Tragödin kämpft um Fallhöhe

Von Stefan Keim · 12.05.2009
Die junge Regisseurin Alice Buddeberg - Jahrgang 1982, gerade hat sie ihr Studium an der Hamburger Theaterakademie beendet – inszeniert "Hedda Gabler" als geschlossene Gesellschaft. Die Premiere bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen ist der vorgezogene Start des Frankfurter Schauspiels unter dem neuen Intendanten Oliver Reese.
Ein Sofa steht im Schnee. Hedda Gabler wirft sich im Unterhemd hin und her. Sie hat einen Albtraum, sie träumt von ihrem Leben. Im Licht roter Neonleuchten stehen die anderen um sie herum, nur Eilert Lövborg, der Mann, der ihr Erlöser sein könnte, liegt schlaff auf einer der wuchtigen Lampen. Wenn Hedda aufwacht, gerät sie gleich wieder in den Griff ihrer Gespenster.

Ibsen trifft Sartre. Die junge Regisseurin Alice Buddeberg - Jahrgang 1982, gerade hat sie ihr Studium an der Hamburger Theaterakademie beendet – inszeniert "Hedda Gabler" als geschlossene Gesellschaft. Die Premiere bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen ist der vorgezogene Start des Frankfurter Schauspiels unter dem neuen Intendanten Oliver Reese.

Er setzt auf Alice Buddeberg, sie wird in seiner ersten Spielzeit auch den Hollywoodklassiker überhaupt, "Vom Winde verweht", auf die Bühne bringen. Mit Constanze Becker, der Schauspielerin des Jahres 2008, ist gleich einer der Stars des neuen Ensembles zu sehen.

Die Rolle passt perfekt. Constanze Becker ist die große junge Tragödin des deutschen Theaters, groß, kraftvoll, leidenschaftlich, eine, die Urgewalten entfesseln, die Last der Welt stemmen kann. Wie sie es vor allem in Inszenierungen Michael Thalheimers gezeigt hat, als Mutter John in Hauptmanns "Ratten", als Klytaimestra in der "Orestie". Hedda Gabler sehnt sich nach der Fallhöhe, die solche Tragödien erst möglich macht.

Um sie herum erscheint ihr alles banal, das Bangen um gut bezahlte Jobs, die Angst vor Skandalen, das Streben nach ökonomischer Sicherheit, das sie in die Ehe mit dem ungeliebten Gelehrten Tesman getrieben hat. Constanze Becker lockt und weist zurück, verführt und schlägt zu, schluchzt plötzlich herzzerreißend und lacht sich im nächsten Augenblick kaputt, weil ihr dusseliger Gatte darauf rein fällt. Wenn in dieser Hedda noch wahre Gefühle stecken, sind sie tief verborgen unter dicken Schichten zynischer Hornhaut.

Im Detail gelingen Alice Buddeberg immer wieder dichte Szenen. Sie traut sich, lange Pausen zu setzen, die Menschen ins Leere laufen zu lassen. Das Stück hat sie auf gut 90 Minuten zusammen gestrichen und mit filmischen Schnitten durchsetzt. Immer wieder wechselt die Stimmung ins rote Albtraumlicht und bedrohliche, abrupt abbrechende elektronische Klangeffekte schwirren durch die Luft. Nicht immer hält die Inszenierung ihr Niveau.

Den Trotteltod Eilert Lövborgs, der damit Heddas letzte Hoffnung auf eine in ihrer Konsequenz schöne Tat zerstört, zeigt die Regisseurin als Versuch, auf eine der Lampen zu klettern, wobei der Schauspieler Sébastien Jacobi immer wieder abrutscht. Ein Verlegenheitsbild wie manches andere, wenn die Schauspieler mit dem langsam weg tauenden Schnee kämpfen. Alice Buddeberg strebt nach einer exzessiven Körperlichkeit, die das hetergoene Ensemble nur manchmal umsetzen kann.

Constanze Becker ist das eindeutige Kraftzentrum der Aufführung, nur Thomas Huber als Gerichtsrat Brack entwickelt manchmal das Zeug zum Antipoden. Im Alkoholrausch zieht er Frauenklamotten an und bekennt sich zu erotischen Allmachtsphantasien, ein Hedonist, der gern der einzige Hahn im Hühnerstall wäre. Wenn es in Hedda nichts mehr gäbe, das nach Höherem strebt, könnte sie mit diesem Brack ziemlich viel Spaß haben und sich eine eigene, dandyhafte Traumwelt errichten. Aber da ist eben diese verdammte Sehnsucht nach einem Sinn. Am Ende fällt kein Schuss. Der Tod ist keine Lösung, die Lebenshölle hat keinen Ausweg. Hedda wimmert, völlig verzweifelt. Sie bleibt ihren Gespenstern ausgeliefert.