Training fürs Immunsystem

25.05.2008
Niemand schlägt sich gerne mit Viren, Bakterien oder Parasiten herum. Doch wie nützlich die kleinen Tierchen sind, zeigt die Biologin Marlene Zuk in ihrem Buch "Was wäre das Leben ohne Parasiten?". Denn erst der Sieg über die Krankheit macht uns fit für den nächsten Erreger.
Krankheiten sind unsere Partner. Ohne Bakterien, Viren und Parasiten würden wir Menschen nicht existieren. Das klingt paradox. Denn was uns krankt macht, kann uns doch nicht gleichzeitig gut tun? Dass es aber tatsächlich so ist, zeigt anschaulich das Buch "Was wäre das Leben ohne Parasiten?". In einem leicht verständlichen und lockeren Tonfall erklärt Marlene Zuk, Professorin für Biologie, warum wir uns über die kleinen Nutznießer, Keime und Erreger durchaus freuen können.

Seit es Leben auf der Erde gibt, gibt es Krankheitserreger. Sie sind der Motor der Evolution, schreibt die Autorin, treiben uns und alle anderen Lebewesen zu Veränderungen an. Ein natürliches Wechselspiel, das einer Art Wettrüsten gleicht.
Verändern sich die von Erregern befallene Lebewesen und werden zum Beispiel immun gegen den Erreger, ändert auch er seine Taktik. So bleiben alle ständig in Bewegung: Parasiten, Viren, Bakterien und Mensch und Tier.

Die engagierte Forscherin erzählt viele unterhaltsamen Geschichten aus dem Fachgebiet der Evolutionsbiologie, die sie oft noch mit persönlichen Erlebnissen aus ihrer Arbeit ausschmückt. Das macht Wissenschaft verständlich und komplizierte Sachverhalte anschaulich. Wer aus dem eigenen Forschungsgebiet so begeistert und nachvollziehbar erzählt, wie Marlene Zuk, hat den Leser schnell auf seiner Seite.
Und wenn dann noch Sex eine Rolle spielt, dürften die meisten interessiert weiter lesen. Auch wenn es beim Thema Fortpflanzung und Partnerwahl hauptsächlich um Marlene Zuks Lieblingstiere geht: die Vögel.

So erfahren wir viel über Hühner, Pfauen, Laubenvögel und anderes Federvieh. Welche Rituale diese Tiere bei der Paarsuche pflegen und natürlich welchen Erregern und Parasiten sie ausgesetzt sind. Denn Milben, Läuse, Bakterien und Co. sind auch beim Paarungsverhalten entscheidend, erklärt uns die Biologin begeistert.

Im flotten Plauderton erzählt sie, dass es im Tierreich so zugeht wie am Hof Ludwig des IVX., wo Parfüm und Pomade das Waschen ersetzten. Je schmutziger und verkeimter ein Vogelmännchen, desto prächtiger sein Vogelkleid oder sein Balzgesang. Das mag überraschen, hat aber klare Vorteile, und zwar nicht nur bei der Eroberung eines Vogelweibchens. Kommt das Männchen mit den Erregern klar, dann schaffen es die Nachkommen auch.

Parasiten und andere Keime sind ein gutes Training für das Immunsystem. Sie machen nicht nur krank, sondern langfristig eben auch gesund. Das gilt auch für den Menschen. Die Biologin sucht immer nach Vergleichen für unser Leben. Sie zitiert außerdem zahlreiche Studien ihrer Kollegen und zeigt so, dass Evolution bei vielen Arten ähnlich verläuft und Krankheiten ein wichtigen Teil unseres Daseins sind. Denn fehlen die Erreger, muss der Körper sich nicht mehr zur Wehr setzen, und reagiert manchmal unkontrolliert oder überempfindlich. Autoimmunerkrankungen oder Allergien können die Folge sein.

Andererseits gibt es natürlich auch zahlreiche Krankheiten, die einfach nur krankmachen, ohne einen direkten Nutzen erkennen zu lassen. Auch hierfür hat Marlene Zuk eine überzeugende Erklärung. Der Grund liegt ebenfalls in der Evolution.
Darwins "Survival of the fittest" heißt: Wer die meisten Nachkommen zeugt, gewinnt. Egal wie gesund sie sind ist. Ein wichtiger Hinweis, der den meisten Lesern so deutlich nicht im Biologieunterricht vermittelt worden sein dürfte. Und die Autorin illustriert ihn auch gleich mit einem Beispiel. Wenn zum Beispiel Vögel ein Gen besitzen, das sie dazu befähig, vermehrt Kalk und damit vermehrt Eier zu produzieren, dann haben sie auch mehr Nachkommen. Dass dasselbe Gen im Alter dazu führt, das diese Vögel an Osteoporose, also brüchigen Knochen leiden und deshalb früher sterben, ist aus evolutionärer Sicht unwichtig.

Anschauliche Bespiele findet man bei allen wichtigen Themen, egal ob es darum geht zu erklären, warum manche Erkrankungen schwerwiegender als andere verlaufen oder weshalb manche Erreger sich besonders schnell ausbreiten. Immer hat Marlene Zuk eine kleine Geschichte parat. Und so erfährt der Leser viel über Vögeln, Bettwanzen, Affen, und die eigenen Artgenossen, und erhält dabei immer wieder einige haarsträubende Einblicke in die Welt der Parasiten.

Rezensiert von Susanne Nessler

Marlene Zuk: Was wäre das Leben ohne Parasiten? Warum wir Krankheiten brauchen
Übersetzt aus dem Englischen von Jorunn Wissmann

Spektrum Verlag 2008
330 Seiten, 26 Euro