Dienstag, 16. April 2024

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Verpflichtung für junge Menschen
"Ein Dienstjahr für alle passt überhaupt nicht in die Zeit"

Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland lehnt der FDP-Politiker Marco Buschmann ein verpflichtendes Dienstjahr ab. Zehntausende Handwerksbetriebe suchten händeringend Auszubildende. Durch eine Dienstverpflichtung kämen junge Menschen noch später in den Arbeitsmarkt, sagte er im Dlf.

Marco Buschmann im Gespräch mit Mario Dobovisek | 27.08.2018
    Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag
    Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag (imago / Metodi Popow)
    Mario Dobovisek: Mitgehört hat Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Buschmann.
    Marco Buschmann: Schönen guten Morgen. Ich grüße Sie.
    "Volkswirtschaftlich ein ganz großer Unsinn"
    Dobovisek: Sie haben die Argumente aus der Praxis gehört, Herr Buschmann. Warum lehnt die FDP ein Dienstjahr für alle dennoch ab?
    Buschmann: Ein Dienstjahr für alle passt ja in Wahrheit überhaupt nicht in die Zeit. Schauen Sie, wir haben Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt. Schauen Sie, wir haben Zehntausende von Handwerksbetrieben, die händeringend nach Auszubildenden suchen. Und dann wollen wir jetzt in dieser Generation beginnen, dass die jungen Menschen noch ein Jahr später oder was weiß ich, wie lange diese Dienstverpflichtung sein soll, noch später in den Arbeitsmarkt kommen, in den Ausbildungsmarkt kommen? Das wäre volkswirtschaftlich ein ganz großer Unsinn.
    Dahinter stecken ja zwei Begründungen, die an sich ehrenwert sind. Es wird immer gesagt, die jungen Menschen müssten Werte lernen, und dahinter steckt ein bisschen der Eindruck, als würden sie das nicht mitbekommen. Ich glaube, was man sich nicht einreden darf, das ist: Wenn es junge Menschen gibt, die in ihren Familien, in ihrer Nachbarschaft, in ihrer normalen sozialen Umgebung keine Werte vermittelt bekommen, dann können das weder die Schule, noch andere Institutionen als Reparaturbetrieb ausgleichen, sondern wir alle als Gesellschaft müssen Werte vermitteln, unseren Kindern, unseren Nachbarn, auch in der Schule, aber wir können das nicht abdelegieren auf, sagen wir mal, eine Art Erziehungsdienst. Das wird nicht funktionieren und deshalb halte ich ganz wenig davon.
    Lohndruck durch Einsatz von Flüchtlingen
    Dobovisek: Sie selbst waren Zivildienstleistender in einem Gelsenkirchener Altersheim. Zehn Jahre ist das her. Was haben Sie aus dieser Zeit für sich selber mitgenommen?
    Buschmann: Ich habe natürlich die Wirklichkeit in einem Pflegeheim gesehen. Man stellt dort fest, wenn das Thema Pflege nicht die richtige Priorität hat, dass man sich schon die Frage stellen kann, was muten wir eigentlich da den Menschen zu, was muten wir da auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu. Das führt mich direkt zu dem anderen Punkt. Schauen Sie, jetzt wird gesagt, wir müssten was für die Pflege tun, indem wir dieses Dienstjahr einführen oder indem wir beispielsweise Flüchtlinge dort einsetzen. Ich glaube, da ist ein ganz großer Haken dran, denn es führt ja kein Weg daran vorbei, dass wir qualifiziertes Personal dort brauchen und nicht Menschen, die nur eine ganz kurze, man könnte auch sagen Schmalspur-Ausbildung bekommen, und mehr kann man ja gar nicht bei einem kurzen Dienstjahr machen.
    Dobovisek: Aber um mit alten Menschen "Mensch ärgere Dich nicht" zu spielen, um sich mit ihnen zu beschäftigen, dafür brauche ich keine lange Qualifizierung. Das haben Sie als Zivildienstleistender gemacht. Das könnten jetzt auch Dienstleistende einer neuen Generation tun.
    Buschmann: Ja, das ist natürlich ein Zerrbild. Um verfassungsrechtlich diesen Ersatzdienst, wie er früher hieß, zu rechtfertigen, hat man immer gesagt, die Leute werden natürlich nicht so eingesetzt, dass reguläre Beschäftigungsverhältnisse beeinträchtigt sind. Aber natürlich ist das passiert. Das ist auch allen klar. Das war auch mit einer der Gründe dafür, warum man damals gesagt hat, dass man Wehrpflicht und damit natürlich auch den Ersatzdienst abschafft. Und das ist auch der große Pferdefuß bei dieser Idee, Flüchtlinge einzusetzen. Stellen Sie sich vor, diese Menschen werden beispielsweise in Pflegeheimen eingesetzt. Dann entsteht Lohndruck auf die Pflegehelfer. Das sind Menschen, die schon jetzt wenig Geld verdienen. Es werden möglicherweise Stellen abgebaut oder nicht in dem entsprechenden Umfang aufgebaut. Dann bekommen die Menschen mit, dass dieser Dienst dazu führt, dass sie Probleme bei den Lohnverhandlungen haben, dass die Löhne nicht so steigen. Und stellen Sie sich die sozialpolitische, aber auch die integrationspolitische Debatte vor, wenn es plötzlich heißt, diese Leute verhindern, dass wir eine anständige Lohnsteigerung bekommen oder nehmen uns vielleicht sogar die Arbeitsplätze weg. Da wird nur einer profitieren, und das sind die Rechten.
    Qualifizierte Arbeitsplätze könnten entfallen
    Dobovisek: Aber genau darum sollte es ja nicht gehen. Es geht ja zum Beispiel auch darum, ob auf dem Schulhof bloß zwei Lehrer Aufsicht führen, oder zusätzlich auch zwei junge Menschen, die ihren Dienst leisten, mit den Kindern spielen. Die nehmen dann niemandem den Job weg. Es geht um einen Mehrwert, nicht um einen Ersatz durch billige Arbeitskraft.
    Buschmann: Das hat man früher beim Ersatzdienst auch gesagt. Deshalb hieß er ja Ersatzdienst. Aber wenn Sie mit Verantwortlichen, und zwar auch aus der Pflegebranche, offen gesprochen haben, und zwar ohne, dass ein Mikrophon oder eine Kamera dabei war, dann wird Ihnen das jeder bestätigen.
    Dobovisek: Es ist also eine Frage der Ausgestaltung?
    Buschmann: Das war damals auch eine Frage der Ausgestaltung. Aber es ist natürlich extrem verlockend, wenn Sie dort Arbeitskraft von jungen Menschen zur Verfügung haben, die Aufgaben so zu organisieren, dass Sie weniger Personal einsetzen, weil das immer das Teuerste ist. Das ist die große Verlockung, wenn man Arbeitskraft massenhaft enteignet, das Leuten zur Verfügung stellt, dass man dann glaubt, dass das keinen Lohndruck auf die Menschen, die dort arbeiten, ausübt und dass das nicht dazu führt, dass man qualifizierte Arbeitsplätze weglässt oder entfallen lässt, das ist, offen gestanden, naiv.
    Bessere Ausstattung statt billige Arbeitskräfte
    Dobovisek: Kommen wir zurück zu unserem Ausgangspunkt des Gesprächs, auch zu den Freiwilligen Feuerwehren, zum THW, zu den anderen Hilfsorganisationen, bei denen Ehrenamtliche tätig sind und ohne die ohne Zweifel das Hilfeleistungssystem nicht funktionieren würde. Wie wollen Sie ohne einen Pflichtdienst verhindern, dass nur noch die Fensterplätze besetzt sind?
    Buschmann: Wir haben ja vorhin gehört, dass die Freiwilligen Feuerwehren und dass das THW sich auf die neue Situation eingestellt hat. Ein wichtiger Punkt wäre beispielsweise, dass dort vernünftiges Material vorliegt. Schauen Sie, wenn Sie mit Berufssoldaten sprechen, wenn Sie mit Freiwilligen sprechen und die fragen, was fehlt eigentlich gerade besonders, dann sagen sie, wenn wir altes Material haben, wenn wir Material haben, das nicht funktioniert, wenn wir ewig auf Ersatzteile warten. Das ist beispielsweise ein Schritt, der den Dienst attraktiver machen könnte, indem die Leute mit ordentlichem Material arbeiten. Ich finde, auch die öffentliche Anerkennung muss steigen, und man muss natürlich viel stärker aufklären, dass es diese Möglichkeiten gibt. Aber auf Zwang zu setzen, weil wir dieses nicht hinbekommen, ordentliche Ausstattung und ordentliche Werbung, ordentliche Anerkennung, das ist sicherlich der falsche Weg, und das passt auch nicht in die Zeit. Denn ich kann nur noch mal daran erinnern: Das Handwerk, viele Ausbildungsberufe klagen darüber, dass sie zu wenig Bewerber haben, dass sie zu wenig Auszubildende haben. In einer solchen Zeit die Menschen aus dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ein ganzes Jahr rauszunehmen, die Betriebe länger warten zu lassen, ist einfach volkswirtschaftlicher Irrsinn.
    Dobovisek: Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Buschmann: Gerne! – Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.