Schönheit ist "Freiheit in der Erscheinung"

Beim "Miss-Trans"-Wettbewerb in Tel Aviv bewarben sich zwölf Kandidatinnen um die Schönheitskrone.
Beim Miss-Trans-Wettbewerb in Tel Aviv bewarben sich zwölf Kandidatinnen um die Schönheitskrone. © dpa / picture alliance / Abir Sultan
Von Andrea Roedig · 05.06.2016
Mit einem Schiller-Zitat über Transgender reden − das sieht unserer Philosophie-Sendung "Sein und Streit" ähnlich. Die erste "Miss Trans"-Wahl in Israel bringt Andrea Roedig zum Nachdenken: über feminine Posen, künstliche Natürlichkeit und männliche Schönheitsköniginnen.
Für die teilnehmenden Transgender-Frauen, für die Queer-Community Israels und auch international war diese Miss-Wahl ein großer emanzipativer Schritt, keine Frage. Man sieht glückliche Gesichter, die so viel Schminke tragen dürfen, wie sie wollen, Menschen, die sich in feminin-erotische Posen werfen: Es geht um die Anerkennung als Frau.
Ein Detail aber könnte als Schönheitsfehler am Schönheitswettbewerb erscheinen: Die 21-jährige Taalin Abu Hanna erhält als Gewinnerin ein Preisgeld in Höhe von 15.000 Dollar – allerdings in Form eines Gutscheins für eine Schönheitsoperation in einer thailändischen Klinik. Geht es hier noch um Freiheit? Oder nicht doch um eine Disziplinierung, eine Zurichtung der Körper auf ein Ideal von Weiblichkeit, das künstlicher nicht sein könnte?
Die traditionelle Philosophie macht sich um Leiblichkeit wenig und um Geschlecht so gut wie gar keine Gedanken. Zu weich scheint das Thema, zu irdisch, unlogisch und wankelmütig, und so muss man bei den wilderen Autor_innen suchen, um philosophisch darüber nachdenken zu können.

Das pharmapornografische Regime

Kürzlich auf Deutsch erschienen ist ein sehr wildes Buch der spanischen Theoretikerin, beziehungsweise des Theoretikers, Paul – ehemals Beatriz – Preciado. In "Testo-Junkie" – so der Titel es Buches – stellt Preciado die These auf, dass wir spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts einem "pharmapornografischen Regime" unterworfen seien, das unsere Körper durch und durch reguliere. Seitdem ist nichts mehr natürlich, oder besser gesagt: seitdem können wir uns auch dem Schein des Natürlichen nicht mehr wirklich hingeben. Wenn man an Reproduktionsmedizin, Anti-Aging-Hormonbehandlungen, Potenzsteigerungsdrogen, Botox und andere geschlechtskörperoptimierende Eingriffe denkt, betrifft diese Diagnose nicht nur transsexuelle Menschen.
Paul/Beatriz Preciado hat an sich selbst die Wirkung von Testosterongel ausprobiert, allerdings nicht, um sich in einen Mann zu verwandeln, sondern um den Körper radikal selbst zu bestimmen. Freiheit, Ermächtigung liege nicht in einem "Zurück zur Natur", sondern in der anarchischen Aneignung der geschlechtsformenden Techniken, meint Preciado. In dieser Hinsicht könnten die Beauty-Schauläufe der Transgender als Befreiung gesehen werden, gerade weil sie sich bewusst dem grausamen Schönheitsregime unterwerfen, und in der Übererfüllung der Rollenstereotype diese bestätigen und zugleich unterminieren. Es wäre eine Befreiung vom Körper durch den Körper.
Taalin Abu Hana gewann den "Miss Trans"-Schönheitswettbewerb in Tel Aviv
Taalin Abu Hana gewann den "Miss Trans"-Schönheitswettbewerb in Tel Aviv© dpa / picture alliance / Abir Sultan
Und ging es nicht auch um Schönheit? Zu diesem Punkt lassen sich sogar zwei klassisch-seriöse Gewährsmänner zitieren: Schönheit sei "Freiheit in der Erscheinung", schrieb im Jahr 1793 Friedrich Schiller mit Bezug auf Kants Kritik der Urteilskraft. Frei sei, wenn in einem Kunstwerk "nichts durch den Stoff, und alles durch die Form bestimmt" erscheine. Anders ausgedrückt: Schön ist, wenn etwas Künstliches so aussieht, als sei es natürlich. Mit etwas gutem Willen und einer Prise Ironie könnte man im Transgender-Schein künstlicher Natürlichkeit durchaus ein Ideal klassischer Ästhetik wiederfinden, obwohl man im 18. Jahrhundert natürlich noch an die Natur glaubte, zumal an die des weiblichen Geschlechts.

Mann kann High Heels tragen, Frau dafür Bart

Doch bevor Kant und Schiller sich im Grabe umdrehen, weil sie ganz sicher nicht im Zusammenhang einer "Miss-Trans-Israel"-Wahl hätten zitiert werden wollen, gehen wir zurück zu den weniger klassischen Autor_innen. Paul/Beatriz Preciado steht nicht allein. Feministische Theorie operiert schon lange mit der Utopie von selbstgewählten Körpern, von posthumanen Cyborgs, bei denen das biologische Geschlecht eben keine Rolle mehr spielt.
So gesehen liegt in der Transgender-Prozedur auch eine Entlastung für so genannte Cis- oder "biologische Frauen": Wenn die im männlichen Körper geborenen Schönheitsköniginnen die Regeln der weiblichen Zurichtung übernehmen, wenn sie begeistert High Heels tragen und Glitzerkleider – dann müssen wir Cis-Frauen das vielleicht nicht mehr so häufig tun. Und so wie Conchita Wurst gezeigt hat, dass man als Frau durchaus einen Bart tragen kann, gelingt es vielleicht irgendwann, die Geschlechtsmerkmale als eine Art platonischer Ideale zu sehen, denen in beliebigem Maß nachstreben mag, wer will – egal mit welchem Körper. Ob das wirklich möglich ist oder nur eine fromme postmoderne Allmachtsphantasie, bleibe dahingestellt. Reizvoll ist der Gedanke allemal.
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